Von Knallerbsen und anderen Zugstreichen
14.01.2022 Baselbiet, Gesellschaft, Hölstein, Bezirk Waldenburg
Elmar Gächter
Rund ein halbes Jahrhundert nachdem er Hölstein verlassen hatte, besuchte Erwin Beglinger 1971 wieder das Dorf, in dem er aufgewachsen war. «Damals – im Tatendrang des jungen Mannes – habe ich mich leichten Herzens von ihm getrennt. Doch ...
Elmar Gächter
Rund ein halbes Jahrhundert nachdem er Hölstein verlassen hatte, besuchte Erwin Beglinger 1971 wieder das Dorf, in dem er aufgewachsen war. «Damals – im Tatendrang des jungen Mannes – habe ich mich leichten Herzens von ihm getrennt. Doch heute blicke ich oft auf die Kindheits- und Jugendjahre zurück.» Mit diesen Worten beginnen seine Erinnerungen an seine Hölsteiner Jahre vor, während und kurz nach dem Ersten Weltkrieg.
Als wäre es erst gestern gewesen, beschrieb er in «Erinnerungen an mein Baselbieter Dorf» kurzweilig das Leben in dieser an Ängsten und Entbehrungen reichen, aus Kinderaugen aber auch ausserordentlich spannenden Zeit. Verschiedene darin erwähnte Personen sind älteren Einwohnerinnen und Einwohnern auch heute noch ein Begriff.
Viel ist über den Autor der Geschichten nicht bekannt. Erwin Beglinger wurde 1908 als Sohn des damaligen langjährigen Dorfschullehrers Beglinger in Hölstein geboren. Seine Familie wohnte im ersten Schulhaus von Hölstein, er machte Karriere bei der seinerzeitigen Sandoz AG, lebte später in Kienberg und Klosters, seinem letzten Wohnort. Die «Volksstimme» nimmt den derzeitigen Neubau der Waldenburgerbahn zum Anlass, die im Kapitel «Das Waldenburgerli» aufgezeichneten «Müschterli» an die Leserschaft weiterzugeben.
ERINNERUNGEN AN MEIN BASELBIETER DORF
Bewunderung und Spott fürs Dampflokomotivchen
«Das geschichtenumwobene Waldenburger Bähnchen hatte seine Station beim prächtigen und währschaften Gasthof zum Rössli am unteren Ende unseres Dorfes. Das Waldenburgerli rang uns Buben zugleich Bewunderung und Spott ab; auf jeden Fall war es ein grosser Anziehungspunkt für uns, verkehrten doch damals praktisch noch keine Autos, und die Lokomotivchen waren für uns Wunderwerke, die wir von innen und aussen kannten und diskutierten.
Der Billettschalter befand sich sinnigerweise in der Gaststube, und die beiden Fräulein Tschopp als Besitzerinnen des «Rössli» nahmen als selbstverständlich an, dass ein Mann, der eine Fahrkarte löste, auch einen Schoppen Wein oder Bier konsumierte. Man munkelte, die beiden Fräulein Tschopp hätten dafür gesorgt, dass der ankommende Zug rasch abgefertigt wurde. Der Kondukteur hatte durch zwei laute Pfeifensignale den Befehl zur Abfahrt zu erteilen. Die Wirtshausgäste eilten schleunigst auf den Zug, und der übrig gebliebene Wein soll den nächsten Gästen vorgesetzt worden sein. Auf jeden Fall sorgten die beiden Fräulein konsequent dafür, dass sofort beim ersten Einschenken bezahlt wurde.
Neben diesen zwei weiblichen Bahnhofvorständen existierte noch der Bähnli-Marti. Er war Angestellter der Waldenburgerbahn mit Uniform, Strecken- und Weichenwärter, Güterauslader und Verträger von Versandanzeiger in einer Person. Zweimal am Tag lief er die Strecke zwischen der Station Hölstein und Bubendorf zur Kontrolle des Geleises ab. Auf dem Rücken trug er eine gebündelte rote Fahne, mit deren Hilfe er den herannahenden Zug stoppen konnte, wenn irgendetwas am Geleise nicht in Ordnung war.
Der Sonntagabend sah uns Dorfbuben regelmässig bei der Station der Waldenburgerbahn. Es gab viel zu sehen, Spaziergänger, Verwandte der Dorfbewohner, die den letzten Zug nach Liestal bestiegen, den Verlad der Milch, und meistens kreuzten sich auf der Station unseres Dorfes zwei Züge. Um dem Sonntagabend die nötige Feierlichkeit zu verleihen und um die Dorfbewohner und Fahrgäste auf das Herannahen des Zuges aufmerksam zu machen, legten wir von der Dorfeinfahrt bis zur Station im Abstand von einem Meter eine Art Knallerbsen auf die Eisenbahnschienen, so dass das Waldenburgerli am Sonntagabend die Strecke durch das Dorf mit viel Begleitmusik durchfuhr. Es tönte etwa so wie an einem Schützenfest, wenn aus zwanzig oder mehr Gewehren geschossen wurde. Da wir unsere Streckenarbeit schon einige Minuten vor der Einfahrt des Zuges beendigt hatten, standen wir mit unschuldigen Gesichtern unter den wartenden Fahrgästen und ihren Begleitern und freuten uns über das gute Funktionieren der Knallerbsen. Wenn alle Milchkannen gut verstaut waren, ertönte der krächzende Ruf des Bähnli-Marti: «Hinten fertig», worauf der Kondukteur zweimal seine Pfeife ertönen liess.
Hinten war aber gar nicht alles fertig, denn kaum begann der Zug zu rollen, machten wir uns an die Bremsschläuche, welche am Ende des letzten Wagens den Kreislauf des Bremssystems schlossen, und trennten diese mit längst geübter Technik auseinander. Ein Gezisch, der Lokomotivführer gab Volldampf, so dass das Maschinchen ganz in Dampf gehüllt war; der Heizer warf mit aller Kraft Kohlen in den Heizkessel, aber trotz all dieser Anstrengungen bewegte sich der Zug nicht mehr. Ein paarmal drehten sich die Räder des Lokomotivchens an Ort, dann sah der Lokomotivführer ein, dass aller Volldampf nichts mehr nützte. Die Passagiere öffneten die Fenster und machten dumme Witze über das Waldenburgerli. Wir aber benützten die allgemeine Aufregung, um hinter den nächsten Bauernhöfen zu verschwinden.»
Aus «Erinnerungen an mein Baselbieter Dorf», von Erwin Beglinger, erschienen 1971, gedruckt bei der Lüdin AG, Liestal.