Offene Türen, offene Ohren
20.07.2021 Gelterkinden, GesundheitJürg Gohl
Esther Freivogel zückt ihre Papieragenda, um nachzuschlagen, an welchem Tag genau ihr das Präsidium des Roten Kreuzes übergeben wurde. Ein verstohlener Blick ins Büchlein verrät, dass die Wochen der Gelterkinderin vollbepackt sind. Deshalb habe sie ...
Jürg Gohl
Esther Freivogel zückt ihre Papieragenda, um nachzuschlagen, an welchem Tag genau ihr das Präsidium des Roten Kreuzes übergeben wurde. Ein verstohlener Blick ins Büchlein verrät, dass die Wochen der Gelterkinderin vollbepackt sind. Deshalb habe sie auch von der elektronischen Agenda auf eine in Papierform zurückgewechselt. «Ich sperre mich nicht gegen neue Technologien», sagt sie, «aber Papier erleichtert mir die Übersicht.»
Tatsächlich könnte der Überblick leicht verloren gehen: Aktuell präsidiert sie die örtliche Spitex und die Wohngenossenschaft Ribi in Ormalingen, gehört dem Stiftungsrat der BLKB-Stiftung für Kultur und Bildung an sowie dem Vorstand des Vereins für Sozialpsychiatrie Baselland. Und eben: Neu, offiziell seit dem 1. Juli, ist sie Präsidentin des Roten Kreuzes Baselland. Zudem steht sie aktuell der Wohngenossenschaft Dübach in Rothenfluh in Finanzfragen beratend zur Seite. «Es geht ja alles wunderbar auf», sagt sie, «und ich finde noch genügend Zeit für mich und meine Familie.» Denn vierfache Grossmutter ist die aktive Kiwanerin auch noch.
Kurz auf politischer Bühne
Das war auch schon anders: Als sie als Parteilose für die EVP von 1983 bis 1987 im Baselbieter Landrat sass, realisierte Esther Schmutz, wie sie damals hiess, dass dies neben Familie und Beruf eine zu grosse Belastung war. Früh sagte sie der Politik Ade. 46 Jahre lang arbeitete sie für die Basellandschaftliche Kantonalbank; ab 1990 war sie Mitglied der Direktion und führte den Sitz in Gelterkinden. Dort war sie in jungen Jahren bankintern die erste Frau an der Kasse, die erste Frau, die eine Niederlassung leitete, und erstes weibliches Mitglied der Direktion.
Aber schon damals engagierte sie sich etwa für das Wohnheim Opalinus, das Schulheim Sommerau oder für die Stiftung Kirchengut der reformierten Kirche und sass im Vorstand ihres lokalen Gewerbevereins. Während 30 Jahren war sie auch für die Basellandschaftliche Gebäudeversicherung tätig, zuerst in der Kontrollstelle, dann von 2004 bis 2020 in der Verwaltungskommission. «Seit ich nicht mehr für die Bank arbeite», sagt sie sich, «kann ich zusätzlich über diese 120 Prozent Arbeitszeit, die ich in der Bank aufwendete, verfügen.»
Dass sie bei einer solchen Ämterdichte manchmal auch skeptische Blicke erntet, weiss sie. Doch sie hält dagegen: «Vieles ergänzt sich.» Mit anderen Worten: In jeder Vorstandscharge kann sie vom Wissen, von den Erfahrungen und vor allem von den persönlichen Beziehungen profitieren. An den drei Bereichen Finanzielles, Bauen und Soziales ist Esther Freivogel bei all ihren Engagements am meisten interessiert. Bei den ersten beiden liegt das an ihrer beruflichen Vergangenheit, in der sie oft mit Bauten zu tun hatte.
Ein Kommen und Gehen
Ihre soziale Ader führt sie auf ihre Kindheit zurück, genauer auf den Bauernhof ihrer Grosseltern im Emmental. Dort herrschte ein Kommen und Gehen nicht nur unter den zahllosen Verwandten. Da sei, erinnert sie sich lachend, etwa auch für die «dicke Bertha» aus dem Dorf, die ebenfalls auf dem Hof wohnte, an Ostern ein Nestchen versteckt worden. Der Philosophie der offenen Tür aus dem Emmental, von den Grosseltern mütterlicherseits, aber auch von ihrem Elternhaus, habe sie später selber nachgelebt – immer offen im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
So musste sie nicht so lange überlegen, ob sie als Vizepräsidentin des Roten Kreuzes zur Präsidentin aufsteigen wolle, wie das bereits vorher Vorgängerin Heidi Schaffhauser aus Wenslingen getan hat. Die abgetretene Präsidentin löste ihrerseits vor fünf Jahren den Gelterkinder Arzt Peter Jenny ab. «Nun kehrt das Präsidium nach dem Abstecher nach Wenslingen wieder hierher zurück», sagt sie. Für wie lange, das könne sie nicht sagen. «Aber garantiert nicht so lange wie mein Vor-Vorgänger», stellt die 69-Jährige mit einem Lachen fest. Peter Jenny war 40 Jahre lang Präsident.
Neu formierter Vorstand
Als Ankündigungsministerin tritt Esther Freivogel nicht an. Es gehe ihr zuerst darum, die Arbeit ihrer Vorgängerin fortzusetzen. Die Geschäftsstelle, die von der Sissacherin Anja Nicole Seiwert geleitet wird, erhält von der Präsidentin Bestnoten. Nun möchte sie den Betrieb vertieft kennenlernen und den einen oder anderen angebotenen Kurs besuchen. «Zwei Hauptaufgaben werde ich weiter vorantreiben», sagt sie, «nämlich unsere Dienste bekannter machen und noch mehr Freiwillige für den Dienst an Mitmenschen finden.»
Wegen Covid-19 wurde die diesjährige Mitgliederversammlung auf schriftlichem Weg abgewickelt. Der siebenköpfige Vorstand traf sich am 10. Juni für den Präsidentinnenwechsel auf dem Dietisberg. Bei dieser Gelegenheit wurde neben Heidi Schaffhauser der frühere Sissacher Gemeindepräsident Ruedi Schaffner verabschiedet und für die beiden der Zunzger Heinz Wiedmer und der Laufner SP-Landrat Linard Candreira im Vorstand begrüsst. Die frühere Bubendörfer Gemeinderätin Beatrice Wessner übernimmt das Vizepräsidium. «Und vielleicht», sagt Freivogel, «dereinst meine Nachfolge.»