Afrikanische Schweinepest: "Vorbereitungen für den Ernstfall"
23.07.2021 BaselbietIst die Seuche bald bei uns? Im Gespräch mit Wildschwein-Spezialist Ruedi Schweizer
Von Osteuropa her breitet sich die Afrikanische Schweinepest aus. Trägerinnen des Virus sind die Wildschweine. Im Baselbiet bereitet man sich auf den Ernstfall vor, wie Ruedi Schweizer im Interview ...
Ist die Seuche bald bei uns? Im Gespräch mit Wildschwein-Spezialist Ruedi Schweizer
Von Osteuropa her breitet sich die Afrikanische Schweinepest aus. Trägerinnen des Virus sind die Wildschweine. Im Baselbiet bereitet man sich auf den Ernstfall vor, wie Ruedi Schweizer im Interview erklärt. Schweizer ist seit 37 Jahren Jäger. Er ist Pächter und Jagdaufseher des Jagdvereins «Kutzenkopf» Liestal und überdies Obmann der Schwarzwaldkommission von «Jagd Baselland».
Rolf Senn
Die Afrikanische Schweinepest (ASP) ist eine Bedrohung für die Sauen – welche Massnahmen dienen uns als Vorbereitung, Herr Schweizer?
Ruedi Schweizer: Die Afrikanische Schweinepest ist eine Virusinfektion. Sie breitet sich international aus. Die Zahl der mit der ASP infizierten Wildschweine in Europa hat eine bedenkliche Zahl erreicht: Mehr als 10 000 Fälle wurden im Jahr 2020 bestätigt. 2019 waren es insgesamt rund 6400, es gab also eine Zunahme innert Jahresfrist von mehr als 50 Prozent. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre fort, die Zahlen steigen stetig. Die meisten Fälle meldeten Ungarn und Polen.
Und im Nachbarland Deutschland?
Leider haben sich die Befürchtungen wegen der Ausbreitung bestätigt. Die ASP hat erstmals im September 2020 Deutschland erreicht. Vorwiegend sind Gebiete im Bundesland Brandenburg mit rund 530 bestätigten Fällen von der Seuche betroffen.
Was kann die Jägerschaft präventiv dagegen tun?
Die Schwarzwildbestände müssen mit einer weidmännischen Bejagung reduziert werden. Es gilt in jedem Fall, die gesetzlichen Schonzeiten im Wald einzuhalten. Wir müssen beim Jagen alles daransetzen, eine intakte Rottenstruktur zu fördern. Die Jagd auf dem Feld und in landwirtschaftlichen Kulturen muss wie bis anhin intensiv erfolgen.
Bereitet man sich auf den Ernstfall vor?
Selbstverständlich hat der kantonale Krisenstab Baselland bereits verschiedenste Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen. Schutzmaterial inklusive Vollschutzkleidung, Desinfektionsmittel oder spezielle Fahrzeuge und Einrichtungen für den Abtransport von verseuchten Tierkadavern wurden vorbereitet oder sind in Planung. Mehrere Schulungen und Übungen des kantonalen Krisenstabs mit dem Kader des Zivilschutzes und mit Teilen der Jägerschaft dienten der Vorbereitung für den Ernstfall. Der Kanton Baselland hat hier in der Schweiz eine Vorreiterrolle eingenommen.
Ist die ASP auf die Hausschweine übertragbar?
Ja, darin besteht die ganz grosse Gefahr. Wenn in einer Schweinemästerei die Afrikanische Schweinepest festgestellt würde, müsste der ganze Tierbestand getötet und anschliessend verbrannt werden. In einigen osteuropäischen Ländern mussten in vielen Grossbetrieben Zehntausende von Schweinen getötet werden.
Wildschweine müssen auf eine andereKrankheit untersucht werden, nämlich auf Trichinen. Wozu dieser Aufwand?
Trichinen sind winzige Fadenwürmer. Diese Parasiten benutzen Säugetiere, Menschen und Vögel als Zwischen- oder als Endwirt. Hauptüberträger auf den Menschen sind in erster Linie Schweine, also auch Wildschweine, deren rohes oder ungenügend gegartes Fleisch eine Gefahr darstellen kann. Durch Kochen, Pökeln oder Einfrieren werden Trichinen abgetötet, jedoch nicht durch Räuchern. Das Jagdgesetz verlangt, dass die Jägerschaft von jedem erlegten Wildschwein ein Stück Muskelfleisch in ein Labor in Chur senden muss, damit die Trichinenkontrolle vorgenommen werden kann. Erst mit der schriftlichen Bescheinigung des Labors darf ein Wildschwein oder Teile davon zum Verzehr freigegeben respektive verkauft werden. Glücklicherweise wurden bei uns in den letzten Jahrzehnten keine Wildschweine positiv auf Trichinen getestet.
Was passiert bei einer Ansteckung?
Die Trichinellose ist auch für den Menschen eine mild bis tödlich verlaufende Erkrankung. Diese Fadenwürmer vermehren sich in der Darmschleimhaut, ihre Larven können über die Blutbahn alle Organe befallen.
Zum Verhalten der Wildschweine: Was hat sich geändert? Welche Beobachtungen wurden in den vergangenen Jahren gemacht?
Wildschweine haben hervorragende Fähigkeiten, sich den klimatischen, aber auch den permanenten Veränderungen in ihrem Lebensraum anzupassen. Auch dem grössten Feind gegenüber, der Jägerin und dem Jäger, passt sich Schwarzwild immer wieder an. Neue oder geänderte Bejagungsmethoden werden sehr schnell wahrgenommen, sie stellen sich darauf ein. Wildschweine sind im Allgemeinen viel vorsichtiger geworden. Vor 20 bis 25 Jahren dauerte die durchschnittliche Zeit bis zum Erfolg beim Sauenansitz 5 bis 7 Stunden, heute müssen Jägerinnen und Jäger mindestens 20 bis 25 Stunden aufwenden, bis eine Sau erlegt werden kann. Das hat einzig und alleine mit dem sehr vorsichtigen Verhalten der Sauen zu tun. Wildschweine lernen sehr schnell, wo es für sie «gefährlich» sein kann.
Was bewirken die Kirrungen in den Wäldern?
Kirrungen sind nicht wie oft angenommen Futterstellen, wo Wildschweine gefüttert werden. Die Jägerschaft füttert keine Wildtiere, also auch keine Wildschweine. An den Kirrungen wird eine sehr geringe Menge Trockenfutter ausgebracht. Das verleitet die Windschweinrotten, aber auch Einzeltiere, sich innerhalb des Waldes aufzuhalten. Somit kann verhindert werden, dass die Wildschweine Schäden in den Kulturen ausserhalb des Waldes anrichten. Auf dem Weg zur nächsten Kirrung fressen die Wildschweine, was ihnen der Wald bietet. Eine Kirrung kann auch dazu dienen, Sauen selektiv zu erlegen.
Was darf denn «gefüttert» werden und wie viel?
Wichtig: Die Bezeichnung «füttern» ist falsch. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass pro Kirrung nicht mehr als ein Kilogramm Trockenfutter ausgebracht werden darf. In den meisten Fällen wird viel weniger eingesetzt. An den Kirrungen bedienen sich aber auch andere Waldbewohner wie Dachse, Füchse, Mäuse und so weiter. Wenn irgendwann in der Nacht die Sauen vorbeikommen, kann bereits 50 Prozent oder mehr des Lockfutters gefressen sein.
Wie sieht das Nahrungsangebot für die Sauen in Feld und Wald aus?
Der Wald bietet je nach Jahreszeit ein unterschiedliches Nahrungsangebot für Wildschweine. Während der Mastjahre – wenn Buchen und Eichen ihre Früchte tragen –, lassen die Sauen sich nicht mehr an die Kirrungen locken. Eicheln und Bucheckern gehören zu ihren Leibspeisen. Wildschweine sind aber Allesfresser und benötigen viel tierisches Eiweiss. Das fressen sie in Form von Larven, Engerlingen, Würmern, Mäusen und so weiter. Sie verschmähen auf ihren Streifzügen durch die Wälder auch frisch geborene Jungtiere wie Rehkitze oder junge Hasen nicht. In trockenen Perioden finden die Wildschweine im Wald oft nicht genügend tierisches Eiweiss. Dann suchen sie auch landwirtschaftliche Kulturen auf. Die meistens sehr kompakt stehenden dichten Fruchtflächen verhindern, dass der Boden austrocknet, sodass neben reifen Feldprodukten auch der Eiweissbedarf gedeckt werden kann – dies natürlich mit Folgen für die landwirtschaftlichen Kulturen. Im Weiteren bieten diese Kulturen auch den Sauen den optimalen Schutz vor ihrem Erzfeind, dem jagenden Menschen.
Wann werden die Wildschweine auch unsere Wohngebiete heimsuchen?
In den vergangenen Jahrzehnten wurde immer mehr in der Nähe von Waldrändern gebaut, also in Gebieten, die über Jahrhunderte von Wildschweinen und anderen Wildtieren beansprucht wurden. Gärten ohne notwendige Schutzmassnahmen werden gerne von Sauen und Rehen heimgesucht. Wo gibt es auf so kleinem Raum so viele Leckereien? Wildschweine passen sich fast jedem Biotop an. Grossstädte wie Berlin kämpfen seit Jahren mit einer richtigen Wildschwein-Invasion. Oft werden auf der Suche nach Nahrung Gärten und Grünanlagen verwüstet. In Berlin alleine leben mehr als 1500 Wildschweine, und es werden immer mehr. Die Bevölkerung ist an dieser Misere nicht unschuldig. Abfallsäcke entlang der Strassen entpuppen sind als richtige Magnete für die Sauen.
Darf man Wildschweine füttern, wenn sie sich in meiner Umgebung aufhalten?
Nein! Es hat in der Regel genügend Nahrung im Wald und das ist auch ihr primärer Lebensraum.
Wie sieht in unserer Region die Schadenlage derzeit aus?
Im Kanton Baselland sind die Schäden, die durch Wildschweine angerichtet wurden, in den letzten Jahren leicht rückläufig. Die Schadensummen lagen in der Regel zwischen 150 000 und 250 000 Franken. Übrigens: Die Jägerinnen und Jäger entrichten jährlich einen finanziellen Beitrag mit dem Lösen des Jagdpasses.
Wo befinden sich die Hotspots im Baselbiet?
Wildschweine gibt es mittlerweile überall im Baselbiet. Ein Teil des Laufentals und der Grossraum Liestal darf als Hotspot bezeichnet werden. Durch eine intensive Bejagung kann das aber schnell ändern. Wenn die Luft «bleihaltig» ist, ziehen Sauen oft kurzfristig in ruhigere Gebiete.
Welchen Stellenwert hat die Wildschweinstrecke für eine Jagdgesellschaft finanziell?
Der Wildbret-Erlös wird generell überbewertet. Jäger investieren sehr viel Geld in Ausrüstung und Material, mit dem Erlös aus dem Verkauf des Fleisches kann im besten Fall der Jagdpachtzins gedeckt werden. Als Jäger erfüllen wir einen gesetzlichen Auftrag, sind Ansprechpartner für die Landwirtschaft, stellen die Jagdaufsicht sicher und dies alles ohne finanzielle Entschädigung. Wir machen das gerne der Verpflichtung und dem Respekt der Natur gegenüber – mit Engagement, Verlässlichkeit und Leidenschaft.
Wieso sind die Schwankungen beim jährlichen Jagderfolg so unterschiedlich?
Kein Jahr ist gleich wie das Vorjahr. In einem Mastjahr bekommen die Jägerinnen und Jäger fast keine Sauen zu sehen. Das Futterangebot im Wald ist so gigantisch gross, dass keine Kirrungen und in der Regel auch keine landwirtschaftlichen Kulturen aufgesucht werden. Das bedeutet: Es können viel weniger Sauen erlegt werden. Wildschweine haben schnell gelernt, dass es auf den Feldern sehr gefährlich sein kann. Nur wenn Nahrungsmangel im Wald herrscht, dann nehmen sie dieses Risiko in Kauf und damit steigt automatisch die Anzahl der von der Jägerschaft erlegten Tiere.
Wie können wir das «Zusammenleben» mit den Wildschweinen verbessern?
Wildschweine sind ein Teil der natürlichen Waldbewohner und keine Schädlinge, im Gegenteil! Sie leisten mit dem Lockern des Waldbodens bei der Suche nach Nahrung wertvolle Dienste. Wir müssen diese Waldbewohner respektieren. Durch die Nahrungssuche auf den Feldern entstehen der Landwirtschaft Schäden, das ist ärgerlich, sie werden aber grundsätzlich finanziell entschädigt. Mit einer intensiven Bejagung auf den Feldern wird vonseiten Jagd dafür gesorgt, dass die Sauen so weit wie möglich von landwirtschaftlichen Kulturen ferngehalten werden.
Wie sollen wir uns gegenüber Wildschweinen verhalten, wenn wir sie in der Natur antreffen?
Wenn Sie einmal im Wald ein Wildschwein oder sogar eine Rotte zu Gesicht bekommen, dann geniessen Sie den Anblick. Sie müssen sich nicht fürchten: Die Sauen haben Angst vor Menschen. Den Sauen nachzupirschen ist allerdings weniger ratsam!
Geht von den Wildschweinen eine Gefahr für uns Menschen aus?
Nein. Solange man sich auf den Waldwegen bewegt, muss man keine Angst haben. Gefährlich kann es nur werden, wenn die Muttertiere ihre Frischlinge haben und man als Jogger quer durch den Wald läuft und in eine «Kinderstube» trampelt.
Autor Rolf Senn ist Jäger.
Die vielfältigen Eigenschaften der \"Schwarzkittel\"
rs. Einige unserer Wildtierarten haben einen schweren Stand, so auch die Wildschweine. Ihre Lebensart bringt es mit sich, dass sie von uns Menschen in ihrem Verhalten zwar als sozial und lernfähig geschätzt werden, aber auch über Eigenschaften verfügen, mit denen wir zu «kämpfen» haben (siehe Interview).
Wildschweine gehören zoologisch zu den nicht wiederkäuenden Paarhufern. Sie sind in Europa und darüber hinaus weit verbreitet und haben sich auf natürliche Weise angesiedelt.
Durch intensive Bejagung ist das Schwarzwild nachtaktiv geworden. Eichel- und Buchenmast beeinflussen die Fortpflanzung respektive die Reproduktion. Wildschweine, tagsüber in den Einständen im Wald, suchen in den Nachtstunden auch Felder und Wiesen auf und verursachen zum Beispiel in den Maisfeldern oder auf Wiesen, aber auch in den Wohngebieten, zeitweise erhebliche Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen. In grösseren zusammenhängenden Waldgebieten sind die «Schwarzkittel» jedoch auch nützlich, denn sie vertilgen Schädlinge und lockern den Waldboden auf.
Wildschweine sehen schlecht, sodass die Jagenden bei hellem Mondschein die Rotten mit wenig Deckung anpirschen können, ohne bemerkt zu werden. Die Pirsch muss jedoch so angelegt sein, dass man sich gegen den Wind und absolut lautlos den Sauen nähert. Auf menschliche Witterung und Geräusche reagieren sie sofort und flüchten. Grunzen und Quieken verrät sie schon einmal, denn die Sauen sind oft als Rotte unterwegs. Die Leitbache «bläst» bei Gefahr, was die unmittelbare Flucht aller Sauen zur Folge hat. Sauen wechseln das Haar zweimal im Jahr. Im Winter schützt sie eine dichte Unterwolle gegen die Kälte und Nässe. Eine Lieblingsbeschäftigung ist das «Suhlen» in einer grösseren Wasserlache, was der Pflege der Schwarte (Fell) dient.
Die Leitbache sorgt dafür, dass die Keiler nur im Dezember die Möglichkeiten haben, eine Besamung vorzunehmen, denn damit wird der Lebenszyklus eingehalten. Dieser Zyklus ist als Folge verschiedener Einflüsse durchbrochen worden, was auch die Bejagung erschwert. Das Ansprechen (beurteilen) von Wildschweinen ist anspruchsvoll, denn unser Jagdgesetz kennt Schonzeiten, die zwingend einzuhalten sind.
Ein Grossteil der Muttertiere sind in den Monaten Dezember und Januar paarungsbereit. Drei Monate, drei Wochen und drei Tage später bringen sie ihre Jungen zur Welt. Bedingt durch die verschiedensten Veränderungen ihres Biotops können sich Bachen fast das ganze Jahr hindurch paaren. Das bedeutet, dass man Frischlinge vorwiegend im Frühjahr, aber auch im Herbst feststellen kann.
Bachen bringen in einem selbst gebauten Kessel zwischen 3 und 12 Frischlinge zur Welt. Die gestreiften Frischlinge mutieren später zu den «Überläufern», bevor sie ins geschlechtsreife Alter kommen. Die Zunahme ihres Körpergewichtes beträgt durchschnittlich 3 bis 4 Kilogramm pro Monat!
Die Wildschweine sind eine Bereicherung für unsere Tierwelt. Wenn wir uns im Umgang mit ihnen an die Regeln halten, so wie sie im Interview erörtert werden, dann geht keine Gefahr von ihnen aus.
Die Jägerinnen und Jäger sind gefordert: Eine selektive Bejagung dient dazu, Rottenverbände zu erhalten, denn damit werden grosse Teile der Sauen «geführt». Besuchende unserer Wälder, die eine oder mehrere Sauen zu Gesicht bekommen, sei empfohlen, den seltenen Anblick zu geniessen.