Vom «Cheesmeyer» nach Südafrika
17.08.2021 Kultur, SissachLuisa Tschannen
«Die ganze Landschaft hat endlich das weisse Winterkleid angenommen. Wie ist dies doch herrlich! Hoffentlich kommt bis nächsten Sonntag noch etwas dazu, damit man doch noch ein wenig Schlitteln kann … Ich hatte gestern Abend doch noch dumme ...
Luisa Tschannen
«Die ganze Landschaft hat endlich das weisse Winterkleid angenommen. Wie ist dies doch herrlich! Hoffentlich kommt bis nächsten Sonntag noch etwas dazu, damit man doch noch ein wenig Schlitteln kann … Ich hatte gestern Abend doch noch dumme Gedanken. Ich war wohl recht schläfrig, dass ich mir so was ausdenken konnte. Ich will doch sicher nicht nach dem Süden, um ein bequemes Leben zu führen, nein, ich will arbeiten und wirken so viel wie möglich.»
Aus dem Tagebuch von Maria Kunz, Januar 1919
Maria Kunz wurde 1899 in Sissach geboren. Dort wuchs sie als Tochter eines der Cheesmeyer-Erben in den Stockwerken über dem Warenhaus auf. Ihre Schulzeit verbrachte sie in einem katholischen Internat in Zug. Nach dem Sekundarschulabschluss 1918 bestürmte sie ihre Eltern, eine weitere Ausbildung machen zu dürfen; Maria wollte das Lehrerinnenseminar besuchen oder zumindest Krankenschwester werden. Dass sie einmal Missionarsärztin werden würde, das hatte sie sich damals noch nicht einmal erträumt.
Im Nachlass des Cheesmeyer-Hauses wurde ein Tagebuch gefunden, «Ungelesen Verbrennen» steht auf dessen Umschlag geschrieben.
«Alles was ich Dir erzähle lb. B., soll sein wie ein Gespräch mit den Toten. Nie soll es sonst einem Sterblichen in die Hände fallen.»
Aus dem Tagebuch von Maria Kunz, Januar 1919
Das Tagebuch von Maria Kunz zeigt lebhaft den Konflikt der jungen Frau, welche die Sehnsucht verspürte, anderen Menschen zu helfen, genauso wie ihr eine Abneigung gegen die ihr vorgegebene Zukunft als Ehefrau und Warenhaus-Mitinhaberin innewohnte.
Schon als Kind soll sie zu ihrer Mutter gesagt zu haben, wenn ihr etwas nicht passte: «Mamme, denn gangi grad uf Afrika.»
So belegen es Zeitungsartikel aus dem Baselbieter Staatsarchiv. Und beinahe schickalshaft wurde dieser Wunsch zur Realität. Nach einer langen Auseinandersetzung mit den Eltern wurde ihr schlussendlich genehmigt, sich weiter ausbilden zu lassen.
Denn nachdem die jüngere Schwester Marias mit einem Kaufmann verheiratet war, waren die Finanzen der Familie Kunz gesichert und die Eltern willigten in Marias Wunsch ein. Nach einer Erstausbildung zur Lehrerin und dem Besuch eines Mädchengymnasiums in Fribourg begann sie schliesslich 1930 an der Universität Basel Medizin zu studieren. Mit Abschluss des Studiums schiffte sie sich 1936 als Missionarsärztin nach Südafrika ein.
In den damaligen Städten Südafrikas gab es zwar genügend Ärzte, doch diese waren ausschliesslich für die «Weissen» da. Als «Ärztin für die Schwarzen» versorgte Maria Kunz während beinahe 40 Jahren die afrikanische Bevölkerung «of colour» in der ländlichen Region des Homeland Transkei, heutiges Ostkap.
1942 konnte mithilfe von Geldern der deutschen Missionarsgesellschaft das Glen Grey Hospital aufgebaut werden, dessen Direktorin Maria Kunz bis zur Verstaatlichung im Rahmen der Apartheidpolitik war. Bis zu ihrem Tod arbeitete Maria Kunz als Ärztin der Region rund um das Spital und behandelte auf Rundfahrten durch das Land bis zu 400 Patientinnen und Patienten am Tag gegen Typhus, Syphilis, Tuberkulose und andere Krankheiten und Verletzungen.
Noch heute erinnert man sich dort an sie und die Wertschätzung der Bevölkerung ihr gegenüber hatte sich auch in einem Lied in der Sprache isiXhosa niedergeschlagen, das unter anderem in den Theatervorstellungen im «Cheesmeyer» zu hören ist.
Luisa Tschannen, Autorin dieses Artikels, hat bei der der Stückentwicklung mitgewirkt. Regisseur ist Kaspar Geiger.
Maria Kunz
vs. Maria Kunz wurde am 3. Februar des Jahres 1899 in Sissach geboren und verstarb am 5. Juni 1985 in Queenstown (Südafrika).
Sie gehörte der römisch-katholischen Kirche an. Ausbildung: Seminar Kloster Menzingen; Matura; Studium in Fribourg und Basel, Dr. med.; britisches Staatsexamen in Dublin; tropenärztliche Spezialausbildung in Würzburg und London. Missionsärztin in Mc Kay‘s Neck, Südwestafrika, seit 1936. Zunächst als Fachfrau ganz isoliert. Regierungsärztin und Chefärztin des in der Nähe eröffneten Glen Grey Mission Hospital ab 1941. 40 Jahre lang Medical Superintendant dieses rasch wachsenden Krankenhauses. Daneben bis 1976 Betreuerin von rund 100 000 Menschen in den Dörfern. Sie stellte ihr Gehalt dem Spital zur Verfügung und beschaffte während ihrer Ferienaufenthalte in der Schweiz Mittel für weitere soziale Einrichtungen. Sie wurde mit dem «Lateran-Kreuz», dem höchsten Orden des Vatikans, ausgezeichnet.
Quelle: Personenlexikon des Kantons Basel-Landschaft.
«Haus zwischen den Zeiten»
vs. «Cheesmeyer – Ein Haus zwischen den Zeiten» – ein interdisziplinärer Parcours durch das ehemalige Warenhaus «Cheesmeyer»: Das ambitionierte Kulturprojekt findet vom 21. August bis 19. September in Sissach statt.
Wo sich vor nicht allzu langer Zeit das halbe Baselbiet mit allem eingedeckt hat, was man zum Leben braucht, öffnet die Theatercompany «Texte und Töne» die Türen des ehemaligen Warenhauses «Cheesmeyer» in Sissach mit einem interdisziplinären Parcours durch Zimmer, Treppenhäuser und Abstellkammern. Während eines Monats zeigt sich das Haus mit Theater, Installationen, Musik, Gastronomie, Führungen, Lesungen und Performances der Öffentlichkeit. Das Warenhaus wird zu dem, was es schon immer war, was es heute ist und in Zukunft werden könnte: ein Ort der Begegnung für alle.
In der «Volksstimme» vom 6. August hat der Regisseur Kaspar Geiger über die Recherchen zum ebenfalls neuen Theaterstück über die Sissacher Mundartdichterin Helene Bossert geschrieben.
Das Programm vom 21. August bis 19. September
Jeweils Mittwoch / Donnerstag / Freitag:
16 bis 20 Uhr Parcours durch das ehemalige Sissacher Warenhaus «Cheesmeyer»
Jeweils 20 Uhr Sonderveranstaltung (siehe www.texteundtoene.ch">www.texteundtoene.ch).
Jeweils Samstag / Sonntag:
16 bis 22 Uhr Parcours durch das ehemalige Warenhaus «Cheesmeyer»
18.30 Uhr Theatervorstellung «Maria Kunz»,
20.30 Uhr Theatervorstellung «Wo nimmt Helenchen das Pulver her?»
Infos und Tickets: www.texteundtoene.ch, www.ticketino.ch, 0900 441 441 (1.– / Min.)
In der «Volksstimme» vom 6. August wurde der Untertitel des «Cheesmeyer»-Projekts falsch angegeben. Richtig heisst es «Ein Haus zwischen den Zeiten» (statt «zwischen den Welten»). Wir entschuldigen uns.