Mit Prävention gegen die Armut
27.01.2022 Baselbiet, Bezirk Liestal, GesellschaftAndré Frauchiger
Er ist erst 34-jährig, seit vier Jahren beim Kantonalen Sozialamt Baselland (KSA) tätig – seit Anfang Jahr als dessen Leiter: Fabian Dinkel. Er hat die Nachfolge des im September vergangenen Jahres verstorbenen Leiters Sebastian Helmy angetreten. ...
André Frauchiger
Er ist erst 34-jährig, seit vier Jahren beim Kantonalen Sozialamt Baselland (KSA) tätig – seit Anfang Jahr als dessen Leiter: Fabian Dinkel. Er hat die Nachfolge des im September vergangenen Jahres verstorbenen Leiters Sebastian Helmy angetreten. Dinkel ist verheiratet und Vater von zwei Kindern im Alter von fünf und drei Jahren. Aufgewachsen ist er in Ziefen, heute lebt er im Kleinbasel. Er hat einen Bachelor in Geschichte und Philosophie der Universität Basel und einen Masterabschluss in Political, Legal and Economic Philosophy (Plep) der Universität Bern in der Tasche. Damit bringt er zweifellos ein breit gefächertes Wissen mit sich, was ein grosser Vorteil für seine heutige Arbeit sein dürfte.
Fabian Dinkel ist parteilos und findet es richtig, in seinem Amt politisch unabhängig zu sein. Nach seinem Studium hat er sich als stellvertretender Leiter des sozialdiakonischen Projekts «Sonntagszimmer» in der Kleinbasler Matthäuskirche engagiert. Dabei lernte er unterschiedliche Hintergründe und auch Armutsbetroffene kennen. Als Hauptorganisator des Europäischen Jugendtreffens «Taizé» sammelte er weitere Erfahrungen im kirchlich-sozialen Bereich. Dies bezeichnet er als sehr wichtig, auch für sein heutiges berufliches Umfeld.
Im Gespräch mit Dinkel wird rasch deutlich, dass er das Sozialamt Baselland bereits sehr gut kennt. Vor allem die Grundlagenstruktur für das heutige Funktionieren des kantonalen Sozialamts, an der er voll mitgewirkt hat, ist bemerkenswert. Während knapp zweier Jahre wirkte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter, bevor er auf den 1. Mai 2020 zum Leiter der Abteilung «Projekte» befördert wurde.
Der Baselbieter Regierungsrat erklärte in seiner Medienmitteilung zur Wahl des neuen Sozialamtleiters, dass Fabian Dinkel unter der Leitung seines Vorgängers Sebastian Helmy und in enger Zusammenarbeit mit den fachverantwortlichen Personen des Sozialamts «massgeblichen Anteil daran hat, dass die Sozialleistungen und die Sozialpolitik des Kantons auf ein neues Fundament gestellt werden konnten». Und weiter: «Dazu zählen vor allem die erstmals formulierte kantonale Strategie zur Sozialhilfe (Sozialhilfestrategie) sowie die laufende Revision des Sozialhilfegesetzes.» Auch die von Fabian Dinkel vorgenommene Analyse der Bedarfsleistungen des Kantons Baselland habe «wichtige und wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Sozialleistungen erbracht».
In einem Spannungsfeld
Angesprochen auf die grosse Würdigung der Regierung reagiert Fabian Dinkel mit einem bescheidenen Lächeln. Er weist darauf hin, dass er in die ganze Thematik rund um die Sozialhilfe einfach «hineingewachsen» sei. Im Sozialamt gewinne man schnell einen guten Überblick über die sozialpolitische Situation im Kanton. Die Situation Randständiger, Obdachloser, Ausgesteuerter, Migranten und weiterer Hilfsbedürftiger kenne er auch aus seinen vorhergehenden Tätigkeiten. Das Spannungsfeld zwischen den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Kantons und der Gemeinden sowie den spezifischen Bedürfnissen von Personen in der Sozialhilfe sei immer vorhanden.
Die Gesamtüberprüfung der Sozialhilfe und die Armutsstudie bildeten die Grundlage für die Erarbeitung einer Gesamtsicht, wie Fabian Dinkel erklärt. Die Arbeiten wurden auf den verschiedenen Verwaltungsebenen parallel vorangetrieben. Die neue Sozialhilfestrategie wurde an der letzten Landratssitzung gutgeheissen. Die Armutsstudie beinhaltet verschiedene Massnahmen, die zurzeit von der kantonalen Verwaltung und teilweise von den Gemeinden geprüft werden. Im kommenden Sommer soll die Überprüfung vorliegen.
Was ist Gerechtigkeit?
4500 Haushalte im Baselbiet beziehen Sozialhilfe. Eine aktuelle Studie hat laut Fabian Dinkel aber gezeigt, dass rund 8000 weitere Haushalte unter dem Strich weniger Geld zur Verfügung hätten. Diese seien aber wegen eines zu hohen Verdienstes nicht zum Sozialhilfebezug berechtigt. Die Besserstellung der Sozialhilfebezüger könne im Jahr mehrere Tausend Franken ausmachen.
Aber was ist Gerechtigkeit? Man müsse abwägen, sagt Fabian Dinkel. Aus pragmatischer Sicht könne man sagen: Gewisse Bestimmungen führten zu Fehlanreizen. Dies müsse sich ändern. Eine Verbesserung brächte zum Beispiel die Revision der Mietzinsbeiträge für Familien mit Kindern. Hierfür laufe bereits die Vernehmlassung der gesetzlichen Grundlagen. Mit vorgelagerten Leistungen wie Mietzinsbeiträgen könnten möglicherweise gewisse Fehlanreize beseitigt werden.
Ein wichtiger Ansatz zur Verhinderung einer Sozialhilfeabhängigkeit ist die gezielte Prävention. Ein professionelles Assessment-Center soll Menschen frühzeitig unterstützen. Ein solches Center sieht die aktuelle Teilrevision des Sozialhilfegesetzes vor, die voraussichtlich im Mai zur Volksabstimmung kommt. Es geht dabei um rechtzeitige Abklärungen und Hilfestellungen, nachdem das Erwerbseinkommen einer Person weggefallen ist. Das Assessment-Center setzt vor dem Gang zur Sozialhilfe an. Dabei sollen auf verschiedenen Ebenen geeignete Lösungen für eine betroffene Person abgeklärt werden mit dem Ziel, einen Sozialhilfebezug unnötig werden zu lassen.
Wichtiges Armutsmonitoring
Doch was ist der persönliche Fokus von Fabian Dinkel in seiner neuen Funktion? Er zögert nicht lange mit der Antwort: Es gehe darum, die Sozialhilfe im Gesamtkontext anzuschauen. Es brauche eine Gesamtbetrachtung. Dazu gehöre beispielsweise das Armutsmonitoring, das aktuell entwickelt wird und bei dem wichtige Daten erhoben würden. Aber wo gibt es noch Spielräume? Dinkel erwähnt dabei die zeitgemässe Integrationsarbeit, die gefördert werden müsse.
Eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und dem Kanton sei zudem sehr wichtig, denn: «Die Sozialhilfe findet zum grössten Teil in den Gemeinden statt.» Bei den heutigen komplexen Sozialfällen brauche es gut ausgebildete Personen, die einen sehr herausfordernden Job zu meistern haben. Das Sozialamt biete entsprechende Schulungen an, stellt Dinkel fest. Verschiedene Gemeinden verfügten auch über einen professionellen Sozialdienst, andere hätten die Aufgabe an private Institutionen ausgelagert. Aber die Gemeinden könnten ihre Verantwortung letztlich nicht einfach an private Institutionen weitergeben, unterstreicht Fabian Dinkel. Die Gemeinden seien vielmehr die Auftraggeber für Privatfirmen, bezahlten die Leistungen und müssten die Arbeit der Firmen auch überprüfen.
Die Armutsproblematik gehe sehr tief und habe verschiedene Facetten, wie Fabian Dinkel erklärt. In der kirchlichen Arbeit nach dem Studium erlebte er verschiedene Arten der Armut. Es gehe nicht immer nur ums Geld. Sondern zum Beispiel auch um die häufige Vereinsamung von älteren Menschen. Auch vertrackte Familiensituationen könnten nicht nur mit Geld gelöst werden und schadeten den Betroffenen. Für Fabian Dinkel handelt es sich um Grundsatzfragen: Was gilt bei uns als gutes, würdiges Leben? Was braucht eine Person, und was kann dieser zur Verfügung gestellt werden?
Wo will Fabian Dinkel in fünf Jahren sein? Sein Ziel ist, dass die Ansätze mit der Armuts- und Sozialhilfestrategie und dem Monitoring unter Beibehaltung der breiten Perspektive weiterentwickelt werden. Mit den heutigen Grundlagen solle weitergearbeitet werden. Der Gesamtblick sei gefragt. Das Thema Prävention sei dabei sehr wichtig.
Herausforderung Asylbereich
Auch der Asylbereich als weitere wichtige Aufgabe des Sozialamts sei weiterzuentwickeln. Dabei gehe es insbesondere um die Integration von Asylsuchenden. Diese müsse speziell gestärkt werden. Das sei eine grosse Herausforderung. Kanton und Gemeinden müssten sich auch im Asylbereich zielführend ergänzen, um die Probleme bewältigen zu können, meint Fabian Dinkel. «Es braucht tragbare Lösungen.»