Der, der den Pfarrer rettete
01.07.2021 Porträt, SissachHeiner Oberer
Max Huber (63) ärgert sich. Er ist zu spät. Er kommt von Sursee, wo er als Experte in den Maurerlehrhallen angehenden Fachleuten Betriebsunterhalt die Prüfung abnimmt. «Stau vor dem Bölchentunnel», enerviert er sich. Man merkt ihm an: Huber ist ...
Heiner Oberer
Max Huber (63) ärgert sich. Er ist zu spät. Er kommt von Sursee, wo er als Experte in den Maurerlehrhallen angehenden Fachleuten Betriebsunterhalt die Prüfung abnimmt. «Stau vor dem Bölchentunnel», enerviert er sich. Man merkt ihm an: Huber ist es nicht gewohnt, sich zu verspäten. «Richtig», sagt er. «Pünktlichkeit ist eine meiner Maximen im Leben.»
Nachdem er sich gesetzt hat, beruhigt er sich und sein Puls schlägt wieder im normalen Takt. Umständlich kramt er aus einer Plastiktasche drei A4-Seiten hervor. Von Hand geschriebene Blätter, auf denen er sich fein säuberlich die Stationen seines Lebens notiert hat. Alles muss seine Richtigkeit haben. Genauso, wie er seit 30 Jahren den Sissacher Werkhof führt.
Max Huber wuchs zusammen mit fünf Geschwistern auf einem kleinen Bauernhof in Gelterkinden auf. Im Jahr 1971 übersiedelte die Familie auf einen grösseren Hof in Wenslingen. Nach der Schule absolvierte er eine dreijährige Maurerlehre und arbeitete mehr als 14 Jahre bei Spaini in Pratteln. Gleichzeitig absolvierte er in Sursee die Vorarbeiterschule. Statt sich als Polier weiterzubilden, verheiratete er sich im Jahr 1987 mit Sibylle Waller aus Gelterkinden. «Ein guter, oder anders gesagt, ein weiser Entscheid», sagt Huber. «Meine Ehefrau gibt mir Halt im Leben, wenn es mal nicht so rund läuft.» Die beiden sind stolze Eltern zweier Söhne (30 und 33 Jahre alt) und eines Grosskinds.
Gelterkinder neidisch auf Sissach
Am 1. Juli 1991 folgt ein weiterer entscheidender Schritt im Leben von Max Huber: Er trat die Stelle als Leiter des Werkhofs in Sissach an. «Ich habe mir lange überlegt, ob ich diesen Schritt wagen soll», erinnert sich Huber. Als ihm aber klar wurde, dass er nicht nur als Strassenkehrer engagiert werden soll, habe er zugesagt. «Der damalige Sissacher Bauchef Friedel Treier hat mich schliesslich überzeugt, dass mich in Sissach eine vielseitige und abwechslungsreiche Arbeit erwartet.»
Etwas andere Töne kamen aus Gelterkinden. So soll der Überlieferung nach der damalige Gelterkinder Gemeinderat und Lehrmeister von Max Huber, Attilio «Atti» Brenna, gesagt haben: «Der Hueber Max mag ich deene Sissecher nit gönne.» Genützt hat es nichts. Huber trat die Stelle an und sagt heute: «Ich fühle mich seit 30 Jahren in Sissach sehr wohl.»
Hobbykoch und Männerriegler
Anfänglich musste Huber alte Strukturen aufbrechen, womit er sich bei den älteren, eingesessenen Mitarbeitern nicht immer beliebt machte. Erschwert wurden effiziente Arbeitsabläufe durch die zahlreichen, im Dorf verteilten Werkstätten. Im April 2002 waren die Zeiten, als die Werkstätten der Mitarbeiter des Sissacher Werkhofs über ganz Sissach verzettelt waren, definitiv vorbei. Neben dem Friedhof, was anfänglich zu Diskussionen Anlass gegeben hat, konnte ein neuer 3,75 Millionen teurer Werkhof mit einer unter anderem 560 Quadratmeter grossen Einstellhalle bezogen werden. «Mit dem Neubau sind wir um einiges effizienter geworden», ist Huber überzeugt.
Anfänglich lebten die Hubers bescheiden im kleinen, aber schmucken Häuschen bei der Primarschule Dorf. Im Jahr 2005 konnten sie am Kienbergweg in Sissach ein Einfamilienhaus kaufen. Dort kann Max Huber eines seiner Hobbys ausleben, das Gärtnern. Wenig überraschend zeigt sich auch der Garten akkurat bewirtschaftet. Auch hier: Alles muss seine Ordnung und seinen Platz haben. Neben dem Bearbeiten der heimischen Scholle schwingt Huber seit gut zwei Jahrzehnten die Rührkelle im Kochklub der «Gourmetköche Sissach». Hobbykoch Huber gesteht mit einem Augenzwinkern, dass es im Kochklub nicht nur ums Kochen gehe. Ebenso wichtig sei die Geselligkeit bei einem Glas Wein. Neben dem Kochen ist der Werkhofleiter begeisterter Turner in der Männeriege Sissach. Dort fällt er immer wieder durch seinen unbändigen Kampf- und Siegeswillen auf. Auch als Fasnächtler ist er in jungen Jahren in Gelterkinden aktiv. Als «Sunndigs-Waggis» ist er anfänglich noch mit Ross und Leiterwagen unterwegs.
Heute bedeutet die Fasnacht für Huber und das Werkhof-Team vor allem das Saubermachen. «Ich staune immer wieder», und dabei schwingt Ärger in der Stimme mit, «was es doch für abgefeimte ‹Souhünd› gibt.» Jetzt spürt man den Frust bei Huber; wie ihm Schmutz oder Unordnung gegen den Strich gehen.
Gut eingespieltes Team
Nur einmal noch ist er ins Fasnachtskostüm gestiegen. Im Jahr 2018 schmiss er als Metzger verkleidet Zuschauer am sonntäglichen Umzug auf den mitgeführten Metzgerschragen. «Kollegen, welche die aufsehenerregende Schlachtung zweier Schweine in Sissach fasnächtlich verwursteten, haben mich dazu überredet, bei ihnen mitzutun.» Ja, sagt er, es habe ihm Freude gemacht, einmal wieder so richtig die «Sau rauszulassen» – und zwar ohne eine übermässige Sauerei zu hinterlassen.
«Als Leiter des Werkhofs ist man eine Person der Öffentlichkeit», sagt Max Huber. Da könne es schon zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Dann etwa, wenn der Schnee nicht schnell genug weggeräumt ist. «Ich sitze nicht mehr aufs Maul. Wenn mir etwas nicht passt, sage ich das, auch wenn das nicht alle gerne hören.» Das kennen auch seine Mitarbeitenden. Manchmal sei der Ton schon ziemlich ruppig. «Max ist von sich überzeugt. Er gesteht ungern Fehler ein. Aber: Nachtragend ist er nicht», lässt sich ein Werkhof-Mitarbeiter zitieren. Huber nickt und meint: «Ja. Aber ich bin der Chef und ich bin verantwortlich, dass alles gut läuft. Da muss man den Mitarbeitern ab und zu den Marsch blasen.»
Überhaupt. Der Winterdienst. Ist Schnee angesagt, schläft Huber schlecht. «Für mich ist der Werkhof wie eine eigene Firma», erklärt er. So kann es vorkommen, dass er einen hiesigen Pfarrer samt Ehefrau auf der Strasse auf die Sissacher Fluh aus einer Schneewechte befreien oder einen streunenden Hund einfangen muss. Die ganze Arbeit schaffe er aber nur mit einem gut eingespielten Team. «Ich kann auf aufgestellte und arbeitswillige Mitarbeiter zählen», lobt er seine zehnköpfige Crew.
Gemeinderäte kommen und gehen
Seine Vorgesetzten, so Huber weiter, würden ihm viele Freiheiten lassen. So ziert seit sechs Jahren, immer um die Weihnachtszeit, ein 2,80 Meter grosser «Santichlaus» den Brunnen vor dem Gemeindehaus, gefertigt von den Mitarbeitenden des Werkhofs. Zudem ist Huber immer wieder in verschiedenen Organisationskomitees engagiert. «Das ist nur möglich dank der Unterstützung der Mitarbeiter und der Vorgesetzten.» Freiheit bedeutet für Huber auch, Entscheide zu treffen, ohne immer wieder beim Gemeinderat antraben zu müssen. Das sei gut so, sagt er weiter: «Die Gemeinderäte kommen und gehen. Wir vom Werkhof aber bleiben.»
Huber hält sich noch bedeckt, wann er in Pension gehen wird. «Ich entscheide, wann es so weit ist.» Ob er nicht Angst habe, vor Langeweile zu versauern? Ohne Schneepflug und so? Huber sagt und lacht: «Ich freue mich schon jetzt, beruhigt zu schlafen, wenn Schnee angesagt ist und nicht ständig den Wecker stellen zu müssen.» Richtig. Nach der Pensionierung von Max Huber ist es die Aufgabe anderer, den Pfarrer aus der Schneewechte zu befreien.