«Das Angebot muss nicht überall gleich sein»
31.12.2021 Baselbiet, Buus, Gemeinden, Bezirk SissachGemeindepräsidentin Nadine Jermann will mehr Freiheiten für Gemeinden
Den bürgernahen Gemeinden gehört die Zukunft: Diese Überzeugung vertritt Nadine Jermann dezidiert. Die Gemeindepräsidentin von Buus und Bankrätin bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank verlangt im Interview mit ...
Gemeindepräsidentin Nadine Jermann will mehr Freiheiten für Gemeinden
Den bürgernahen Gemeinden gehört die Zukunft: Diese Überzeugung vertritt Nadine Jermann dezidiert. Die Gemeindepräsidentin von Buus und Bankrätin bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank verlangt im Interview mit der «Volksstimme» mehr Gemeindeautonomie.
André Frauchiger
Frau Jermann, Sie können eine vielseitige Laufbahn vorweisen – von einer leitenden Funktion in der amerikanischen Firma Mars bis zur Gemeindepräsidentin von Buus. Wie kam es dazu?
Nadine Jermann: Nach Abschluss des Wirtschaftsstudiums an der Universität St. Gallen begann ich bei der amerikanischen Firma Mars als Management Trainee. In den ersten drei Monaten dieses Programms startet man im Aussendienst. So bekam ich ein Auto und eine Kundenkartei und wurde losgeschickt. Das war für mich ein top Einstieg. Denn ich konnte die Kundenbedürfnisse kennenlernen und musste Lösungen für die Kundenprobleme erarbeiten. Nach diesem Einstieg blieb ich dem Marketing und der Firma Mars treu, und dies während 16 Jahren. Es wurde mir nie langweilig. Ich durfte unter anderem zur Lancierung der Schokoladenmarke Celebrations eine eigene Fernsehwerbung für die Schweiz drehen. Diese wurde später sogar in Deutschland ausgestrahlt. Nach einigen Jahren in verschiedenen Positionen im Marketing wurde ich als Marketingleiterin Food in die Geschäftsleitung der Firma berufen. Zwei Jahre später kamen die Bereiche Public Affairs und Unternehmenskommunikation dazu. Es war eine schöne und lehrreiche Zeit, wobei es natürlich auch schwierigere Phasen gab: den Frankenschock, einen verstärkten Margendruck, betriebsintern viele Diskussionen über die Kostenstruktur.
Und weiter?
Aus privaten Gründen bin ich mit meiner Familie 2014 wieder ins Baselbiet zurückgekommen und habe meine Beschäftigung in Zug zugunsten meiner Familie aufgegeben. Als ich im Sommer 2014 die Anfrage für einen Sitz im Bankrat der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) erhalten habe, habe ich mich dafür beworben und bin 2015 vom Landrat in dieses Gremium gewählt worden. Die BLKB ist eine tolle Bank: regional verankert, gut geführt, innovativ – und sie erzielt gute Ergebnisse. 2019 habe ich zusätzlich das Präsidium der BLKB-Jubiläumsstiftung – heute BLKB-Stiftung für Kultur und Bildung – übernommen. Sie ist für mich eine Herzensangelegenheit. Es geht um die Unterstützung der lokalen und regionalen Kultur und um Ausbildungsförderung. Im Jahr 2015 wurde ich in den Gemeinderat von Buus gewählt. Und im Dezember 2016 hatte ich als frischgebackene Gemeindepräsidentin die erste Gemeindeversammlung zu leiten, als erste Frau in dieser Position in Buus.
Sie sind also seit fünf Jahren Gemeindepräsidentin. Was wurde in dieser Zeit erreicht?
Besonders hervorzuheben gibt es unsere Kreisschule, die wir zusammen mit Maisprach betreiben. In nur zwei Jahren ist es gelungen, die gemeinsame Idee der beiden Gemeinderats-Gremien in die Realität umzusetzen. Damit konnte die Schule in den beiden Dörfern behalten und die Qualität verbessert werden. So haben wir heute nur noch Jahrgangsklassen, nicht mehr Mehrjahresklassen. Zurzeit besuchen rund 150 Kinder die Kreisschule. Die Kindergärten sind nach wie vor in beiden Dörfern. Neu ist: Die 1. und 2. Primarklasse ist für alle in Maisprach, die 3. bis 6. Primarklasse in Buus.
Was sind Ihre Kernaufgaben als Gemeindepräsidentin?
Letztlich ist es die Leitung der Gemeinde und des Gemeinderats. Wir sind verantwortlich für den Vollzug der Gesetze von Bund und Kanton und natürlich auch der Bestimmungen auf Gemeindeebene. Auch die Repräsentationen unserer Gemeinde an Anlässen im Dorf und in der Region sind wichtig. Ich und meine Kollegen im Gemeinderat sind natürlich auch Ansprechpartner für die Bevölkerung. In der Gemeinde Buus arbeiten der Gemeinderat und die Gemeindeangestellten als Team zusammen. Das ist mir sehr wichtig.
Was interessiert Sie an Politik und Wirtschaft?
Man kann sowohl als Bankrätin bei der BLKB als auch als Gemeindepräsidentin mit Engagement etwas bewirken. Beides ist regional, ja lokal, und man kann Sachen bewegen und umsetzen. Es ist keine Planung im Elfenbeinturm, sondern nahe am Geschehen, nahe bei der Bevölkerung und deren Bedürfnissen.
Zu den Finanzen der Gemeinden: Die Verschuldung auch gut situierter zeigt sich in diesem Jahr besonders stark. Wie sehen Sie diese Entwicklung, und was ist zu unternehmen?
Die Verschuldungsquote ist auch andernorts in der Schweiz höher geworden, es ist nicht nur ein Baselbieter Problem. Wichtig ist beim Schuldenmanagement, dass die Laufzeiten der Rückzahlungen diversifiziert und genau in den Budgets und in den Jahresrechnungen berücksichtigt werden. Grundsätzlich gilt immer: Eine Gemeinde muss die Kosten im Griff haben, inklusive Schuldzinsen. Investitionen müssen langfristig sorgfältig geplant sein. Es soll aber auch nicht aus Spargründen zu einem grossen Investitionsstau kommen, das wäre völlig falsch und kontraproduktiv. Auf der Ausgabenseite muss überlegt werden, welche Aufgaben wirklich gemacht werden sollen und in welcher Qualität. Richtig ist aber auch, dass 70 bis 80 Prozent der Ausgaben heute gebunden sind. Sie können von einer Gemeinde kaum beeinflusst werden.
Fühlen Sie sich vom Kanton im Stich gelassen?
Baselland ist vergleichsweise zentral organisiert und reguliert. Doch Gemeindeautonomie ist sehr wichtig. Eine Gemeinde wie zum Beispiel Reinach lässt sich von der Grösse, aber auch der Bevölkerungsstruktur her nicht mit einer Gemeinde wie Buus vergleichen. Das Angebot muss aber auch nicht überall gleich sein. Mit einer grösseren Autonomie der Gemeinden können die lokalen Behörden vor Ort überlegen, wie sie ihre Gemeinden aufstellen wollen und was sie sich leisten können. Die Organisation der entsprechenden Massnahmen sollte in den Händen der Gemeinden liegen. Bei den Einnahmen können wir nicht Schritt halten mit den grossen Gemeinden im Unterbaselbiet. Die Steuerkraft wächst erfreulicherweise zwar im ganzen Kanton, aber im Unterbaselbiet stärker als im Oberbaselbiet. Zusätzlich wird das Wachstum durch Rückzonungen aufgrund des neuen Raumplanungsgesetzes eingeschränkt. Als logische Konsequenz daraus gibt es auch nicht mehr Steuereinnahmen oder Anschlussgebühren für Wasser und Abwasser.
Wie handhaben Sie das Thema «Auszonungen von Bauland» in Ihrer Gemeinde?
Wir haben in Buus zwar noch Bauland, aber nicht mehr allzu viel. Deshalb sind wir von Rückzonungen nicht betroffen. Allerdings haben wir bereits erschlossene Parzellen, die wir gerne einzonen würden. Einzonungen können zum heutigen Zeitpunkt wegen des neuen Raumplanungsgesetzes des Bundes aber kaum mehr vorgenommen werden.
Wie finden Sie Entschädigungen für Landeigentümerinnen und Landeigentümer, wenn deren Land rückgezont wird und sie dann nicht mehr über wertvolles Bauland verfügen?
Es ist letztlich eine politische Frage. Die Gemeinden müssen den gesetzlichen Auftrag umsetzen und rückzonen. In den Gemeinden stellt sich die Frage der Entschädigung. Es wird auf jeden Fall schwierig. Und es braucht Kompromisse. Es ist nicht schwer vorauszusehen, dass die Rückzonungsfragen zu einem beträchtlichen Teil auf gerichtlicher Ebene entschieden werden dürften. Klar ist aber, dass das Raumplanungsgesetz des Bundes auf Gemeindeebene vollzogen werden muss.
Bei den Schulen herrscht bei den Kompetenzen und Beiträgen ein gewisses Durcheinander zwischen Kanton und Gemeinden. Was sagen Sie dazu?
Die Forderung der Tagsatzung der Baselbieter Gemeinden zur Mitfinanzierung der Personalkosten des Kindergartens und der Primarschule wurde vom Regierungsrat aufgenommen. Wir Gemeinden diskutieren mit dem Kanton über eine Neuaufteilung der Kosten, insbesondere der Lohnkosten für die ganze Lehrerschaft. Der Kanton reguliert, die Gemeinden müssen einfach mitbezahlen. Ich bin dafür, dass die Primarschule in allen Klassenstufen bei den Gemeinden bleibt. Denn Primarschulen, Läden, Restaurants und weitere Infrastrukturen für das Leben der Menschen gehören einfach zu einer Gemeinde. Andere Kantone verteilen die Kosten zwischen Kanton und Gemeinden besser, zum Beispiel im Aargau. Bei den Kostensteigerungen im Bildungswesen müssen Kanton und Gemeinden zusammen in den «sauren Apfel» beissen. Aber auch die Gemeinden müssen ihre Aufgaben machen und Schulzusammenschlüsse ernsthaft und genau prüfen.
Wohlhabende Gemeinden sagen, sie müssten heute zu viel in den Finanzausgleich bezahlen. Trifft dies zu?
Es ist richtig, dass wir hier im Oberbaselbiet vom Finanzausgleich abhängig sind. Alle Gemeinden ausser Sissach sind Nehmergemeinden. Die Steuerkraft ist im oberen Kantonsteil einfach wesentlich kleiner als im unteren. Die Gemeinde Buus lebt von rund 1,9 Millionen Franken Steuereinnahmen und 1,3 Millionen Franken aus dem Finanz- und Lastenausgleich. Wir haben rund 1100 Einwohnerinnen und Einwohner im Dorf. Man versucht auf der Ausgabenseite schon, clever zu agieren und Kosten zu sparen, zum Beispiel auch durch Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden. Aber bei den Einnahmen ist es aus strukturellen Gründen schwierig, etwas zu verändern. Ohne Wachstum gibt es auch kaum zusätzliche Einnahmen.
Hilft die Wirtschaftsförderung in ausreichendem Masse?
Das wirtschaftliche Potenzial des Kantons – und entsprechend ausgerichtet ist auch der Fokus der kantonalen Wirtschaftsförderung – ist in erster Linie im «Speckgürtel» rund um die Stadt Basel zu finden. Aber wir hätten sicherlich auch im Oberbaselbiet in gewissen Regionen noch Potenzial, zum Beispiel auf der Siedlungsachse Sissach–Böckten–Gelterkinden. Diese befindet sich in der Nähe der Autobahn und der Zughauptlinie Basel– Mittelland. Hier könnte die Wirtschaftsförderung meiner Meinung nach den Gemeinden noch eine stärkere Unterstützung geben. Zudem gibt es noch Potenzial als Naherholungsgebiet. Als Beispiel könnte man den Kanton Thurgau nennen. Dieser ländliche Kanton hat es geschafft, erfolgreich Naherholungsgebiet zu sein – für Menschen aus dem Kanton St. Gallen, aber auch aus Deutschland.
Müsste Baselland Tourismus diesbezüglich auch vermehrt gepusht werden?
Ja, aber in Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Es stellt sich die Frage, wie die Landwirtschaft mit Tourismus verbunden werden kann. Kann das Baselbiet zum Beispiel das Potenzial als Weinbaugebiet noch besser nutzen, auch touristisch? Vor allem als Naherholungsgebiet muss das Oberbaselbiet angepriesen werden.
Wie steht es mit der Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen hinaus?
Diese ist gerade für Buus als Grenzgemeinde sehr wichtig. Wir arbeiten mit unseren fünf benachbarten Aargauer Gemeinden zusammen, zum Beispiel beim Wasser, beim Zivilschutz oder auch beim Abfallverbund.
Welche Visionen haben Sie für Buus?
Für Buus wünsche ich mir weiterhin eine hohe Wohnqualität, unabhängiger zu werden vom Finanzausgleich, eine zeitgemässe, bedürfnisgerechte Infrastruktur und eine hohe Dienstleistungsqualität. Es muss auf Gemeindeebene auch der zunehmenden Digitalisierung Rechnung getragen werden. Diese ist gerade im ländlichen Gebiet besonders wichtig. Und die Partnerschaften mit den Nachbargemeinden sind zu intensivieren und Synergien zu nutzen.
Tragen Sie sich mit dem Gedanken, auch in die kantonale und/oder eidgenössische Politik einzusteigen?
Die Gemeindepolitik gefällt mir sehr. Denn auf dieser Ebene wird Sachund nicht Parteipolitik betrieben. Ich bekomme die Bedürfnisse der Menschen zu spüren. Das gibt es so nur auf der Gemeindeebene. Deshalb sehe ich mich zum heutigen Zeitpunkt weder in der Kantons- noch in der nationalen Politik.
Zur Person
fra. Nadine Jermann ist 49 Jahre alt und in Buus aufgewachsen. Sie ist verheiratet und Mutter eines zwölfjährigen Sohnes. Im Jahr 2015 wurde sie Mitglied des Bankrats der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB). Zudem wurde sie in den Gemeinderat von Buus gewählt. Ein Jahr später war sie bereits Gemeindepräsidentin. 2019 kam das Präsidium der BLKB-Stiftung für Kultur und Bildung hinzu. Nadine Jermann ist parteilos und bezeichnet sich als bürgerlich und wirtschaftsfreundlich.