«Städter wollen den Rundumversorger-Staat»
08.10.2021 Parteien, Politik, SchweizSVP-Landrat und Hauseigentümer-Direktor Markus Meier zum Städte-Bashing seiner Parteispitze
Stadtbewohner beziehen mehr Leistungen vom Staat, als sie dafür an Steuern abliefern. Sie arbeiten weniger als die Landbevölkerung und lassen sich ihren Luxus von der Landbevölkerung ...
SVP-Landrat und Hauseigentümer-Direktor Markus Meier zum Städte-Bashing seiner Parteispitze
Stadtbewohner beziehen mehr Leistungen vom Staat, als sie dafür an Steuern abliefern. Sie arbeiten weniger als die Landbevölkerung und lassen sich ihren Luxus von der Landbevölkerung finanzieren: Mit einer Offensive gegen die Städte hat die SVP Schweiz den Wahlkampf 2023 eröffnet. Wie denkt SVP-Landrat Markus Meier, der auf dem Land lebt und in der Stadt arbeitet, über die Städter?
Christian Horisberger
Herr Meier, Ihre Parteispitze hat den Städten den Kampf angesagt. Was haben Sie gegen die Städter?
Markus Meier: Gar nichts. Ich sehe keinen Anlass dazu.
Fühlen Sie sich auch nicht von den Städtern gegängelt wie SVP-Chef Marco Chiesa und Kampagnenführer und Nationalrat Thomas Matter?
Persönlich nicht unbedingt. Die Stadt hat ihre Eigenheiten und Bedürfnisse, wie auch die Agglomeration. Auf dem Land sieht es noch einmal anders aus. Diese Diversität gehört zu unserem Land und wird so auch bestehen bleiben. Mein Grundsatz ist ‹Leben und leben lassen›. Man soll sich gegenseitig respektieren, keiner soll einem anderen etwas aufs Auge drücken, nur weil er es für sich selber gut findet.
Ihre Parteispitze sieht es anders. Sie spricht von «Stadtschmarotzern» und «Luxussozialisten», die um 8 Uhr aufstehen und in den Finken ins Tram steigen. Um wie viel Uhr stehen Sie auf?
Zwischen 4.45 und 5.30 Uhr. Ich beginne früh damit, die Medien zu konsumieren und erste Arbeiten zu erledigen. Somit fahre ich meist erst nach der Stosszeit auf der Strasse ins Büro nach Zürich, denn ich kann meine Zeit produktiver nutzen, als im Stau zu stecken.
Sind Sie als Frühaufsteher fleissiger oder ein wertvollerer Steuerzahler als ein Langschläfer und Teilzeit-Arbeitender in der Stadt, der sich seinen Luxus von der Landbevölkerung finanzieren lässt?
Es gibt fleissigere und weniger fleissige Menschen, und es wird sie auch immer geben. Dass die klar der Stadt oder dem Land zuzuordnen wären, glaube ich aber nicht. Es ist wie in so vielen Bereichen in unserem Land eine vielfältige Mischung.
Welchen Luxus gönnen sich die Städter konkret auf Kosten der Landbevölkerung?
In der Stadt herrscht viel mehr Etatismus. Deutlich stärker als auf dem Land wird hier verlangt, dass der Staat alles zur Verfügung stellt. Man will den Rundumversorger-Staat mit Gratis-ÖV oder Gratis-Kindertagesstätten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die städtische Politik hat meistens den Anspruch, ihrer Bevölkerung möglichst eine «Vollpension» zu offerieren. Das finde ich nicht gut. Der Staat soll Leistungen subsidiär und dort erbringen, wo diese sinnvoll sind. Meine aktuelle Wahrnehmung ist, dass die Tendenz zum Etatismus durch Covid-19 vielerorts verstärkt worden ist.
Weil der Staat hier stark und bestimmend aufgetreten ist?
Teilweise ja. Und nun soll der Staat plötzlich für alles zuständig sein und alles regeln und tun. Das ist nicht mein Verständnis von der Schweiz und von den Bürgern in unserem Land.
Was ist das Ziel der Kampagne? Tiefere Steuern, eine Umverteilung der Steuerlast oder der Steuergelder?
Lange rühmte sich die Schweiz damit, dass ihre Steuer- und Abgabenlasten weit entfernt von denen anderer Länder seien. Bei einem seriösen Vergleich gibt es heute keinen Grund mehr, stolz auf unsere leider nur einst tiefe Staatsquote zu sein. Im Gegenteil: Sie steigt immer mehr an. Dem ist Einhalt zu gebieten. Hinter dieser Forderung stehe ich voll und ganz.
Also Steuersenkungen für gut und sehr gut Verdienende?
Menschen mit hohem Einkommen leisten mit ihren Steuerabgaben einen überproportionalen Anteil an die Kosten der Allgemeinheit. Hier kommt das Instrument der Steuerprogression zum Tragen. Diese ist sehr deutlich ausgeprägt – teilweise ist die Kurve auch zu steil. Gott sei Dank haben wir den kantonalen Steuerwettbewerb. Hätten wir einen Einheitsbrei, wäre klar, in welche Richtung es ginge: nach oben.
Zahlt Baselland zu viel an Basel-Stadt?
Ich erinnere mich ans Theater um die Theatersubventionen aus dem Baselbiet. Es kam gut heraus, und die Lösung ist inzwischen anerkannt. Wo berechtigt und möglich, sollen solche Beiträge geleistet werden. Was mich in der Debatte störte, war, dass immer sogenannte Zentrumslasten der Stadt in den Vordergrund gestellt wurden. Man sagte, dass nur jene, die in die Stadt kämen, um ein subventioniertes Angebot zu nutzen, profitieren würden …
Aber …?
… unterschlagen wurde der Umsatzfaktor, der in diesem Falle von Theaterkonsumenten in die Stadt getragen wird. In diesem Kontext verstehe ich nicht, weshalb sich die Städte immer mehr abschotten. Mir scheint manchmal, man wolle, dass ja keiner mehr reinkommt, damit man unter sich ist. So finden die Finanzflüsse nicht mehr statt, die stark zum Wohlergehen einer Stadt beitragen. Dessen scheint man sich nicht mehr bewusst zu sein.
Sprechen Sie mit der Abschottung den Individualverkehr an?
Ja. In Zürich oder Basel ist das ein grosses Thema. Ich finde es unmöglich, dass man den ganzen Individualverkehr aus den Städten verbannen will. Ich frage mich, ob es sich auf lange Frist für eine Stadt auszahlt, wenn man Autos als des Teufels erklärt und Parkplatz um Parkplatz gestrichen wird, um dann mehr Platz zum Beispiel für Kistenvelos zu schaffen.
Das Werk links-grüner, städtischer Politiker?
Diesen Eindruck habe ich stark. Die sektiererische Vertreibung des Autos aus Stadtgebieten mit der Streichung von Parkplätzen, Fahrverboten und Tempo 30 im ganzen Stadtgebiet, wie es in Zürich zur Debatte steht, beruht wohl nicht zuletzt auf der komfortablen Lage, dass man als Städter alle paar Minuten in ein Tram steigen kann. Aber man muss auch anderen Bedürfnissen Rechnung tragen. Mir geht es nicht darum, dass sich ein einzelner Verkehrsträger durchsetzt. Es gibt verschiedene, die für jeweils unterschiedliche Einsatzgebiete prädestiniert sind. Deshalb soll man jedes Verkehrsmittel dort einsetzen, wo es sich am besten eignet – Zug, Tram, Bus und das Auto, auf das manche Menschen oft angewiesen sind. Zu denen zähle auch ich mich.
Mit dem Thema könnte sich im Wahlkampf punkten lassen …
Zumindest bei denen, die in der Stadt auf Parkplatzsuche gehen müssen …
(lacht)
Zurück zum Geld: Die Universität erhält jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag vom biet …
Dort wurde ein wesentlicher Schritt gemacht – nicht zuletzt dank der SVP: Heute haben wir ein Modell, das auf der Wirtschaftskraft der Kantone basiert und nicht stur die Kosten 50:50 aufteilt. Der heutige Uni-Deal ist für mich okay. Was mich noch stört, ist, dass aus dem Dreiland oder aus dem Aargau und aus Solothurn, wo auch viele Studierende der Uni Basel herkommen, kein Geld an die Hochschule fliesst. Ausserdem müsste die Hochschule aufgrund ihrer Trägerschaft schon längst Universität beider Basel heissen.
Neun der zehn grössten Schweizer Städte sind links-grün regiert. Warum wählen Städter rot-grün oder ziehen Linke und Grüne in die Städte?
Sicher haben Städte eine gewisse Anziehungskraft auf diese Kreise. In Basel beispielsweise mit der rigiden Verkehrsverhinderungspolitik und den sehr aggressiven Initiativen zugunsten von günstigem Wohnraum. In Städten bilden sich Cluster von Bevölkerungsgruppen; Gleichgesinnte kommen hinzu. Zu solchen Ballungen kann es in einem Dorf auf dem Land weniger kommen. Auch ist das Verständnis für die Konsumation von öffentlichen Leistungen in einer Stadt ganz anders als in einem Dorf. Man ist eher aufs Abholen bedacht als darauf, selber etwas beizutragen. Vielleicht haben es Vereine in Städten auch deshalb viel schwerer als auf dem Land, Mitglieder zu finden.
Warum vermag Ihre SVP in Städten nicht Fuss zu fassen?
Die Ansprüche des Grossteils einer städtischen Bevölkerung werden eher durch linke und grüne Politik bedient. Mit der Zeit beginnt sich das System zu perpetuieren und wird zu einer Spirale.
Nun hat die SVP-Parteispitze die Wähler in den Städten aufgegeben – und versucht sie stattdessen zu schwächen mit Ausgemeindungen und der Neuausschreibung der Hauptstädte. Hat man das Fuder damit nicht überladen?
Als Volkspartei kann sie natürlich nicht sagen, es gebe für sie die Städte nicht mehr. Wir machen eine Politik für die ganze Schweiz. Aber wenn man sieht, dass es an einem Ort kaum Wählerpotenzial gibt, dann richtet man sich danach. So agiert jeder Marketing-Fachmann: Er vertreibt seine Produkte primär dort, wo sie Anklang finden, und nicht da, wo sie im Regal liegen bleiben.
Städte ziehen neben Verbänden wie Ihren auch Firmen, Touristen an. Die Pharma beispielsweise ist der Goldesel der Stadt Basel. Darüber schweigt die SVP. Verkauft Ihre Partei die Wähler damit nicht für dumm?
Bestimmt nicht. Die Urheber der Kampagne kennen diese Hintergründe nur zu gut. Allenfalls hat dieser Aspekt in der grossen Schlagzeile keine Beachtung gefunden. Aber danke fürs Stichwort: Wie die Basler mit ihren internationalen Konzernen umgehen, die das Steuertöpfchen artig und reichlich füllen, ist erstaunlich. Wenn ich wichtige Kunden habe, dann pflege ich diese auch besonders gut, um sie zu behalten. Ich spreche damit nicht die Basler Regierung an, sondern die Stadtbevölkerung, die es vielfach eher als Belastung empfindet, dass die Pharma in der Stadt beheimatet ist. Man nimmt das Gute gerne, aber will von den Begleiterscheinungen nichts wissen. Rot-grüne Träumereien muss man sich leisten können. Das können Städte jedoch nur so lange, wie sie derart potente Steuerzahler haben.
Mit der Offensive gegen die Stadt versucht die SVP den Stadt-Land-Graben tiefer auszuheben. Wo verläuft dieser innerhalb der beiden Basel? An der Stadtgrenze? Am Rand der Agglomeration?
Es wurden schon verschiedene Gräben verortet: der Sarah-Jane-Graben, der Hülftenschanz-Graben … Ich erkenne keinen davon. Ich habe das Gefühl, dass gewisse Medien sie herbeischreiben, damit es Stoff zu publizieren gibt. Die beiden Basel meistern ihre Situation bislang nicht schlecht, selbst wenn es dabei manchmal auch lautere Töne gibt. Die Mentalitäten mögen unterschiedlich sein zwischen städtisch und ländlich, aber weshalb soll das ein Graben sein? Ich möchte ein anderes Bild zeichnen: Ein Graben ist die Ausgangslage für den Bau einer Brücke. Ich finde, wir schlagen die nötigen Brücken meistens, ohne dass effektive Gräben zu überwinden sind. Manchmal ist das leichter, manchmal schwieriger, manchmal geht es gar nicht, weil man sich nicht einigen kann. Das muss man akzeptieren.
Bei der Fusionsfrage konnten sich Stadt und Land nicht einigen. Welche Erkenntnisse zogen Sie daraus?
Es war wichtig, dass die Frage wieder einmal geklärt wurde. Und es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein. Ich bin allerdings der Meinung, dass man bei einem nächsten Anlauf nicht nur an die beiden Basel denken sollte, sondern an die gesamte Wirtschaftsregion. Wenn man etwas neu denken will, dann muss man einen Wurf von einer gewissen Reichweite machen.
Von der Region in die Bezirke: Das Bezirksmehr bei Abstimmungen ist eine weitere Forderung der SVP-Kampagne. Im Baselbiet überstimmt des Öfteren der stadtorientierte Bezirk Arlesheim die ländlicheren Bezirke. Unterstützen Sie die Forderung?
Ich finde das Ständemehr auf nationaler Ebene ein gutes Korrektiv. Ebenso das Zweikammersystem des Parlaments im Bundeshaus. Tatsächlich kann unter den aktuellen Gegebenheiten rechnerisch eine Majorisierung durch den Bezirk Arlesheim stattfinden. Ich würde für das Bezirksmehr nun nicht gleich eine Volksinitiative starten, aber man muss das im Auge behalten. Wir Schweizer mögen es nicht, von einem einzelnen Chef kommandiert zu werden. So könnte es auch schwierig werden, wenn ein Bezirk einen ganzen Kanton dominiert.
Zur Person
ch. Der 60-jährige Markus Meier leitet seit drei Jahren die Geschäftsstelle des Schweizerischen Hauseigentümerverbands in Zürich. Zuvor wirkte er während mehr als 20 Jahren als Geschäftsleitungsmitglied der Wirtschaftskammer Baselland. Zudem präsidierte er den Hauseigentümerverband Baselland. Seit 2013 politisiert er für die SVP im Baselbieter Kantonsparlament. Meier wuchs in Zunzgen auf und lebt seit 30 Jahren in Ormalingen. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.
SVP-Kampfansage an «Schmarotzer-Städte»
sda. Die SVP will die «links-grünen Schmarotzer-Städte» schwächen und zur Kasse bitten. Dafür hat sie ein Bündel Forderungen vorgestellt. Die SVP verlangt «geballte Massnahmen» gegen die «schädliche Schmarotzer-Politik» der Städte.
Sie ist der Ansicht, dass die Städte die Bevölkerung in den Agglomerationen und auf dem Land «abzocken». Die Bewohner der Städte würden viel mehr Leistungen vom Staat beziehen, als sie mit ihren Steuern bezahlen. Die Landbevölkerung müsse sich im Gegenzug von einer «arroganten Bevormundungspolitik» gängeln lassen.
Kurz: Städter arbeiten nach Ansicht der SVP weniger, zahlen weniger Steuern, kosten aber mehr. Um diesen Stadt-Land-Graben zuzuschütten, soll die Schweiz grundlegend umgepflügt werden. Die Partei fordert etwa, dass die Kantonshauptstädte neu ausgeschrieben werden: Die Verwaltung soll in jene Stadt gehen, die diese Leistungen günstig erbringen kann. Weiter verlangt die SVP die Einführung eines «Bezirksmehrs» bei Abstimmungen. Analog zum Ständemehr auf nationaler Ebene soll auf kantonaler Ebene eine Mehrheit der Bezirke zustimmen müssen. Dies würde logischerweise dazu führen, dass linke und grüne Anliegen schlechtere Karten haben, weil diese in ländlichen Bezirken tendenziell eher abgelehnt werden.
Um die Städte zu schwächen, will die SVP diese auch verkleinern: Einst eingemeindete Gemeinden sollen wieder «ausgemeindet» werden. Dies, weil diese Stadtteile oft finanzkräftiger und bürgerlicher sind als die Stadtzentren. Deren Bürgerinnen und Bürger müssten dann also nicht mehr die «linken Ideen» der Zentren mitfinanzieren. Dieser Umbau der Schweiz müsste vorwiegend auf Kantonsebene passieren. Die Sektionen sollen die Themen dann über Vorstosspakete in die kantonalen Parlamente bringen.