AUSGEFRAGT | PETER BERNHARD, SOLIST, «BOXOPERA»
22.10.2021 Gesellschaft«Wir zeigen Otellos gespaltene Persönlichkeit»
Kommenden Freitag wird die Musiktheater-Gruppe Boxopera in der Oberen Fabrik mit «Otello – Liebe, Intrige, Mord» die Oper Otello so zeigen, wie es sie noch nie gab. Peter Bernhard (1963), Solist ...
«Wir zeigen Otellos gespaltene Persönlichkeit»
Kommenden Freitag wird die Musiktheater-Gruppe Boxopera in der Oberen Fabrik mit «Otello – Liebe, Intrige, Mord» die Oper Otello so zeigen, wie es sie noch nie gab. Peter Bernhard (1963), Solist und künstlerischer Leiter, über Schauspiel, Schizophrenie und Schlägereien.
Anna Uebelhart
Herr Bernhard, «Boxopera» bezeichnet sich als «das etwas andere Musiktheater». Was ist denn anders?
Peter Bernhard: Wir halten uns an das philosophische Prinzip «Thinking outside the box». Wir beleuchten die Oper von einer anderen Seite und erreichen so vielleicht auch Menschen, die sonst nicht in eine Oper gehen würden. Ausserdem schaffen wir eine Nähe zum Publikum, die bei einer grossen Oper mit Orchestergraben nicht möglich ist.
In der Konzeption der Oper «Otello» liegt der Fokus ganz klar auf dem besessenen, gar schizophrenen Otello, also Ihrer Rolle. Wie gelingt es Ihnen, diese Figur zu verkörpern?
In jedem Menschen verbergen sich viele unterschiedliche, auch düstere Facetten. Als Schauspieler und Sänger lernt man in der Ausbildung, sowohl diese dunklen als auch die hellen Seiten herauszukehren. Das braucht viel Arbeit und Zeit, denn mit einer solch komplexen Figur reift man über einen längeren Zeitraum. Ich arbeite schon seit zweieinhalb Jahren an der Figur und werde auch die nächsten fünf Jahre daran arbeiten.
Für die «Boxopera»-Produktion haben Sie alle Chor- und Massenszenen gestrichen, die sonst ein fester Bestandteil der Oper sind. Was macht das mit der Oper?
Es wird zu einem Kammerstück, was es eigentlich auch ist. Denn in der Originalfassung gibt es nur am Anfang und während des dritten Aktes grosse Chor-Szenen, sonst ist vieles sehr intim. Indem wir die Massenszenen weglassen, können wir die Geschichte, um die es wirklich geht, anders transportieren.
Lässt sich das Stück auf die heutige Zeit übertragen?
Ich denke schon, denn es widerspiegelt auch aktuelle gesellschaftliche Phänomene wie Intrigen, Fake News und Gewalt. Bei «Otello» geht es ausserdem um das Überschreiten von Grenzen, und ich glaube, das ist eines der Zeichen unserer heutigen Zeit. Früher hätte man zum Beispiel bei einer Schlägerei aufgehört, auf den anderen einzuprügeln, wenn er zu Boden ging. Heute macht man weiter.
«Boxopera» kombiniert die Oper «Otello» von Verdi und das Werk «Othello» von Shakespeare. Welchen Effekt hat diese Kombination?
Bei der Oper von Verdi bekommt man gegen Ende fast Mitleid mit Otello. Man nimmt ihn als Opfer wahr, obwohl er seine Geliebte Desdemona tötet. Shakespeare ist in seiner Sprache oft viel brachialer, zynischer und polemischer. Man sollte am Ende mit Othello kein Mitleid haben. Tatsache ist, dass er über längere Zeit brutal mit seiner Geliebten umgeht und sie dann vorsätzlich umbringt. Dass das, was er tut, nicht entschuldbar ist, wird bei unserem Stück sehr klar ersichtlich.
Haben Sie eine Lieblingsszene?
Die ganze Oper ist fantastisch. Für einen Sänger ist der Part des Tenors etwas vom Schönsten, das man singen kann. Eine Szene, die mir besonders gut gefällt, ist die Szene im zweiten Akt kurz vor der Pause. Darin ist Otello stark hin- und hergerissen und versucht vergeblich, den richtigen Weg zu finden. Aber auch der vierte Akt gefällt mir sehr, weil sich Otello dort so zart zeigt, wie er sonst im ganzen Stück nie ist.
Welchen Herausforderungen begegnen Sie als Sänger?
Wenn man an der Seite eines Orchesters singt, gehen kleine, nicht perfekt gelungene Stellen schnell unter. Bei dieser Produktion arbeiten wir mit Klavierbegleitung. Dadurch ist der Sänger sowohl stimmlich als auch musikalisch viel ausgesetzter, also in gewisser Weise nackter. Eine weitere Herausforderung ist, dass wir alle Szenen, in denen Otello sich normalerweise erholen würde, gestrichen haben. Ich singe also praktisch die ganze Zeit durch. Dazu kommt, dass die Rolle sehr emotional ist.
Wieso kommen in der «Boxopera»-Produktion zwei Otellos vor? Was unterscheidet die beiden?
Mit den beiden Figuren können wir seine gespaltene Persönlichkeit zeigen, also den Diskurs, den er im Kopf mit sich selbst führt. Ausserdem wird die Geschichte mit dem Schauspieler-Othello greifbarer, weil er Dinge sagen kann, die er gehört oder gedacht hat, die bei Verdi fehlen.
Sie haben nicht nur in der Schweiz, sondern unter anderem in Deutschland, Argentinien, Italien und Norwegen auf grossen Bühnen gesungen. Da muss Ihnen Sissach direkt klein vorkommen.
Ja, aber ich mag den Kontakt und die Nähe zum Publikum. Ich habe auch schon vor 10 000 Menschen gesungen und ich finde es manchmal sogar schwieriger, vor wenigen Zuhörern zu singen als vor einem Publikum, das man nur noch als Masse wahrnimmt. Mein Anspruch bleibt der gleiche, egal, wie gross der Raum ist und wie viele Zuschauer da sind.
Zur Aufführung
aue. Mit der Produktion «Otello – Liebe, Intrige, Mord» kombiniert «Boxopera» die Oper Verdis mit Texten von Shakespeares «Othello». Die Musiktheater-Gruppe Boxopera erzählt die Geschichte mit den vier Hauptfiguren Otello, Desdemona, Jago und Emilia, einem zusätzlichen Schauspieler und einem Pianisten.
Die Aufführung in Sissach findet am kommenden Freitag, 29. Oktober, um 20 Uhr, in der Oberen Fabrik statt. Gesungen wird in Italienisch, gesprochen in Deutsch.