Winterfreuden am Plastikmeer

Um Weihnachten herum haben sie Spanien erreicht, die Zugvögel aus dem Norden. Sie säumen die Strassen und füllen die Parkplätze entlang des Meeres. Sie sammeln sich vor allem in Andalusien, weil dort die Küste in den Wintermonaten am wärmsten ist. Gemeint sind die Überwinterer aus Deutschland, der Schweiz, Holland, Belgien und Frankreich. «Weissware» werden die weissen Wohnmobile etwas abschätzig genannt. Obwohl überall Verbotsschilder das Parken der Wohnmobile am Strand untersagen, drückt die spanische Polizei ausserhalb der Saison ein Auge zu und lässt die Leute gewähren. Alles andere wäre bei Tausenden von Campern eine Sisyphusarbeit. Wird trotzdem einmal durchgegriffen, flattert die Schar zwar auf, lässt sich aber schon in der nächsten Bucht wieder nieder. Mancher erspart sich so einen ganzen Winter lang die Kosten für den Campingplatz.

Als Zugvogelneuling flattere ich seit einigen Wochen im weissen Schwarm mit. Aber ich bin noch immer hin- und hergerissen, ob mir mein Winterquartier gefällt oder nicht. Auch wenn ich jetzt den Zorn aller Liebhaber der andalusischen Küste auf mich ziehe: Wie kann man eine Landschaft schön finden, die in weiten Teilen aussieht wie eine stillgelegte Kiesgrube, gespickt mit Bauruinen und gesäumt von einem riesigen Meer aus Gewächshäusern? Es gibt hier tatsächlich Campingplätze, die auf drei Seiten von diesem Plastikozean umschlossen sind. Damit es einem nicht gerade ablöscht, wenn man den Platz und sein Drumherum sieht, sind ein paar mickrige Palmen als Sichtschutz gepflanzt worden. Und freitags lenkt eine Folkloregruppe mit Tänzen vom Elend ab.

Zusammen mit Sonne und Meer scheint das vielen Campern einen Winter lang zu genügen. Denn da stehen sie, dicht an dicht. Die Dickschiffe für hunderttausend und mehr Franken genauso wie die selbst ausgebauten Billigvehikel. Manche bleiben bis zum Frühsommer. Ein Überwinterer hat mir auf meine Verwunderung über dieses trostlose Quartier einmal gesagt: «Wenn du auf dem Campingplatz stehst, siehst du die Gewächshäuser ja nicht. Und sonst musst du sie dir halt wegdenken.» Ich weiss nicht, ob ich zu einem solchen Kraftakt der Verdrängung fähig bin. Da braucht es wohl eher ein paar sprichwörtliche Tomaten auf den Augen, damit das Plastikchaos aus meinem Gesichtsfeld verschwindet. (Apropos Tomaten, die sind hier gar nicht so preiswert, wie ich das erwartet hätte. Und das, obwohl ich ihnen vom Bett aus beim Wachsen zusehe.) Ich könnte es auch mit Wein versuchen, das Wegdenken, meine ich. Den gibt es günstig in 5-Liter-Kanistern.

Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt nicht Ihre geplanten Campingferien in Andalusien verdorben. Hören Sie nicht auf mich. Es ist wirklich sehr schön hier. Die Sonne scheint, das Meer rauscht, die Plastikplanen knattern leise im Wind. Und wenn sich die Idylle trotzdem nicht so richtig einstellen will, denken Sie an Tomaten. Und Wein.

Yvonne Zollinger ist ehemalige «Volksstimme»- Redaktorin und lebt in ihrem Wohnmobil.

HERZBLUT

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