HERZBLUT
26.10.2021 GesellschaftSpontan
«Also. Sagen Sie mir spontan drei Sätze, die wir nachher in diesen Computer schreiben», bittet mich der Ergotherapeut, «einfach etwas Belangloses.» Ergo ist lateinisch, fällt mir ein, und heisst «also». Beginnt er also deshalb ...
Spontan
«Also. Sagen Sie mir spontan drei Sätze, die wir nachher in diesen Computer schreiben», bittet mich der Ergotherapeut, «einfach etwas Belangloses.» Ergo ist lateinisch, fällt mir ein, und heisst «also». Beginnt er also deshalb seine Sätze mit «Also»? Und dann dieses «wir». Tippen wir den Kurztext tatsächlich übers Kreuz wie bei einer vierhändigen Klaviersonate, eine Kreutzersonate also? Oder hauen wir ihn abwechslungsweise Wort für Wort auf seinen Laptop?
Die Aufgabe eines Ergotherapeuten ist es, die Fingerfertigkeiten seiner Patientinnen und Patienten zu verbessern. Man knüpft Knöpfe in der Therapie und setzt «Zusammensetzlis» zusammen. Und der Therapeut lässt eben alle Typen tippen und notiert säuberlich, wie oft sie die Delete-Taste drücken mussten, dieses elektronische Tipp-Ex. Ein Ergotherapeut ist nicht zu verwechseln mit den Fachleuten, die Grossmäulern Mäuler stopfen. Das sind Egotherapeuten.
Dieser Kalauer müsste unbedingt auf meine drei Sätze verdichtet werden, denke ich und hirne. Da unterbricht er mich mit der Feststellung, dass ich gemäss seinen Unterlagen offenbar Journalist sei und es mir deshalb bestimmt sehr leichtfalle, drei belanglose Sätzchen zu erfinden. Beim Wörtchen «Sätzchen» betont er die zweite Silbe auffällig. Offenbar geht er davon aus, dass in meinem Berufsstand Sätze «erfunden» werden. Nein. Der Journalismus ist stets der Wahrheit verpflichtet. Gut, in einer Kolumne ist es durchaus erlaubt, mal ein klein bisschen zu übertreiben. «Eine Kolumne ist, wenn man …», beginne ich, mir auf den Lippen zurechtzulegen.
Da kommt er mir zuvor. Ich solle mir nicht zu viel überlegen. Die meisten Leute, die ihm gegenübersitzen und irgendetwas ohne tieferen Sinn in seinen Computer schreiben sollen, würden etwa zu Sätzen greifen wie: «Ich sitze hier gegenüber einem Ergotherapeuten und sollte drei Sätze niederschreiben, ohne dabei zu viel zu überlegen. Dabei scheint draussen die Sonne.» Was denkt der? Ein Journalist kopiert sicher nicht andere. Ich beginne zudem nie einen Satz mit «ich». Und ein Schachtelsatz darf es schon noch sein, damit der Therapeut sieht, dass dieses Grossmaul ihm gegenüber auch noch die Kommaregeln beherrscht.
Da fällt mir ein, dass ich für die heutige Zeitung eigentlich schon lange eine Kolumne in meinem Kopf mitschleppe. Sie dreht sich um einen fiktiven Krieg der Lager Procontra Contra-Coronamassnahmen. Da aber offen ist, für welches er selber ins Feld ziehen würde, begrabe ich die Idee. Reizthemen eignen sich nicht für Belangloses.
«Okay, spontan», sage ich und hole aus: «Gegenüber einem Ergotherapeuten – Komma – der stets ein grünes T-Shirt trägt – Komma, da Schachtelsatz – sitze ich. Sanft schleicht der Neb…» Da hebt sich ein Arm im grünen T-Shirt. Die Hand deutet auf die Uhr. «Wir machen morgen hier weiter. Also können wir uns bis dann drei Sätze überlegen.»
«Darf es wieder belanglos und spontan sein?»
Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»