Die Pandemie als letzter Tropfen
07.10.2021 Arisdorf, Vereine, BaselbietNach 121 Jahren löst sich der Musikverein Arisdorf auf
Müde vom Kampf um eine anständige Zahl von Mitgliedern hat der Musikverein Arisdorf beschlossen, sich nach 121 Vereinsjahren aufzulösen. Corona war nicht schuld am Ende, die Pandemie beschleunigte es höchstens. Ein allgemeiner ...
Nach 121 Jahren löst sich der Musikverein Arisdorf auf
Müde vom Kampf um eine anständige Zahl von Mitgliedern hat der Musikverein Arisdorf beschlossen, sich nach 121 Vereinsjahren aufzulösen. Corona war nicht schuld am Ende, die Pandemie beschleunigte es höchstens. Ein allgemeiner Flächenbrand ist in der Dorfmusikszene aber nicht auszumachen.
Jürg Gohl
22 stramme Männer; daneben ein neunköpfiges Grüppchen: Das erste Bild zeigt den stolzen Musikverein Arisdorf (MVA) im Jahr 1952, das andere den gleichen Verein 69 Jahre später. Auf dem aktuellen Foto befindet er sich gerade auf der Vereinsreise, die für einmal gleich drei Tage dauerte, mit einer Fahrt mit dem Glacier-Express als Höhepunkt. Ein Mitglied fehlt auf dem Bild, doch das verfälscht die Realität nur unwesentlich.
Der Musikverein gönnte sich etwas Besonderes, denn es handelte sich um die letzte Vereinsreise. Nachdem die diesjährige Generalversammlung wegen der Pandemie mehrfach verschoben werden musste, entschieden die Mitglieder in diesem Frühjahr, dass sie ihren Verein auflösen. Der Vorsatz, den Verein bis zu seinem 125-Jahre-Jubiläum noch vier Jahre lang künstlich am Leben zu erhalten, wurde nie ins Auge gefasst. «Es tut uns im Herzen weh», schreibt der Verein am Ende seines Beitrags, in welchem er sich im jüngsten Gemeindeanzeiger verabschiedet.
Stattdessen kümmert sich jetzt ein Liquidationskomitee darum, was mit den Besitztümern des Vereins – das sind neben dem rein finanziellen Vermögen auch die Instrumente und die Musikliteratur – geschehen soll. Immerhin wurde ein Teil des Guthabens in die Abschlussreise gesteckt.
Es bleiben die «Nuggisuuger»
Abgesehen von der stark bestückten Guggenmusik «Nuggisuuger» sind damit alle der Musik verbundenen Vereine innert weniger Jahre aus dem Dorfleben verschwunden. Es wird nicht mehr konzertant musiziert, nicht mehr gesungen, nicht mehr gejodelt. Der örtliche Musikverein muss sich nicht vorwerfen lassen, inaktiv gewesen zu sein: Er spielte bei Vereinsempfängen, am 1. August, am Banntag, am Eierleset, an Gottesdiensten, an Gemeindeanlässen und lud regelmässig zum Jahreskonzert. Doch es fehlten zunehmend die Mitglieder. «Wir holten traditionell die Turner ab», sagt Christine Reichenstein-Surer, die letzte Präsidentin, mit einem bitteren Lachen, «auch wenn wir dabei manchmal nur sieben Nasen waren.» Sie stellt auch fest, dass Musikvereine in den beiden Basel allgemein kränkeln, wenn sie die Situation mit der Inner- oder der Ostschweiz vergleiche. Dort würden die Musikvereine eine weit höhere Bedeutung geniessen.
Sie hätten «selbstverständlich» allerhand unternommen, um den Schwund abzuwenden, fährt sie fort. Sie musizierten mit der örtlichen Schule, riefen mehrfach dazu auf, einmal bei Proben vorbeizuschauen, egal mit welchem Instrument und mit welchem Können. So stiess auf diese Weise neben einem Saxofon sogar eine E-Gitarre hinzu, die eigentlich nicht in die traditionelle Dorfmusikszene passt. Zudem spannte der MVA vermehrt mit Seltisberg zusammen.
Ein altes Sorgenkind
«Da müssen wir uns nichts vorwerfen lassen», betont sie. Doch die Erfolge stellten sich nur tröpfchenweise ein. «Es ermüdet, immer kämpfen zu müssen», sagt die Präsidentin. Als die Arisdörfer Musikerinnen und Musiker 2007 an den internationalen Blasmusik-Marathon nach Prag fuhren, reihten sich immerhin noch 20 Personen zum Gruppenfoto auf.
Die Einschränkungen und Ungewissheiten, die sich wegen der Pandemie ergaben, haben die Aufgabe, neue Mitglieder zu finden, zusätzlich erschwert, doch Christine Reichenstein hält fest, dass es nun zu billig wäre, die Vereinsauflösung damit zu begründen. «Das Grundproblem besteht schon lange. Corona war höchstens noch das Tüpfelchen auf dem i», sagt sie klar.
Verein war wichtiger
Die nun vereinslosen Arisdörfer Mitglieder werden der Musik in unterschiedlicher Weise grösstenteils erhalten bleiben. Einige spielten bereits parallel bei den «Nuggisuugern» oder dann konzertant bei der Stadtmusik Liestal und werden sich nun darauf konzentrieren. Auch Christine Reichenstein, die selber die Trompete spielt, sprang bei den Liestalern immer einmal aushelfend ein und gedenkt, das weiterhin zu tun. Doch sich einem neuen Musikverein anzuschliessen, kommt für sie nicht infrage. «Der Musikverein Arisdorf ist für mich ein Stück Familiengeschichte», sagt sie, «der Verein lag mir näher am Herzen als das Musizieren an sich.»
Und sie fügt noch einen anderen Grund an, weshalb für sie persönlich Musikvereine und damit das Vereinsleben der Vergangenheit angehören, ihn hören viele Funktionäre nicht gerne: «Die Pandemie hat mir gezeigt, dass es ja ganz gut auch ohne Verein geht», sagt sie, «Corona macht faul.»