«Der Kampf ‹Mann gegen Mann› fasziniert»
04.01.2022 Baselbiet, Weitere Sportarten, Bezirk Liestal, SportToggenburg | Jörg Abderhalden freut sich auf das «Eidgenössische» in Pratteln
Im Sommer ist es so weit: Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest wird zum ersten Mal im Baselbiet ausgetragen. Mit von der Partie ist der Schwingerkönig und heutige Schwingexperte Jörg ...
Toggenburg | Jörg Abderhalden freut sich auf das «Eidgenössische» in Pratteln
Im Sommer ist es so weit: Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest wird zum ersten Mal im Baselbiet ausgetragen. Mit von der Partie ist der Schwingerkönig und heutige Schwingexperte Jörg Abderhalden. «Bestehende Infrastrukturen sollte man nutzen», findet Abderhalden.
Luana Güntert
Als einer von nur gerade drei Schwingern wurden Sie in Ihrer Karriere dreimal Schwingerkönig. Woher nahmen Sie die Beständigkeit, um jahrelang an der Spitze zu sein
Jörg Abderhalden: Ich habe mich im Lauf meiner Karriere weiterentwickelt. Meine Athletik und meine Technik wurden immer besser. Als ich das erste Mal Schwingerkönig wurde, war ich 19 Jahre alt. Mein Körper hat es mir erlaubt, mich stetig zu verbessern.
Wie hat sich das Sportangebot im Toggenburg verändert, wenn man die Zeit von Ihren Anfängen mit 2021 vergleicht?
Als ich angefangen habe mit Schwingen, war ich acht Jahre alt. Bei uns gab es wenige Sportangebote und für mich war damals klar, dass ich schwingen will und Ski fahren gehe. Heutzutage ist die Auswahl für Kinder viel grösser und vielfältiger, es hat für jeden was dabei.
Wie haben sich die Schwingfeste verändert?
Die Schwingfeste selber, die Geschehnisse auf dem Schwingplatz, haben sich nicht wirklich verändert, eher das ganze «Drumherum», also die mediale Präsenz und die Werbung.
Was sind die Kriterien für einen idealen Austragungsort eines Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes (Esaf) aus Sicht eines Schwingers? Wie sehen Sie die Situation in Pratteln?
Für mich wäre es wichtig, dass man bestehende Infrastrukturen nutzen könnte. Ist dies nicht möglich, wäre zu versuchen, die neu gebauten Anlagen auch im Nachhinein zu nutzen.
Inwiefern ist der Standort einer Austragung für Athleten wichtig?
Nur für die Dauer der Anreise (lacht). Als Athlet ist man fokussiert auf den Sport. Wertvoll ist vor allem, wenn die Einrichtung, die Unterbringung sowie alles Weitere gut organisiert sind. Das hängt meistens von den Menschen ab, die mit einem selbst oder für ein Schwingfest arbeiten. Als Athlet bekommt man nicht so viel vom Ort selber mit, hat aber dann den Ort immer mit einer Erinnerung präsent, das ist schön. Als Experte oder Zuschauer kann man den Ort zudem noch besuchen und auch das Ambiente auf dem Festgelände geniessen.
Welcher war Ihr Lieblingsstandort eines Esaf?
Für mich war Bern 1998 sehr speziell. Wir waren im alten Wankdorf-Stadion, das hat mich sehr beeindruckt. Ich wurde zum ersten Mal Schwingerkönig, das trägt natürlich auch zur Wahl des Lieblingsorts bei. Aber ich muss sagen, dass mir Aarau und Luzern auch sehr gefallen haben.
Als 28-Jähriger hatten Sie bereits drei Königstitel. Drei Jahre später haben Sie Ihre Karriere mit 31 Jahren bereits beendet. Es gibt viele erfolgreiche Schwinger, die älter sind. Warum gaben Sie so früh Ihren Rücktritt?
Meinem Körper hatte ich bis dahin viele Strapazen zugemutet. Ich wollte mit einem guten Resultat schwingerisch abschliessen. Es war mir auch wichtig, dass mein Körper unverletzt in die «Schwingpension» gehen kann.
Wie haben Sie als Schwingexperte die Pandemie bisher erlebt? Wie war die Stimmung in den Verbänden?
Es war schwierig. Ich bin im Umfeld des Schwingclubs Wattwil und Umgebung sowie im Nordostschweizer Verband noch ab und an im Schwingkeller anzutreffen und daher nahe bei den Schwingern. Für die Aktiven war es immer wieder eine Herausforderung, mit den ständig angepassten Weisungen umzugehen und neue Trainingsmöglichkeiten auszuprobieren. Aber auch für die Organisatoren blieb bis jetzt eine Unsicherheit, die Planungen schwierig macht. Immerhin darf wieder geschwungen werden. Im Jahr 2020 war Kampfsport eine Zeit lang verboten, das war nicht ideal, denn der Kampf Mann gegen Mann muss im Sägemehl trainiert werden.
Fanden Sie die Trainingsverbote und Regeln berechtigt oder hätten Sie anders entschieden
Ich war froh, diese Entscheidung nicht selber treffen zu müssen.
Zurück zu Ihrer Aktivzeit: Welcher war Ihr unangenehmster Gegner?
Ich hatte keinen Gegner, den ich fürchtete. Für mich bestand die Herausforderung darin, dass meine Gegner immer besser auf mich eingestellt waren, je erfolgreicher ich wurde. Deshalb musste ich meine Schwingart immer wieder anpassen.
Finden Sie, Schwingen ist nur etwas für Männer, oder begrüssen Sie die Schwingfeste für Frauen und die Krönung einer Schwingerkönigin?
Ich finde es immer gut, wenn sich Frauen und Männer für eine Sportart entscheiden und diese mit Leidenschaft ausüben. So ist das auch beim Schwingen.
Welchen Sport hätten Sie ausgeübt, wenn Sie eine Frau wären?
Ich wäre wahrscheinlich noch mehr Ski gefahren.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Begleiten Sie Ihre Kinder zu Jungschwingertagen?
Nein, meine Kinder schwingen nicht. Aber meine Frau und ich unterstützen unsere Kinder mit viel Freude bei ihren Hobbys und begleiten sie an Trainings und Wettkämpfe. Sie sind alle Skirennen gefahren und das ist ein aufwendiger Sport. Unser Sohn ist heute noch im Kader des Ostschweizer Skiverbands. Die Menschen, die sich im Skisport engagieren, haben von der Art her viel Ähnliches mit den Menschen im Schwingsport.Wir geniessen die Zeit zusammen sehr.
Beim «Samschtig-Jass» amten Sie als Schiedsrichter. Wie kamen Sie zu diesem Job?
Als Ernst Marti vor zehn Jahren seine letzte Sendung als Jass-Schiedsrichter hatte, haben mich die Verantwortlichen als prominenten Gast eingeladen. Ernst Marti sollte bei seiner letzten Sendung die Gelegenheit haben, am Tisch mitzujassen. Deshalb sprang ich als Schiedsrichter ein. Beim Gehen sagte ich, mehr als Spass gemeint: «Falls ihr mal einen Schiedsrichter braucht, meldet euch wieder.» Und das haben sie dann nach dem Rücktritt von Dani Müller gemacht.
Der Job trägt weiter zu Ihrer Bekanntheit bei. Werden Sie oft um Autogramme oder Selfies gebeten?
Es kommt vor, aber nicht mehr so oft wie früher. Meistens werde ich nur an Schwingfesten und Events darum gebeten. Ich freue mich immer, wenn meine Leistungen auch mehr als zehn Jahre nach meinem Rücktritt noch anerkannt werden.
Schwingen Sie noch hobbymässig oder stiegen Sie nie mehr in die Schwingerhosen?
Schwingen kann man nicht nur «hobbymässig», man kann ja nicht einen halben Schwung machen oder etwas weniger ziehen. Aber ich stehe ab und zu als Trainer im Schwingkeller oder gebe Tipps weiter.
Was ist für einen Schwinger neben dem Schwingen das Tollste an einem Esaf?
Der Sonntagabend gehört meistens den Aktiven. Wenn die Zuschauer den Heimweg antraten, konnten wir als Aktive erst anfangen, auch etwas zu feiern. Dieses Beisammensein mit den Kameraden habe ich immer sehr genossen.
Weshalb wird das Esaf immer populärer und zieht so viele Zuschauer an, während andere Traditionen eher verloren gehen?
Der Wunsch nach Wurzeln, Brauchtum und Beständigkeit hat in dieser hektischen Zeit wieder an Bedeutung gewonnen, und der Kampf «Mann gegen Mann» fasziniert seit jeher.
Wer ist Ihr Favorit für Pratteln?
Die Saison 2021 hat gezeigt, dass die Jungen im Vormarsch sind und dass sie sich in der Pandemie nicht ausgeruht haben. Aber auch die Älteren sollte man nie unterschätzen. Deshalb ist es schwierig, eine Voraussage zu treffen.
Wie sähe Ihr Traum-Schlussgang aus?
Als Nordostschweizer würde ich mir natürlich einen Schlussgang mit Nordostschweizer Beteiligung wünschen.
Noch zwei Fragen aus Sicht von Schwinglaien: Wie unangenehm ist es eigentlich, Sägemehl zu schlucken?
Eine Niederlage schmerzt jeweils mehr.
Was haben Sie mit den gewonnenen Munis gemacht?
Ich habe sie immer verkauft, da ich selber kein Landwirt bin und sie nicht hätte behalten können.
Welcher war Ihr Lieblingsmoment 2021?
Es gab 2021 einige Momente, die ich mit meiner Familie erleben durfte, an die ich gerne zurückdenke. Aber speziell und toll war, dass unsere älteste Tochter bereits volljährig wurde und wir als Eltern die Kinder ins Erwachsenwerden begleiten dürfen.
Worauf freuen Sie sich im neuen Jahr?
Schwingerisch ist der Schwägalp-Schwinget immer ein Highlight. Und dann natürlich das kurz darauf stattfindende «Eidgenössische». Ich bin gespannt, wie sich die Jungen entwickelt haben, die sich im Jahr 2021 an die Spitze geschwungen haben. Beruflich freue ich mich auf interessante Projekte mit meinem Unternehmen, der AAK Holzmanufaktur. Privat freue ich mich auf die Ferien mit meiner Familie.
Zur Person
lug. Jörg Abderhalden wurde 1979 geboren und wuchs im Toggenburg auf. Nach seiner Schulzeit hat er eine Schreinerlehre mit Berufsmatura absolviert. In seiner Karriere wurde er dreimal Schwingerkönig: 1998 in Bern, 2004 in Luzern und 2007 in Aarau. Mit seiner Frau Andrea hat er drei Kinder und wohnt in Nesslau (SG).