Die Impffrage und die Zukunft unserer Demokratie
06.08.2021 GesellschaftWir sind uns oft uneins. Stimmen im Landrat unterschiedlich ab. Handhaben Lebensentscheidungen verschieden, inklusive derjenigen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen oder nicht. Trotzdem begegnen wir uns mit Respekt und Offenheit. Und finden erstaunlich oft einen gemeinsamen Nenner. Vor ...
Wir sind uns oft uneins. Stimmen im Landrat unterschiedlich ab. Handhaben Lebensentscheidungen verschieden, inklusive derjenigen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen oder nicht. Trotzdem begegnen wir uns mit Respekt und Offenheit. Und finden erstaunlich oft einen gemeinsamen Nenner. Vor allem dann, wenn es um die fundamentalen Werte geht, auf denen unser direktdemokratisches System basiert. Und so teilen wir aktuell auch die Sorge um diese Werte, denn wir sehen sie akut bedroht. Wir sorgen uns um unsere liberale, eigenverantwortliche Gesellschaft und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt an sich. Denn die öffentliche Debatte über Corona war von Anfang an polarisierend und hat bereits tiefe Gräben in unsere Gesellschaft gerissen. Die nun scheinbar alles dominierende Debatte über eine «Impfpflicht» hat aber das Potenzial, diese Gräben auf eine zerstörerische Weise zu zementieren.
Ein Teil unserer Politiker und Experten jeglicher Art scheint sich in einem nicht enden wollenden Wettbewerb zu befinden, was die Lautstärke und Absurdität ihrer For derungen angeht. Die Medien nehmen diese «Ideen» dankbar auf und spielen das Karussell der öffentlichen Empörung munter weiter. Von der Markierung ungeimpfter Pflegepersonen bis zur Streichung der Versicherungsdeckung für Ungeimpfte – die mehr oder weniger eindeutige Forderung nach einer Zweiklassengesellschaft wird gerade salonfähig gemacht. Aller Warnungen und Parallelen zu wirklich düsteren Zeiten zum Trotz. Denn diese gibt es: Glücklicherweise mehren sich auch die Wortmeldungen von Persönlichkeiten, die in aller Deutlichkeit warnen; nicht nur vor einer Impfpflicht an sich, sondern auch vor der emotionali- sierten und moralisierten Art und Weise, in der die aktuelle Debatte geführt wird.
Fakt ist: Zu dieser Impfung fehlen jegliche Langzeitstudien. Gleichzeitig haben wir trotz steigender Fallzahlen kaum Hospitalisierungen und Todesfälle. Und auch wenn Letzteres im Herbst wieder zunehmen würde, ist es sehr unwahrscheinlich, dass unser Gesundheitswesen deshalb an den Anschlag kommt. Ausserdem ist mittlerweile klar, dass das Virus auch von Geimpften weitergegeben werden kann, umstritten ist noch in welchem Mass. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Entscheidung für oder gegen eine Impfung eine persönliche, individuelle sein muss. Und dass man darüber sprechen muss. Eine liberale, pluralistische Gesellschaft muss es aushalten, dass erstens offen und sachlich darüber diskutiert wird und zweitens die Menschen sich unterschiedlich entscheiden werden. Dass ein Teil der Bevölkerung lieber in Kauf nimmt, am Virus zu erkranken und potenziell sogar daran zu sterben, als sich impfen zu lassen.
Gerade war Nationalfeiertag. Welch schöne Gelegenheit, sich zu besinnen: Unter welchen Umständen sind wir bereit, unsere dialog- und kompromissorientierten rechtsstaatlichen Prinzipien und Grundrechte über Bord zu werfen? Welche Präzedenzen schaffen wir damit? Wenn wir beide es schaffen, über die Gräben unserer unterschiedlichen Weltanschauung und unserer unterschiedlichen Impfentscheide hinaus einen respektvollen Umgang miteinander zu finden, dann könnte das für viele andere Menschen ebenfalls möglich sein. Das ist zumindest unsere Hoffnung.
Laura Grazioli, Landrätin Grüne, Sissach Stefan Degen, Landrat FDP, Gelterkinden