AUSGEFRAGT | DOMINIK ISLER, MITINITIANT VON «DEMENZ MEETS»
10.09.2021 Gesellschaft«Es braucht Mut und Vertrauen»
Morgen Samstag können sich in Basel von Demenz betroffene Menschen austauschen – ob Erkrankte, Angehörige, Pflegende oder Fachleute. Mitinitiant Dominik Isler erklärt, warum man auch lustvoll über die ...
«Es braucht Mut und Vertrauen»
Morgen Samstag können sich in Basel von Demenz betroffene Menschen austauschen – ob Erkrankte, Angehörige, Pflegende oder Fachleute. Mitinitiant Dominik Isler erklärt, warum man auch lustvoll über die Krankheit reden darf, ja soll.
Thomas Immoos
Herr Isler, worum geht es beim «Demenz Meets» in Basel, das morgen stattfindet?
Dominik Isler: «Leichte Stunden zu einem schweren Thema» heisst die Devise an den «Demenz Meets» in verschiedenen Städten. In Basel trifft man sich morgen Samstag im Gare du Nord an der Schwarzwaldallee 200. Hier begegnen sich Menschen mit Demenz, Angehörige, Pflegende, Experten, Fachleute und andere in unkompliziertem Rahmen auf Augenhöhe. «Lustvoll über Demenz reden? Man darf nicht nur. Man muss.» – das ist dabei unser Leitsatz und unsere Mission für die wachsende Zahl Betroffener und deren Angehörige.
Weiss man, wie viele Menschen von Demenz betroffen sind?
Nach aktuellen Berechnungen leben in der Schweiz rund 144 300 Menschen, allein in Basel Stadt sind es rund 5000 Personen, mit einer Form von Demenz. Jede Person wird im Schnitt von drei Angehörigen betreut. Das heisst: Etwa fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung ist von Demenz betroffen, direkt oder als Angehöriger. Nicht zu Unrecht spricht die Weltgesundheitsorganisation WHO von Demenz als einem der «bedeutendsten gesellschaftlichen, gesundheitlichen und ökonomischen Risiken des 21. Jahrhunderts».
An diesem Anlass werden sich auch Betroffene selber äussern. Ist es für Demenzbetroffene nicht besonders schwierig, offen darüber zu sprechen?
Das ist in der Tat so, und das hat mit der Stigmatisierung der Krankheit zu tun. Also braucht es Mut und Vertrauen in uns als Gruppe von Organisierenden und in die Zuhörenden. Wenn es aber gelingt, über die Krankheit und ihren Verlauf zu sprechen, dann sind diese Momente der Offenheit unglaublich intensiv und berührend. Sie ermöglichen uns einen empathischen Blick auf das Wahrnehmen und die Gefühlswelten von Betroffenen. Die Bewegung «Demenz Meets» steht also insbesondere für diesen neuen Umgang mit Demenz: Menschen, die direkt oder indirekt von Demenz betroffen sind – insbesondere Angehörige und Erkrankte. Sie vernetzen sich online und kommen in einer nahegelegenen Stadt, etwa in Basel, zusammen, um Erfahrungen auszutauschen, Inspiration zu finden, Informationen zu sammeln. Diese aktive und unmittelbare Einbindung der Betroffenen fördert deren soziale Teilhabe und vernetzt sie regional sowohl untereinander als auch mit Fachleuten und Pflegenden. Aus diesen Begegnungen schöpfen sie alle Kraft und Zuversicht.
Was kann, soll ich als Angehöriger tun, wenn ich merke, dass mein Vater oder meine Grossmutter Anzeichen von Demenz zeigen?
In aller Regel führt der Weg über die Hausärztin und die Memory Clinic. Das bedeutet Abklärungen und endet in einer Diagnose. Entscheidend ist jedoch nach meiner Erfahrung, was nachher passiert. Und es ist jeder Fall anders. Mir erscheint es wichtig, Rat und Austausch mit anderen Angehörigen zu suchen. Darum gibt es in grösseren Schweizer Städten die «Demenz Meets» und unsere Community auf Facebook. Die Webseite unseres Medienpartners alzheimer.ch bietet ebenfalls gute und wertvolle Informationen.
Über welche besonderen Fähigkeiten muss verfügen, wer eine Demenzkranke oder einen Demenzkranken begleiten will?
Es ist wohl das, was alle Pflegenden mitbringen und was von uns, solange wir nicht betroffen sind, viel zu wenig wertgeschätzt wird: viel Energie, Empathie, Liebe und Demut. Die stützende Begleitung von Familienmitgliedern und Freunden ist viel wert.
Was können die Gemeinden und Behörden für Demenzkranke tun?
Hier verweise ich auf das Demenz-Manifest, das wir gemeinsam mit anderen Organisationen lanciert haben, um die Anliegen der Angehörigen zu sammeln und wiederzugeben. Am stärksten bewegen die drei Themenfelder «Gesundheitsstrukturen», «Entlastung» und «Öffentlichkeit». Das Manifest der Betroffenen bündelt diese Forderungen an die Gemeinden und deren Behörden. Hier möchte ich auf die Webseite www.demenzstrategie.ch verweisen.
Wo und wie können sich Angehörige von Demenzkranken Rat und Kraft holen?
Als erste Anlaufstelle empfiehlt sich sicher der Hausarzt. Auch Alzheimer Schweiz und ihre Sektionen, das Rote Kreuz, Home Instead oder Pro Senectute in der Region bieten umfangreiche Informationen. Meine persönliche Erfahrung zeigt mir, dass eine Vernetzung mit anderen Angehörigen im Grossraum des Wohnorts hilft. Denn nicht überall sind die Betreuungsangebote gleich gut. Nicht selten besteht der «Punktus Knacktus» im weiteren Verlauf der Krankheit in einer umfassenden und kompetenten individuellen Beratung. Hier gibt es, wie häufig in der Schulmedizin, meines Erachtens noch Luft nach oben.
Das «Demenz Meets» findet am Samstag, 11. September, von 8.30 bis 16.45 Uhr im Gare du Nord an der Schwarzwaldalle 200 in Basel statt. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.demenzmeet.ch
Zur Person
tim. Dominik Isler (1973) stammt aus Winterthur. In St. Gallen hat er in Staatswissenschaften promoviert. In Biel gründete er 2009 die Linden 3L AG, die unter anderem Konferenzen, Führungsseminare oder Festivals organisiert und dabei «insbesondere die Zukunftsfähigkeit von Menschen und den Dialog untereinander fördert».