«Ich schaue nicht zurück»
30.07.2021 Politik, SeltisbergChristian Horisberger
Herr Zollinger, ist Ihnen ohne die Politik langweilig geworden? Weshalb kandidieren Sie wieder für den Gemeinderat?
Bernhard Zollinger: Langweilig ist es mir nicht, nein. Ich wurde von sehr vielen Menschen auf eine ...
Christian Horisberger
Herr Zollinger, ist Ihnen ohne die Politik langweilig geworden? Weshalb kandidieren Sie wieder für den Gemeinderat?
Bernhard Zollinger: Langweilig ist es mir nicht, nein. Ich wurde von sehr vielen Menschen auf eine Kandidatur angesprochen, nachdem Dörte Bassi schon so kurz nach ihrer Wahl in den Gemeinderat aufgehört hatte. Ich würde meine ehemaligen Gemeinderatskolleginnen und -kollegen gerne bei der Arbeit unterstützen, sofern das erwünscht ist. Ich kann immerhin 14 Jahre Gemeindepolitikerfahrung einbringen.
Corona, Steuerfuss, Schule – es war eine turbulente Zeit, nachdem Sie aus dem Amt ausgeschieden sind. Wie weit haben Sie seit Ihrer Abwahl das politische Geschehen verfolgt?
Die ganze Zeit über. Ich interessiere mich nicht nur dann für Politik, wenn ich selber an vorderster Front mit dabei bin. Ich habe an fast jeder Gemeindeversammlung teilgenommen und die Turbulenzen hautnah miterlebt.
Wollen Sie nun eingreifen, weil ihre Ex-Kollegen die Arbeit in Ihren Augen nicht gut machen?
Nein. Sie machen einen guten Job. Aber ich könnte mit meiner Erfahrung etwas dazu beitragen, dass wir möglichst bald wieder in ruhige Gewässer kommen.
Es heisst, es gebe eine Alteingesessenen-Lobby, die im Hintergrund die Fäden ziehe, um ihre persönlichen Interessen wie einen tiefen Steuerfuss zu wahren. Sind das die Leute, die Sie dazu motiviert haben, zu kandidieren?
Es gab immer Gruppierungen im Dorf, die ihre Eigeninteressen verfolgen. Jene, die Sie erwähnen, haben mit meiner Kandidatur nichts zu tun.
Nach Ihrem Abgang sah sich der Gemeinderat mit der neuen Finanzchefin Miriam Hersche gezwungen, die Steuern um 7 Prozentpunkte zu erhöhen. Wie haben Sie gestimmt?
Ich bin im ersten Moment auch etwas erschrocken, um wie viel der Steuerfuss angehoben werden sollte. Wie viele andere war auch ich der Meinung, eine Steuererhöhung sei nötig, aber nicht um 7 Prozent. Ich stimmte für den Kompromiss, also 3 Prozent mehr. Wir sollten nun einmal dieses Steuerniveau halten und schauen, wie sich das in den kommenden zwei Jahren bewährt.
Das Budget für das laufende Jahr konnte ausgeglichen gestaltet werden, doch gemäss Miriam Hersche nur dank Einmaleffekten. Saniert sind die Gemeindefinanzen also nicht. Nun kommen Sie und sagen in Ihrer Wahlwerbung: keine Steuererhöhung! Finden Sie dieses Versprechen nicht etwas gewagt?
Soweit ich die Finanzen kenne, enthielt das Budget immer sehr viele Dinge, die wir uns leisteten, weil sich die Gemeinde das auch leisten konnte. Ich bin der Meinung, dass ein ausgeglichenes Budget auf der Basis eines Steuerfusses von 55 Prozent machbar ist. Aber ich kann es nicht im Detail beurteilen, dafür bin ich nicht mehr nahe genug dran.
Statt einen Lösungsvorschlag fürs finanzielle Dilemma zu präsentieren, setzen Sie in Ihrer Wahlempfehlung auf das Prinzip Hoffnung aufgrund der aktuellen Bautätigkeit, die neue Steuerzahler auf den Seltisberg bringe. Machen Sie es sich damit nicht etwas zu leicht?
Nein. Je mehr gebaut wird, desto mehr Steuerzahler gewinnt man automatisch. Aber klar: Auch bei den Ausgaben muss man nochmals genauer hinschauen. Es ist nun die Zeit gekommen, in der wir alle zusammenarbeiten müssen, sei es mit den Vereinen im Dorf oder natürlich – und vor allem – in der Bildung. Ich denke, wenn alle Seiten kompromissbereit sind, können wir das gemeinsam schaffen.
Wo sehen Sie Sparpotenzial?
Nur mit der Aussensicht ins Detail zu gehen, ist sehr schwierig. Die grossen Einsparungen hat der Gemeinderat bereits vorgenommen, hier hat er seine Hausaufgaben gemacht. Aber ich denke, dass man an den verschiedensten Orten in allen Ressorts ein bisschen nachbessern und so das Budget für vielleicht zwei Jahre ausgeglichen gestalten kann. Und dann sollten die höheren Steuereinnahmen von den Zuzügern zu Buche schlagen.
Als Grund für Ihre Abwahl hatten Sie seinerzeit Zwist mit der Bürgergemeinde genannt. Und auch mit den Jägern hätten Sie es sich durch die Neuvergabe der Jagdpacht wohl verscherzt. Denken Sie, dass über die Angelegenheiten Gras gewachsen ist?
Ich hoffe es. Für mich ist beides erledigt. Es ist das Los eines Gemeindepräsidenten, dass er im Fokus steht, wenn der Gemeinderat einen unpopulären Entscheid fällt – selbst dann, wenn der Entscheid einstimmig getroffen wird.
Sie waren der Sündenbock?
Ich denke es. So geht es auch in anderen Gemeinden zu und her.
Mit Ihrer Kandidatur beweisen Sie Nehmerqualitäten. Die Seltisberger haben bei den letzten Gesamterneuerungswahlen dem langjährigen «Breesi» ein politisch unbeschriebenes Blatt vorgezogen. Was gibt Ihnen das Selbstvertrauen und den Mut, wieder anzutreten?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich viele andere sagen würden: «Das brauche ich nicht mehr! Was soll ich da noch?» Mir liegt aber das Wohl meines Dorfs am Herzen, in dem ich nun schon fast 30 Jahre lang lebe. Deshalb schaue ich nicht zurück, sondern nach vorne. Ich glaube, ich kann noch einmal etwas leisten für Seltisberg – sofern die Bevölkerung das wünscht.
Welche Dossiers würden Ihnen am ehesten zusagen?
Das ist vorgegeben: Alle Ratsmitglieder behalten ihre Ressorts, daher wird der oder die neu Gewählte die Ressorts von Dörte Bassi – Bildung, Gesundheit, Volkswirtschaft sowie Umweltschutz und Raumordnung – übernehmen.
Stellen Sie sich nur bis Ende der laufenden Amtsperiode Mitte 2024 zur Verfügung oder können Sie sich ein längeres Engagement vorstellen?
Vorausgesetzt, ich werde gewählt, könnte ich mir vorstellen, ein weiteres Mal zu kandidieren. 2026 werde ich pensioniert, dann hätte ich sehr viel Zeit für das Amt.
Ist es vorstellbar, dass Sie sich je wieder als Präsident bewerben?
Ich sehe mich im Dienst der Gemeinde und stelle mich hinten an.
Stehaufmännchen
ch. Bernhard Zollinger (61) lebt mit seiner Familie seit fast drei Jahrzehnten in Seltisberg. Von 2006 bis 2020 gehörte der beim Kanton Baselland angestellte Informatiker dem Gemeinderat von Seltisberg an, davon acht Jahre als Präsident mit den Ressorts Finanzen und Raumplanung. Bei den Gesamterneuerungswahlen von 2020 belegte er den 6. Platz und verpasste die Wiederwahl.
In seiner Wahlempfehlung im Gemeindeblatt fragt Zollinger rhetorisch: «Haben wir Zeit für weitere Experimente?» und gibt die Antwort gleich selber: «Ich bin der Meinung, wir sollten auf Bewährtes setzen» – also auf ihn. Er wolle an den noch offenen Projekten weiterarbeiten; sei es an der Umsetzung des neuen Zonenreglements wie auch an der Sanierung des Gemeindebudgets. Bei Letzterem werde er sich dafür einsetzen, dass keine weiteren Steuererhöhungen notwendig werden. Durch die aktuelle, starke Bautätigkeit in der Gemeinde sollte es in Zukunft möglich sein, die Steuereinnahmen wieder zu steigern, hält er zudem fest. Im Weiteren wolle er sich «vehement dafür einsetzen, dass unser einziges Restaurant sowie unsere Bäckerei im Dorf weiterhin für die Bevölkerung nutzbar sind». Für ihn sprächen seine Kenntnisse aller aktuellen Dossiers, eine kurze oder gar keine Einarbeitungszeit, seine Vernetzung in der Gemeinde und in der Region sowie umfangreiche Kenntnisse der finanziellen Aspekte in der Gemeinde. Als weitere Kandidatin für die Ersatzwahl am 22. August stellt sich Ruth Spalinger, diplomierte Pflegefachfrau mit einem Master in Health Care Management, zur Verfügung.