«Unsere Kultur akzeptieren und respektieren»
23.07.2021 BaselbietFür die SVP weist das Integrationsprogramm für Migranten grosse Lücken auf
Die SVP hat das Referendum gegen den 1,5-Millionen-Kredit für das Integrationsprogramm «KIP 2bis» ergriffen. Das Programm enthalte keine Erfolgskontrolle und keine Sanktionen gegen Integrationsverweigerer, ...
Für die SVP weist das Integrationsprogramm für Migranten grosse Lücken auf
Die SVP hat das Referendum gegen den 1,5-Millionen-Kredit für das Integrationsprogramm «KIP 2bis» ergriffen. Das Programm enthalte keine Erfolgskontrolle und keine Sanktionen gegen Integrationsverweigerer, kritisiert der SVP-Fraktionschef Peter Riebli (Buckten).
Christian Horisberger
Herr Riebli, Sie sagten im Landrat, Sie seien nicht gegen Integration, dennoch stellen Sie und Ihre SVP sich gegen das «KIP 2bis». Ist das Referendum nun ein Protest gegen die gescheiterte Integrationspolitik des Kantons? Oder gegen Immigranten? Oder geht es Ihnen vor allem um die 1,5 Millionen Franken?
Peter Riebli: Es geht ganz bestimmt nicht gegen Migranten oder Ausländer allgemein. Im Gegenteil: Wir sind der Meinung, dass die Leute, die bei uns sind, möglichst gut und schnell integriert werden müssen, damit sie voll an unserer Gesellschaft teilhaben können. Das Referendum richtet sich gegen die Ausgabe der 1,5 Millionen Franken, die unseres Erachtens nicht effizient und zielgerichtet eingesetzt werden. Es ist keine Kontrolle vorgesehen, was mit dem Geld erreicht wird. Wir wollen den Kanton dazu bringen, das Integrationsprogramm nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang aller Integrationsmassnahmen umfassend anzuschauen: Was tun wir? Wie investiert man das Geld am sinnvollsten? Wo macht es keinen Sinn? Wie kann man Integrationsverweigerer entweder dazu bringen, sich zu engagieren oder aber, wie kann der Kanton Sanktionen verhängen, falls nötig? All das lässt das vorliegende Integrationsprogramm vermissen.
Welche Massnahmen halten Sie für unnötig?
Es geht nicht um unnötige Elemente, sondern darum, dass das Programm unvollständig ist. Man will Migrantinnen und Migranten dies und jenes anbieten: hier noch ein «Prospektli», dort noch einen zertifizierten Übersetzer. Es ist bezeichnend, dass im Bericht des Regierungsrats zuerst die Integrationsbereitschaft der Schweizer angesprochen wird und nicht der Integrationswille der Ausländer. Es wird gefördert, gefördert und gefördert und von den Schweizern Offenheit verlangt. Wir aber wollen, dass man sich in einem Integrationsprogramm auch Gedanken darüber macht, was man mit den Leuten macht, die sich nicht integrieren wollen und quasi in einer Parallelgesellschaft leben, ohne jede Bestrebung, Teil unserer Gesellschaft zu werden. Darüber verliert das Programm kein einziges Wort. Auch nicht über die Möglichkeit, Integrationsvereinbarungen zu treffen.
Worum handelt es sich bei dieser Vereinbarung?
Es ist ein konkretes Hilfsmittel, das für Migranten eingesetzt werden kann, die wenig bis keine Integrationsbereitschaft zeigen, um sie gezielt an unsere Gesellschaft heranzuführen und ihnen aufzuzeigen, welche Konsequenzen es hat, wenn sie nicht mitziehen.
Was beinhaltet eine solche Vereinbarung?
Das Instrument ist wohlbekannt und wird in allen Kantonen praktiziert, leider noch viel zu wenig in unserem. Die Vereinbarung wird mit Migranten getroffen, die unser System nicht akzeptieren wollen. Darin werden klare Ziele gesetzt: unsere Sprache lernen, unser Rechtssystem akzeptieren, versuchen, eine Arbeit zu finden, um etwas zum eigenen Lebensunterhalt beizutragen. Wir verlangen von den Migranten Offenheit unserer Gesellschaft gegenüber und dass sie unser Rechtssystem über ihr eigenes stellen. Wer das nicht will oder kann, ist hier am falschen Ort.
Wann ist für Sie ein Flüchtling hier am richtigen Ort und integriert: Wenn er an einer 1.-August-Feier teilnimmt oder wenn er unsere Sprache so gut beherrscht, dass er ins Arbeitsleben einsteigen kann?
Ausländerinnen und Ausländer sollen gleichberechtigt am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Schweiz teilnehmen können und nicht eine Parallelgesellschaft bilden. Diese drei Komponenten machen für mich eine erfolgreiche Integration aus. Ihre eigene Kultur, sofern diese unsere Gesetze nicht verletzt, sollen Migranten daneben pflegen können. Damit habe ich keine Mühe, aber sie müssen auch unsere Kultur akzeptieren und respektieren.
Sie behaupten, «renitente» Migranten lasse man gewähren. Was meinen Sie damit?
Wenn sich im Baselbiet heute jemand keine Mühe gibt, sich zu integrieren, unsere Sprache zu lernen, unser Rechtssystem belächelt oder sich nicht an Regeln hält, wie beispielsweise das Kind in den Schwimmunterricht zu schicken, dann hat das keine Konsequenzen. Wir aber verlangen, dass mit solchen Menschen Integrationsvereinbarungen getroffen werden, mit klaren Auflagen und Konsequenzen, wenn diese nicht eingehalten werden. Notfalls bis zum Entzug der Aufenthaltsbewilligung.
Eine Ausweisung wäre die Ultima Ratio, sagen Sie. Welche «Sanktionen» zögen Sie zuvor in Betracht?
Wenn es um Kinder geht, könnten für Ehepaare Familiengespräche angeordnet werden, in denen ihnen aufgezeigt wird, wie wir in der Schweiz mit Kindern umgehen, was die Rechte von Kindern sind und dass Kinder am Schulunterricht teilzunehmen haben. Das ist nur ein Bespiel. Es gäbe viele Zwischenstufen, ehe es zu einem Entzug der Aufenthaltsbewilligung käme.
Sie nehmen in Ihrer «Carte blanche» vom vergangenen Freitag Bezug aufs Ausland: No-Go-Areas, sexuelle Belästigung, Gruppenvergewaltigungen oder Enthauptungen seien Folgen von missglückter Integration. Versuchen Sie die Bevölkerung mit Angstmacherei für das Referendum zu ködern?
Nein. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich versuche lediglich aufzuzeigen, dass wir möglichst früh Gegensteuer geben müssen, damit es nicht so weit kommt wie im Ausland. Wenn wir zulassen, dass sich Parallelgesellschaften bilden, ist absehbar, dass sich in der Schweiz Situationen ergeben, wie ich sie genannt habe. Im Ausland hat man es verpasst, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass die grosse Anzahl Migranten integriert wordenist, womit Parallelgesellschaften aufgekommen sind. Dies erst dann zu korrigieren, wenn es für alle sichtbar ist, ist extrem schwierig.
Erkennen Sie bei uns solche Parallelgesellschaften oder entstehende?
In der Kommissionsberatung brachten wir die Frage auf. Der zuständige Sachbearbeiter der Direktion erklärte, dass es Anzeichen gebe, dass sich im Kanton Parallelgesellschaften etablieren. Es gebe solche Zirkel.
Das klingt sehr vage.
Das ist grundsätzlich das Problem der Verwaltung; man ist in diesen Fragen immer extrem zurückhaltend, weil von links sonst sofort der Vorwurf der Diskriminierung aufkommt. Es hiess, dass es geschlossene Gruppen gäbe, die soziale Kontrolle auf ihre Mitglieder ausüben und es als nicht nötig erachteten, unsere Sprache zu lernen: Für mich sind das erste Anzeichen einer Parallelgesellschaft.
Ausgewanderte Schweizer gründen auch eigene Clubs, wo sie sich treffen, Schweizerdeutsch reden und gemeinsam Fondue essen ...
Das ist absolut nicht zu vergleichen. Immigranten sollen sich untereinander treffen und ihre Kultur leben können. Aber sie müssen sich ans Recht halten, das im Gastland gilt. Ich schreibe keinem Moslem vor, auf den Ramadan zu verzichten, ich verlange auch keine Assimilation, sondern eine Integration. Ich erwarte, dass sich die Einwanderer hier benehmen wie Schweizer, ohne dass sie ihre kulturellen Eigenheiten aufgeben, sofern diese unserem Rechtssystem entsprechen.
Wie ist die Unterschriftensammlung gelaufen?
Die SVP hat seit längerer Zeit kein Referendum mehr ergriffen, daher dauerte es einige Zeit, bis die Maschinerie in Gang gekommen ist. Trotz Sommerferien haben wir die notwendigen 1500 Unterschriften locker zusammengebracht.
«KIP 2bis» wurde als VAGS-Projekts (Verfassungsauftrag Gemeindestärkung) zusammen mit den Gemeinden erarbeitet. Im Parlament sagten zur Vorlage nur/ fast nur SVPler Nein. Ist eine Volksabstimmung da zu gewinnen?
Davon sind wir überzeugt – wenn wir den Leuten die Konsequenzen aufzeigen können. In der Parlamentsdebatte wurde im Übrigen von fast niemandem bestritten, dass es einen Nachweis braucht, damit das Geld effizient eingesetzt wird. Einzig über den Zeitpunkt war man sich nicht einig. Man wollte das in einem nächsten Schritt regeln. Da waren wir konsequenterweise anderer Meinung; es braucht die Erfolgskontrolle so rasch wie möglich.
Die Messbarkeit des Erfolgs sei schwierig, heisst es in der Vorlage. Wie stellen Sie sich eine Erfolgskontrolle vor?
Es gibt sehr viele Dinge, die man messen kann. Zum Beispiel: Wie viele Personen besuchen Deutschkurse? Auf welchem Level? Welche Abschlüsse machen die Kursbesucher? Wie viele Menschen repetieren mehrfach? Jedem Primarschüler mutet man Prüfungen zu, um dessen Kenntnisse im Französisch zu messen, aber bei Sprachkursen für Migranten soll der Erfolg nicht messbar sein? Es gibt zweifellos Kriterien, die aufzeigen, wie viele Migranten wir mit unseren Angeboten erreichen. Messbar wären auch Klicks auf Websites mit Informationen für Migranten, in die man ziemlich viel Geld investiert, oder die Teilnahme an Willkommensapéros.
Wir reden von nur 1,5 Millionen Franken bei einem 3-Milliarden-Budget des Kantons. Ist der Betrag hoch genug, um die Bevölkerung abholen zu können?
Jede Ausgabe ist kritisch zu hinterfragen. Auch 1,5 Millionen sind ein immenser Betrag, wenn man ihn nicht sinnvoll einsetzt. Zudem geht es um die prinzipielle Frage, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln soll. Mehr als ein Drittel der Baselbieter Bevölkerung sind Migranten. Umso wichtiger ist eine gute Integration, damit die Gesellschaft weiterhin funktioniert.
Geht es der SVP mit dem Referendum nicht auch darum, wieder einmal eine Duftmarke in ihrem Kernthema zu setzen, nachdem die Migration zuletzt in den Hintergrund gerückt ist?
Wir machen kein Referendum des Referendums Willen. Das wäre eine Verpuffung von Energie und Geld. Integration und Migration sind Kernthemen der SVP, die wir immer sehr kritisch betrachten. Wir haben das «KIP 2bis» angeschaut und fanden, es genüge nicht unserem Standard, wie wir Geld bewilligen. Es geht uns um die Sache. Die Duftmarke ist allenfalls positiver Nebeneffekt.
8 Förderbereiche, 20 Massnahmen, 1500 Unterschriften
ch. Im aktuellen Integrationsprogramm «KIP 2bis» des Kantons Baselland werden in acht Förderbereichen über 20 Massnahmen und Angebote finanziert. Diese reichen von der Begrüssung im Rahmen des Erstinformationsgesprächs über die Subventionierung von Sprachkursen bis hin zur Förderung im frühkindlichen Bereich. Das Förderpaket wurde vom Landrat gegen 22 Stimmen bewilligt. Die SVP Baselland hat gegen den Beschluss das Referendum ergriffen. Gestern lief die Referendumsfrist ab, gemäss Fraktionschef Peter Riebli wurden die erforderlichen 1500 Unterschriften locker erreicht. Damit kommt die Vorlage vors Volk. Bei einem Nein zur Vorlage wird die Integration im Baselbiet nicht gestoppt. Der Bund leistet auch Integrationspauschalen. Diese werden weiterhin ausbezahlt und haben mit dem zur Debatte stehenden Programm nichts zu tun. Sollte das Referendum durchkommen, müsste der Kanton ein neues kantonales Integrationsprogramm ausarbeiten.