MEINE WELT
30.07.2021 GesellschaftZimmermann im Wald
Überraschungen sorgen für Abwechslung in Beziehungen und so kündigte ich dem Gatten an, er könne sein Oldtimerrennen in der Pfeife rauchen. Er müsse stattdessen mit mir an ein Waldseminar.
So versammelten wir uns eines ...
Zimmermann im Wald
Überraschungen sorgen für Abwechslung in Beziehungen und so kündigte ich dem Gatten an, er könne sein Oldtimerrennen in der Pfeife rauchen. Er müsse stattdessen mit mir an ein Waldseminar.
So versammelten wir uns eines Samstags am Waldrand eines Innerschweizer Waldes mit circa 20 anderen Personen um einen Herrn mit Vollbart und Knotenstock. Meine Sorge wuchs, denn mein Zimmermann ist alles, nicht aber esoterisch. Wenn es jetzt nicht nur Bäume, sondern auch um Waldgeister gehen würde, hoffte ich auf eine gruppenverträgliche Reaktion. Schon wurden weitschweifige Beziehungsgeflechte zum Wald und seinen wie auch immer gearteten Bewohnern dargebracht. Ein gewisser A ergoss sich über die bewusstseinserweiternde Wirkung des Waldes auf sein doch sehr buchhalterisch geartetes Wesen. Dann war die Reihe an meinem Lieblingsmenschen. Der erklärte kurz und bündig, er sei hier, weil ihm mitgeteilt worden sei, er müsse an ein Waldseminar und habe schlicht keine Ahnung, worum es hier ging. Er sei jedoch frohen Mutes. Von verdattert bis grinsend über so viel Pragmatismus war in den Gesichtern alles erkennbar. Ich überlegte, ob ich das Management meiner Beziehung ändern müsse.
Die Devise hiess, man könne den Wald nur voll erfassen, wenn man und frau bei sich blieben, also nur Fragen zur Baumkunde stellen und ansonsten schweigen würden. Es wurde sehr spannend, solange es um Bäume ging. Das Gruppenfeeling bekam erst anlässlich der Berichterstattung zur Baummeditation einen gewaltigen Stoss. Denn während die Gruppe immer sphärischer wurde, rapportierte mein Held, er hätte es an seinem Baum sehr angenehm gefunden, der Gong des Seminarleiters habe ihn beim friedlichen Einschlummern aus der trauten Zweisamkeit mit dem Baum gerissen. Die Umstehenden blickten angesichts der Mühen, die ihnen ihre Meditation bereitet hatte, verstohlen bis verständnisvoll-betreten zum Verkünder von so viel gnadenlos unesoterischer Ehrlichkeit.
Deshalb war auch niemand überrascht, als mein Zimbi nach dem Mittagessen unauffindbar blieb. Er war unter seinem Baum eingeschlafen. Als schliesslich das obligate Abschiedsgeschenk an die Waldgeister anstand, wurde explizit darauf hingewiesen, dass man jetzt nicht riesige Stämme auf den Baumaltar legen müsse. Alle kamen mit kleinen Blumenkränzen, Steinchen et cetera zurück. Nur einer fehlte. Während die Teilnehmenden ihre Geschenke mit lieblichen Hymnen an die Natur bekränzten, krachte es vernehmlich hinter uns. Der Gatte. Auf der Schulter einen 2-Meter-Stamm, den er ohne Umschweife auf den Baumstumpf platzierte: Er habe Pilze gesucht und stattdessen diesen gefallenen Veteran gefunden, den er sehr schön finde, weil er eben nicht so ein «Chrüsimüsi» sei. Das Lachen der Runde wirkte nach der verordneten Schweigsamkeit erleichtert. Mein Fazit? Mit einem solchen Mann an meiner Seite bleibt die Beziehung auch dann noch überraschend, wenn wir so alt werden wie die Bäume um uns herum.
Petra Huth ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin. Sie lebt in Anwil.