Der perfekte Stoss
17.09.2021 Bezirk Sissach, Weitere Sportarten, SportSteinstossen | Vor Esaf-Quali: Eine Anleitung mit dem ehemaligen Schweizer Meister Patrick Thommen
Wer am Samstag in Thürnen im Steinstossen überzeugt, kann sich für diesen Wettbewerb im Rahmen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes in Pratteln qualifizieren. ...
Steinstossen | Vor Esaf-Quali: Eine Anleitung mit dem ehemaligen Schweizer Meister Patrick Thommen
Wer am Samstag in Thürnen im Steinstossen überzeugt, kann sich für diesen Wettbewerb im Rahmen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes in Pratteln qualifizieren. Zeit für eine Anleitung von Patrick Thommen, dem Schweizer Meister 2018.
Sebastian Wirz (Text und Bilder)
Am Samstag fliegen in Thürnen die Steine. Nein, es ist keine Demonstration gegen die Corona-Regeln des Bunds angekündigt. Auf einer eigens eingerichteten Anlage beim Sportplatz findet der erste von drei Qualifikationstagen für die Steinstoss-Wettbewerbe im Rahmen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes (Esaf) statt.
Gestossen wird am «Eidgenössischen» in drei verschiedenen Disziplinen: Der 20-Kilo-Stein wird mit Anlauf und einhändig gestossen. Die 40-Kilo-Variante muss ebenfalls einhändig, aber ohne Anlauf in den Sand befördert werden. Und am Unspunnenstein, einem Brocken von 83 Kilo, versuchen sich die Teilnehmenden beidhändig mit Anlauf. Pro Steingewicht dürfen sich die besten 24 Athleten des Landes am Esaf messen. Wer sich dort mit dem Unspunnenstein für den Final qualifziert, kommt zur seltenen Ehre, vor 50 000 Zuschauenden um den begehrtesten Steinstösser-Titel zu kämpfen.
Wer noch Zeit fürs Training braucht, hat Glück: Am 23. April und am 21. Mai kommenden Jahres gibt es weitere Gelegenheiten, dank eines guten Stosses beim ersten Esaf auf Baselbieter Boden aktiv dabei zu sein. Es ist also an der Zeit, kurzentschlossenen Kraftprotzen eine Anleitung für den perfekten Stoss zu bieten. Die «Volksstimme» hat sich bei Patrick Thommen, dem Schweizer Meister 2018 mit dem 18-Kilo-Stein und Athleten des TV Thürnen, Tipps geholt.
Trainiere zielgerichtet!
«Es gibt kein ideales Training für alle Steingewichte», sagt Thommen. Unterschiedliche Stärken sorgen in den verschiedenen Disziplinen für Erfolg. Während beim 20-Kilo-Stein das Tempo im Vordergrund steht, ist beim 40er ohne Anlauf neben der Technik die Maximalkraft am wichtigsten. Beim Unspunnenstein sei es dann schlicht «pure Gewalt», die entscheide. Nur die allerwenigsten Athleten schaffen es, die Ellbogen vor der Abgabe des 83-Kilo-Steins noch etwas zu beugen und einen tatsächlichen Stoss auszuführen. Eher ist neben der Kraft, die es braucht, um den Stein ohne fremde Hilfe hochzustemmen und laufend Fahrt aufzunehmen, die Körpergrösse entscheidend: Ist der Athlet grösser, ist auch der Stein weiter oben und kann etwas länger fallen. Thommen ist «nur» 1.82 m gross. «Es hat es noch nie ein Steinstösser geschafft, an einem Wettbewerb in allen Kategorien ganz vorne zu sein», sagt Thommen. Für den leichtesten Stein wird mehr Tempo trainiert, für den 40er und 83er nimmt die Anzahl zu absolvierender Kniebeugen zu und das Gewicht beim Bankdrücken geht über die 150-Kilo-Marke. Die entsprechenden Steine fürs Training suchen sich ambitionierte Stösser übrigens selber zusammen – ein Besuch im lokalen Steinbruch schafft Abhilfe.
Schlaf nicht zu lang!
«Am Abend vor dem Wettkampf darf man nicht zu früh ins Bett», sagt Thommen. «Zu viel Schlaf macht dickes Blut, es kann dann weniger Sauerstoff umsetzen.» Am Tag selber steht er spätestens vier Stunden vor seinem Einsatz auf und duscht kalt, um «dem Körper das Signal zu geben, dass von ihm heute Maximalleistung gefordert wird». Bis er zum ersten Mal stösst, hat sich Thommen gute 1½ Stunden lang aufgewärmt. Eine Zerrung holt man sich bei solchen Belastungen schnell – und dann ist es aus.
Das ganze Einlaufen hindurch hört Thommen seine Wettkampf-Playlist und ab 30 Minuten vor dem Einsatz ist er mit den Kopfhörern in seiner eigenen Welt. «Auch meine Frau weiss, dass sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit mir reden kann.» Den Kontrahenten sei das ebenso bewusst und die Konzentrationsphase werde nicht gestört. «Allgemein gönnen sich die Steinstösser gegenseitig den Erfolg und greifen nicht zu Psycho-Spielchen oder Ablenkmanövern.»
20 Minuten vor dem Stoss montiert Thommen die Nagelschuhe – immer den linken zuerst, dann den rechten, dann den linken schnüren, dann den rechten, dann die Schnalle beim linken anziehen, dann beim rechten. «Jeder braucht seine Rituale», sagt er. Alles muss stimmen und gewohnt sein. 5 Minuten bevor er stösst, ist Thommen definitiv «im Tunnel».
Wähl deinen Stein!
Bei jedem Wettkampf liegen pro Gewicht mehrere Steine bereit, die sich von der Form und Oberfläche her leicht unterscheiden. «Erstaunlicherweise wählen fast alle Athleten denselben Stein aus», sagt Thommen. Er muss gut in der Hand liegen, das gewünschte Verhältnis von Länge, Breite und Dicke haben.
Thommen legt sich den Stein zurecht, er «putzt» ihn, dreht ihn am Boden. Dann wendet er sich selber vom Ziel ab, konzentriert sich. «Wenn ich wieder nach vorne schaue, bin ich bereit.» Er hebt den Stein, platziert ihn gut auf der starken rechten Hand, streckt den Arm dann in die Höhe und drückt sich den Stein schliesslich ans Ohr. Es ist die letzte Ruhephase, bevor es losgeht.
Mach die richtigen Schritte!
Die Veranstalter müssen beim 20-Kilo-Stein eine Anlaufbahn von mindestens 20 Metern bieten. Jeder Athlet misst seinen individuellen Startpunkt aus. Bei Thommen sind es 17 Meter Anlauf. «Jeder muss genau wissen, wie viele wie grosse Schritte er macht.» Er verlagert das Gewicht etwas auf die Fersen, danach auf die Zehen – und dann geht es schnell.
Der Steinstösser nimmt Tempo auf, ehe die wichtigsten drei Schritte anstehen. Auf dem Thürner Sportplatz ist klar zu sehen, wo der Schweizer Meister von 2018 trainiert: Der Belag ist vertieft, ausgetreten von den unzähligen Trainingsstössen. Thommen winkelt den rechten Fuss an, stemmt sein ganzes Gewicht mit dem linken Fuss in den Boden, stösst den Stein mit voller Wucht und hebt ab. Nach einer halben Drehung landet der 120-Kilo-Brocken auf dem rechten Bein und absorbiert mit Rumpf und Knie die ganze Kraft, um nicht hinter dem Balken zu landen. «Schon nur darauf zu treten, bedeutet einen Nuller.»
Der 20-Kilo-Stein landet bei Patrick Thommen gerne erst nach 8 Metern. Für die Qualifikation für das Esaf dürften in dieser Kategorie 7 Meter reichen. Wer sich das zutraut: Bestes Anschauungsmaterial bietet sich am Samstag in Thürnen. Die Steinstösser machen kein Geheimnis aus ihrem Rezept für den perfekten Stoss. Mit 20, 40 oder 83 Kilogramm.
Qualifikation Steinstossen Esaf, Samstag, 18. September, 9 Uhr, Sportanlage Thürnen
Elia Wyssen ist Schweizer Meister
wis. Bei den Schweizermeisterschaften im Steinstossen vom vergangenen Wochenende hat Patrick Thommen die Qualifikation für den Final mit dem 12,5- und dem 18-Kilo-Stein verpasst. Dagegen brillierte bei den Junioren ein Oberbaselbieter: Elia Wyssen aus Rünenberg siegte mit seinen 12,37 Metern nicht nur in der Qualifikation. Seine 12,50 Meter mit dem 10-Kilo-Stein sicherten dem 2004er im Final den Schweizer-Meister-Titel gegen teilweise zwei Jahre ältere Teilnehmer.
Zur Person
wis. Wenn es ums Steinstossen im Baselbiet geht, führt kein Weg an Patrick Thommen vorbei. Der 36-Jährige stösst für den TV Thürnen seit Jahren auf höchstem Niveau und bei entsprechender Gesundheit in anderen Sphären als seine hiesigen Kontrahenten. 2013 stiess er sich erstmals in Schweizermeisterschafts-Finals und wurde mit dem 18-Kilo-Stein Vierter. 2017 gewann er mit demselben Stein eine Medaille (Bronze) und 2018 wurde er gar Schweizer Meister. Für das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest qualifizierte sich der in Breitenbach Wohnhafte 2016 (20 Kilo: Final, 6. Platz; 40 Kilo: 12.) und 2019 (20 Kilo: 10., 40 Kilo: 15.).