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22.10.2021 GesellschaftFröhliche Weihnachten
Wir durchleben seltsame Zeiten. Ein Zoonose-Virus stellt alles auf den Kopf. Sogar in der beschaulichen Schweiz keift man sich an. Individualistische Autoritätsskeptiker contra gruppendynamische Vernunftmenschen. Die seit Längerem ...
Fröhliche Weihnachten
Wir durchleben seltsame Zeiten. Ein Zoonose-Virus stellt alles auf den Kopf. Sogar in der beschaulichen Schweiz keift man sich an. Individualistische Autoritätsskeptiker contra gruppendynamische Vernunftmenschen. Die seit Längerem anwachsende zwischenmenschliche Distanz gebiert etwas, das uns unseren egozentrierten Lifestyle unter die Nase reibt. Angst geht um. Gesundheit, ökonomische Sicherheit, der Komfort des selbst gemachten Nestes, unsere Pläne, Wünsche und Träume: Alles scheint bedroht. Entsprechend macht sich Verzweiflung breit hinter den Schutzmasken.
Im Hintergrund wurde derweil weltumspannend der digitalisierte Albtraum optimiert. Und selbst unbequeme Wahrheiten wie der schleichende kognitive Super-GAU nicht nur der jüngeren Generation reichen nicht aus, Facebook den Rücken zu kehren. Eine solche Konsumfixierung sagt mehr aus über ein Individuum als eine gender- und LGBTQ2S+-konforme Statusmeldung oder ein gefiltertes Profilbild.
Vieles gibt zu denken in diesen pandemischen Tagen. Das Verhältnis unserer Gesellschaft zum Tod? Inexistent! Hinter Altersheimmauern wird es unter grosse Opfer forderndem Ressourcenaufwand einbalsamiert, während unter der Wohlstandskäseglocke die Illusion absoluter Sicherheit weiter mit der Giesskanne über den Häuptern ausgeschüttet wird. Lebensfreude, Selbstverantwortung und gesunder Menschenverstand sterben dabei so schnell weg wie draussen die Insekten und Vögel.
Und dann die Sache mit dem Klima. Erst vor Kurzem hingen wir als Jäger und Sammler noch nach Halt ringend an der Steilwand der Nahrungskette. Ein paar Tausend Jahre später grüssen wir von deren Spitze – und blicken zurück auf die grösste Erfolgsgeschichte des Ausradierens anderer Spezies in der Geschichte der Evolution. Wir haben uns die Erde untertan gemacht, jetzt pflügen wir sie noch um und imprägnieren sie aus Gründen der Effizienz hübsch mit Selbstgebrautem. Dass die gigantische Menge an Brennstoff, der unser Fortkommen seit der Industrialisierung hyperbeschleunigt hat, nun die Geschicke gegen uns kehrt, mutet an wie die Definition von der Ironie der Geschichte.
Es wird langsam unangenehm unter der Käseglocke. Wir scheinen gefangen im Anthropozän. Entsprechend dünnhäutig sind wir geworden. Kein guter Nährboden für die Toleranz, die zentral wäre für Lösungen angesichts der Herausforderungen unserer Zeit. Diversität ist der magische Schlüssel zum Leben. Ändern wir nichts, werden wir die erste Spezies dieses Planeten, die ihren eigenen Untergang zu dokumentieren vermag.
Und bevor ich es vergesse, wünsche ich jetzt schon fröhliche Weihnachten!
Patrick Moser (47) ist ehemaliger Redaktor der «Volksstimme» und heute Primarlehrer im Kanton Aargau sowie Sänger und Gitarrist bei «Lion Minds». Er wohnt mit seiner Familie in Anwil.