Gelandet

Nach 3½ Jahren habe ich das strengste Einbürgerungsgesetz Europas überstanden. Nun sind es nicht mehr die Schweizer*Innen und ich, sondern «Wir». Vielleicht war ich deshalb so geschockt, als der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über das Rahmenabkommen abbrach.

Ich kam als Verfechterin des EWR, lernte aber, dass die direkte Demokratie das Wichtigste ist, was uns zusammenhält. Es wird ja auch so immer schwieriger, in einer individualisierten Gesellschaft alle zusammenzuhalten. Vielleicht können wir deshalb kaum noch unaufgeregt nach draussen schauen. Dabei hat uns die Pandemie gerade vorgeführt, wie abhängig wir von der Welt sind. Europa bleibt unser einziger Nachbar. Die Gräben, welche die EWR-Debatte aufgerissen hat, schüttet dieser Entscheid nicht zu.

Vor 10 Jahren erklärte ich Beamten in Brüssel, dass auch sie mehr Volksrechte einführen sollten. Es würde Europa besser machen. Sie hielten mich für naiv, ich fand sie technokratisch. Im Herzen war ich bereits helvetisch. Ich lernte, dass Brüssel die Schweiz zwar schätzt, sie aber irgendwie nicht mitdenkt. Kein böser Wille, aber die Schweiz ist nicht dabei, wenn 27 Länder diskutieren, ringen um einen Kompromiss, eine Lösung. Wir können das sehr gut, allein uns fehlt das Sendungsbewusstsein.

Die USA attackierten die Schweiz wegen des Bankgeheimnisses und ich empfand uns als bedroht. Für die SchweizerInnen schien es nicht so eine grosse Sache zu sein wie für mich. Die USA sind schliesslich nicht die EU. Sie begruben das Bankgeheimnis in aller Stille, während ich überlegte, dass wir mit Europa im Rücken nicht so angegriffen worden wären. Ich fragte mich, wer wohl als Nächstes kommt und auf ein kleines Land einschlägt, das keine wirklich starken Freunde, aber umso mehr Neider kennt.

In Brüssel blieb die Schweiz die grosse Abwesende. Sie baute Tunnels, aber keine Brücken. Sie zahlte, aber engagierte sich nicht, wie etwa das Nichtmitglied Norwegen, das in den grossen Themen eigene Initiativen und Lösungen beitrug. Mittlerweile ist die Zeit der reinen Wirtschaftskooperationen zu Ende. Klimawandel, Terror, Pandemien, Kriege und Diktaturen lassen sich nur durch grenzüberschreitende Solidarität lösen. Die Zukunft sind Wertegemeinschaften. Wir werden die westliche Demokratie und die offene Gesellschaft verteidigen müssen. Auch deshalb ist Europa durch jede Krise stärker geworden und nicht – wie in der Schweiz regelmässig erwartet – zerbrochen.

Es hätte Wege der Annäherung gegeben, aber die Schweiz hat ihre Pragmatik aufgegeben: Jedes Abkommen ist kündbar. Man hätte auch eine Probezeit, samt finalem Urnenentscheid, vereinbaren können. Der einseitige Nachvollzug von Gesetzen bleibt das Gegenteil von staatlicher Souveränität. Das Recht auf Selbstbestimmung wird nicht durch Abseitsstehen verteidigt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundesrat sich mehr am gelebten Schweiz-Europa des Dreiländerecks orientiert hätte als an einer ideologisierten Souveränität, die er gerade selbst zu Folklore degradiert.

Petra Huth ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin. Sie lebt in Anwil.

MEINE WELT

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