«Vorgaben verschärfen, mehr Tempo vorgeben»
13.01.2022 Basel, Energie/Umwelt, Niederdorf, Bezirk Waldenburg, Baselbiet
Robert Bösiger
Herr Horbaty, wie war das Jahr 2021 für Sie?
Robert Horbaty: Eher schwierig. Dann wurde ich im Herbst ja auch noch 70 Jahre alt … Sehr beschäftigt hat mich das politische Umfeld mit allen Auswirkungen im Zusammenhang ...
Robert Bösiger
Herr Horbaty, wie war das Jahr 2021 für Sie?
Robert Horbaty: Eher schwierig. Dann wurde ich im Herbst ja auch noch 70 Jahre alt … Sehr beschäftigt hat mich das politische Umfeld mit allen Auswirkungen im Zusammenhang mit Covid-19 und der Abstimmung vom 28. November.
Was hat Sie am meisten Energie gekostet?
Im negativen Sinne sicher, was politisch in der Schweiz abgeht – da muss man sich über die aufgetretenen Spaltungstendenzen schon Sorgen machen. Im positiven Sinne unsere Osteuropareise: Ich wollte meinen Wurzeln nachspüren und so haben wir das Dorf in der Ukraine gesucht, wo mein Grossvater bis 1908 gelebt hat. Er kam aber später mit einem Offizier der österreichisch-ungarischen Monarchie auf die Gesandtschaft nach Bern – und blieb da hängen. Er lernte Rosa Bieri aus Trachselwald kennen und lieben. Deshalb sind die Horbatys heute auch in der Schweiz.
Welche Eindrücke haben Sie vom Dorf Ihrer Vorfahren mitgenommen?
Lypivtsi ist ein kleiner Ort mit etwa 1000 Einwohnern mit noch sehr ursprünglicher Landwirtschaft – und einer Handvoll Familien Horbaty. Das Durchschnittseinkommen da beträgt 230 Euro …
Sie wohnen seit ein paar Monaten in der Stadt Basel, haben also dem Waldenburgertal den Rücken gekehrt. Weshalb?
Ja, wir wohnen seit Mai 2021 in Basel in einer kleinen Wohnung. Kulturelle und kulinarische Leckerbissen haben wir direkt vor der Haustüre, was im Alter mit gegebenenfalls eingeschränkter Mobilität ein grosser Vorteil ist. Zuvor waren wir 17 Jahre in Langenbruck (Bärenwil) und zwei Jahrzehnte in Niederdorf zu Hause.
Sind Sie wegen der Bauarbeiten für die Waldenburgerbahn quasi geflüchtet?
Nein, überhaupt nicht! Ich denke: Wenn Bund und Kanton 350 Millionen Franken ausgeben, ist das eine grosse Chance für die Entwicklung im Tal. Apropos: Bei der Rückfahrt aus der Ukraine sind wir durch die Slowakei gefahren und haben zufälligerweise das Waldenburgerbähnli gesehen.
Sie haben in Ihren aktiven Berufsjahren vieles in Sachen nachhaltiger Energie angestossen und initiiert, haben viele Gemeinden beim Erreichen des Labels «Energiestadt» begleitet und auch viele Projekte aufgegleist. Wenn Sie selber eine Bestandesaufnahme Ihres Wirkens machen müssten: Was haben Sie erreicht, was nicht?
Das Label «Energiestadt» – ursprünglich 1990 aus der Umweltbewegung heraus entstanden – ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte. Mittlerweile können sich 465 Gemeinden im Land mit diesem Label schmücken. Dank dieses Labels ist es gelungen, Ziele in der Energie- und Klimapolitik auf eine clevere Art dynamisch auf kommunaler Ebene zu verankern. Dass es dieses Label in der Schweiz immer noch gibt und dass es gelungen ist, es auch auf europäischer Ebene als «European Energy Award» zu zünden (mittlerweile in 11 Ländern und 1400 Städten präsent), erachte ich als grossen Erfolg. Enttäuscht bin ich handkehrum vom Ergebnis in Sachen Windenergie. Da sind wir leider noch nicht sehr weit gekommen in der Schweiz.
Woran lag es, dass Sie nicht alles, was Sie sich vorgenommen haben, erreicht haben? Am politischen Willen? Am Geld? Am Projekt selber?
Projekte hat es, und Geld wäre vorhanden. Es sind die Einsprachen, die solche Projekte bodigen. Dass das zwischen Autobahn und Rangierbahnhof geplante Windkraftwerk im Juni dieses Jahres von der Muttenzer Gemeindeversammlung wegen der möglichen Geräusche abgelehnt wurde, ist für mich unverständlich. Es wäre ein Wahrzeichen geworden für die Region Basel. Ich denke, es fehlt noch an der sozialen Akzeptanz der Windenergie.
Stichwort «Energiestadt»: Sissach hat dieses Label relativ früh – anno 1997 – erhalten. Viele andere haben es auch geschafft. Gehe ich richtig in der Annahme, dass ein solches Label nicht reicht, um unsere Energie- und Klimaprobleme zu lösen?
Ja. Gemessen an den notwendigen Zielen der letzten Klimakonferenz reicht es noch nicht. Man müsste die Zielvorgaben verschärfen und noch mehr Tempo vorgeben.
Was braucht es denn, damit unser Land seine Klimaziele erreicht?
Zunächst: Den Hype mit der Elektromobilität und den elektrischen Wärmepumpen sehe ich relativ skeptisch. Denn von nichts kommt nichts. Und die Antwort liegt bereits auf dem Tisch in Form von Forderungen nach neuen AKW. Ein Vorteil der Elektromobilität ist, dass die Energie CO2-neutral hergestellt werden könnte. Nur: Wer von diesen Elektro-SUV-Besitzern, die Zweieinhalb-Tonnen-Autos mit einer halben Tonne schweren Batterie ausgerüstet bewegen, bezieht Ökostrom oder hat Solarpanels auf dem Dach? Es braucht einerseits eine deutlich effizientere Energienutzung, andererseits sicher eine massive Verstärkung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Da zähle ich Grosswasserkraft dazu. Den Kampf der Grünen gegen die Erhöhung der Grimselstaumauer verstehe ich nicht. Man könnte dort bei vorhandener Infrastruktur zusätzlich substanziell erneuerbare Energien erzeugen, dadurch aber andere Standorte so belassen, wie sie sind.
Lassen Sie uns kurz auf die verschiedenen Energieträger eingehen. Was sagen Sie zu den fossilen Brennstoffen?
Selbst wenn es noch Öl und Gas hat: Es geht heutzutage einfach nicht (mehr), dass man diese verbrennt.
Wie steht es um die Erdwärme? Hat da Basel vor etwa 15 Jahren zu früh kalte Füsse bekommen, als es bei den Bohrungen zu kleineren Erdbeben gekommen ist?
Man hat es vermutlich zu wenig antizipiert, dass es zu Erdbeben kommen könnte. Geothermie wäre eine gute Möglichkeit, um zu nachhaltiger Energie zu kommen.
Die Windenergie haben wir schon tangiert. Woran liegt es, dass diese Energie hierzulande so unpopulär ist? Ist es wegen des Landschaftsschutzes, wegen der Geräusche oder wegen Vögeln, die zu Schaden kommen könnten?
Was die Vögel anbetrifft: Salopp gesagt ist eine Windturbine für die Vögel etwa gleich gefährlich wie eine Katze. Und den verglasten Häusern fallen viel mehr Vögel zum Opfer als einem Windrad.
Stichwort Kernkraft – eine ketzerische Frage: Haben wir diesen Energieträger zu früh abgeschrieben? Müsste man nicht gerade aus Klimagründen wieder vermehrt auf AKW setzen?
Der Abbau von Uran ist nicht CO2neutral, die Abfall- und Entsorgungsproblematik ist noch immer nicht gelöst – und aus politischer sowie aus ökonomischer Sicht sind neue AKW wohl kein Thema in der Schweiz.
Sicher. Das heisst konsequenterweise, dass wir beim Wasser, der Sonne, beim Holz und der Erdwärme ansetzen müssen …
Genau. Meiner Meinung nach müssen wir alle diese Optionen nutzen und weiterentwickeln. Aber die Kernkraft gehört nicht mehr dazu!
Haben Sie persönlich die Hoffnung, dass die Menschheit in Sachen Klima die Kurve kriegt?
Selbstverständlich habe ich Hoffnung. Aber ob es geschieht, da bin ich je länger, je skeptischer. Um die Kurve kriegen zu können, bräuchte es deutlich grössere Anstrengungen und dazu ein gesellschaftspolitisches Grundverständnis. Doch leider läuft es in vielen Ländern der Erde auf eine Spaltung hinaus. Das haben wir im Vorfeld der CO2- und Covid-Abstimmung auch bei uns gesehen.
Was tun Sie selber, um möglichst nachhaltig und CO2-neutral zu leben?
Wir verzichten neuerdings auf ein Auto. Für Ausnahmesituationen gibts Mobility. Unser Konsumverhalten, zum Beispiel der Fleischkonsum, trägt dem Klimawandel Rechnung. Aber ich muss eingestehen: Würde ein Klimaaktivist mein Leben untersuchen, müsste er feststellen: Beim Horbaty gäbe es noch Luft nach oben …
Was kann jeder von uns tun?
Bewusster einkaufen, weniger konsumieren, verzichten. Es ist für mich ein grosser Widerspruch, dass Kapitalismus nur mit Wachstum und weiterem Konsum funktioniert – und dies in einer endlichen Welt. Wenn ich nur daran denke, was beispielsweise am «Black Friday» jeweils alles gekauft wird! Abgesehen davon frage ich mich: Müssen wir denn unbedingt jeden Hafenkäse aus den USA kopieren?
Weshalb sind Sie damals als Schüler auf die Energie-Thematik gestossen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Es war die damalige Auseinandersetzung um die Atomenergie.
Wenn Sie heute nochmals 20 wären – was gäbe es aus Robert Horbaty?
Vielleicht wäre ich mehr in die politische oder publizistische Richtung gegangen. Wer weiss …
Nun sind Sie im (Un-)Ruhestand. Wie sieht ein durchschnittlicher Tag im Leben des Robert Horbaty aus?
Mehrfach pro Woche bin ich in meiner Funktion als technischer Leiter der Wanderwege beider Basel unterwegs. Entweder irgendwo am Wandern oder auf der Geschäftsstelle in Liestal. Mittlerweile kenne ich fast jeden Wander-Wegweiser im Baselbiet persönlich.
Wie sieht Ihre «Bucketlist» für 2022 aus?
(Überlegt länger.) Ein eigentliches Projekt habe ich nicht. Solange es geht, möchte ich die Wanderungen weiterführen. Und alle Land- und Bergbeizen besuchen.
Welches ist im Oberbaselbiet die Ihrer Meinung nach schönste Wanderroute?
Von Reigoldswil über Lauwil, Ramstein und den Ulmet über den Vogelberg nach Langenbruck oder hinab nach Waldenburg. Für diese Route müssen Sie aber etwa 6 bis 7 Stunden Zeit haben.
Zur Person
rob. Robert Horbaty, geboren 1951, macht eine Lehre als Mechaniker, danach ist er anderthalb Jahre auf Reisen in Asien. Zurück in der Schweiz, arbeitet er bei Sulzer in einem Labor; in dieser Funktion hat er beruflich viel mit der Atomenergie zu tun. Anschliessend jobbt er zwei Jahre als Beleuchter im Zürcher Opernhaus, danach heuert er bei der Firma Elektro GmbH an, die seit den 1950er-Jahren im Bereich Windräder tätig ist. Er hört vom Ökozentrum Langenbruck und hat mit einer Blindbewerbung Glück. 1993 macht er sich selbstständig und gründet die Enco AG: Diese Firma mit Sitz in Liestal berät die öffentliche Hand und Organisationen bei der Umsetzung einer nachhaltigen Energiepolitik.
Robert Horbaty ist von 1988 bis 1993 während sechs Jahren im Gemeinderat von Langenbruck tätig. Er ist Mitbegründer und erster Geschäftsführer der Adev Energiegenossenschaft. Diese Organisation baut und betreibt seit 1985 smarte, dezentrale, erneuerbare Kraftwerke und Heizzentralen (Ende 2018 besass die Adev Gruppe rund 115 Produktionsanlagen, die 2018 gut 36 Millionen Kilowattstunden Strom und 13 Millionen Kilowattstunden Wärme produzierten). Heute ist Robert Horbaty technischer Leiter und Vizepräsident der Wanderwege beider Basel. Zusammen mit seiner Partnerin lebt er in Basel.