Die Kehrseite des Generals
25.06.2021 Gesellschaft, RünenbergChristian Horisberger
«Seht zu, dass die Tafeln gerade hängen, der Vogel war schon schräg genug.» Kommentare wie diesen bekamen Steinmetz Stephan Grieder und Robert Bürgin am Mittwoch des Öfteren zu hören. Die beiden ergänzten das General-Sutter-Denkmal ...
Christian Horisberger
«Seht zu, dass die Tafeln gerade hängen, der Vogel war schon schräg genug.» Kommentare wie diesen bekamen Steinmetz Stephan Grieder und Robert Bürgin am Mittwoch des Öfteren zu hören. Die beiden ergänzten das General-Sutter-Denkmal beim Rünenberger Feuerweiher mit zwei Schrifttafeln. Diejenige unter dem Porträt von Johann August Sutter auf der Vorderseite des Gedenksteins beschreibt die Leistungen des Rünenberger Bürgers, Abenteurers und Mitbegründers der kalifornischen Hauptstadt Sacramento, jene auf der Rückseite des Gedenksteins die «Kehrseite» des Eroberers, der sich der Vertreibung, Versklavung, des Kinderhandels und des Mordes schuldig gemacht hat.
Mit den Schrifttafeln reagiert die Gemeinde auf eine Protestaktion der Baselbieter Jungsozialisten (Juso) im Juni vergangenen Jahres. Als infolge von Rassismus-Demonstrationen in der kalifornischen Hauptstadt Sacramento eine Statue von Johann August Sutter mit Farbe beschmiert wurde, zogen die Juso in Rünenberg nach. Sie bespritzten ein weisses Laken mit «Blut», bedeckten damit den Sutter-Gedenkstein und schrieben dazu: «Keine Denkmale für Sklav*- innenhalter.»
Der Rünenberger Gemeinderat suchte einen Weg im Umgang mit dem Denkmal für den umstrittenen Bürger und beschloss, den Gedenkstein mit zwei Plaketten zu ergänzen, die sowohl Sutters Verdienste als auch dessen Verfehlungen aufzeigen sollten.
Die Texte auf den schwarzen Tafeln mit goldenen Lettern lauten wie folgt:
Vorderseite
«Die Abenteuer des Rünenberger Bürgers Johann August Sutter im fernen Kalifornien beflügelten die Fantasie der Daheimgebliebenen. In Kalifornien herrschte Sutter zeitweise über ein Gebiet von der Fläche des Kantons Basel-Landschaft, das er land- und forstwirtschaftlich nutzen liess. Der Eroberer, General und Pionier, der am Ende alles verlor, wurde Teil der Volkskultur im Baselbiet. Filme, Bücher, Theaterstücke und Produktenamen ranken sich um die schillernde Gestalt. Die 1988 gegründete General Sutter-Gesellschaft pflegte sein Erbe und knüpfte mannigfaltige Kontakte nach Kalifornien. Dort ehrten bis 2020 Denkmäler, Orts- und Strassennamen den Pionier Sutter.
Doch die Geschichte hat eine KEHRSEITE – wie dieser Stein.»
Rückseite
«Johann August Sutter floh 1834 vor einem Konkurs aus Burgdorf nach Amerika. Seine Familie blieb vorerst mittellos in der Schweiz zurück. Sutters Eroberungen und zeitweiligen wirtschaftlichen Erfolge im heutigen Kalifornien gingen auf Kosten der dort ansässigen indigenen Bevölkerung. Sutter war – wie viele andere Eroberer – verantwortlich für Vertreibung, Versklavung, Kinderhandel und Mord. In Kalifornien wurden deshalb im Rahmen der ‹Black Lives Matter›-Bewegung ab 2020 Sutter-Denkmäler entfernt oder umgestaltet. Dieser 1953 eingeweihte Stein bleibt stehen und mahnt: ‹Denk mal, Mensch!›
Denn die Geschichte hat eine KEHRSEITE – wie dieser Stein.»
Es sei dem Gemeinderat ein Anliegen gewesen, aus dem Denkanstoss der Juso «etwas Gutes» zu machen und mit einer zusätzlichen Tafel auch Sutters Herkunft und Handeln genauer zu beschreiben, kommentiert Gemeinderätin Stephanie Bürgin die Ergänzung des Gedenksteins. Die Texte auf den Tafeln habe der Gemeinderat mit der Unterstützung des Rünenberger Historikers Rico Kessler entwickelt.
Die Rünenbergerinnen und Rünenberger scheinen das Vorgehen des Gemeinderats gutzuheissen. Gemäss Gemeinderätin Bürgin findet die überwiegende Mehrheit der Einwohner die Aktion sehr gelungen. Natürlich gebe es auch andere Stimmen – «von Menschen, die es lieber gesehen hätten, wenn das Denkmal ganz entfernt würde oder solche, die für dieses Geld lieber ein Sportgerät mehr in unserer neuen Turnhalle gesehen hätten».
Steinmetz Grieder erlebte während der Arbeit am Gedenkstein Ähnliches: Die Passanten hätten sich grossmehrheitlich wohlwollend geäussert, wobei auch Kritik zu hören gewesen sei – «man kann es auch übertreiben», zum Beispiel. Grieder begrüsst das Vorgehen des Gemeinderats. Mit der Entfernung des Denkmals wäre das Unrecht, das Sutter getan habe, nicht ungeschehen gemacht worden. «Das Denkmal verschwinden zu lassen, hiesse, vergessen wollen. Das ist für mich keine Option», sagt er. Stattdessen solle man hinschauen und sich so mit der Vergangenheit auseinandersetzen können und allenfalls etwas für sein eigenes Handeln mitnehmen.
Gar nicht glücklich ist Juso-Präsidentin Anna Holm mit der Ergänzung des Denkmals: Zwar begrüsst sie, dass es nicht unkommentiert stehen gelassen worden ist, doch habe «der Gemeinderat einen halbbatzigen Job gemacht». Aus den Inschriften gehe die Tragweite der globalen Kolonialverbrechen, derer sich die europäischen Eroberer schuldig gemacht hätten, nicht hervor. General Sutter werde weiterhin als Pionier und Eroberer dargestellt – der «dummerweise auch ein Vergewaltiger und Mörder gewesen ist»: «Da läuten bei mir die Alarmglocken.»
Ihr fehle auch die kritische Auseinandersetzung mit der Glorifizierung des Generals durch die hiesige Bevölkerung. Mit dem Anbringen von zwei Täfelchen sei es nicht getan, sagt die Muttenzerin. Sie hoffe auf eine vertiefte Aufarbeitung der Geschichte Sutters durch die Gemeinde und dass es nicht bei dieser «Alibi-Übung» bleibt. «Der Prozess muss weitergehen.»
Broschüre zum Kirsch
ch. Wie das Rünenberger Sutter-Denkmal wird es auch den Sissacher General-Sutter-Kirsch weiterhin geben. Auch im Umgang mit der Schattenseite im Leben und Wirken des Abenteurers gibt es Parallelen: Wie Susanne Nebiker, Geschäftsführerin der General Sutter Distillery auf Anfrage sagt, werde in Zusammenarbeit mit dem Baselbieter Staatsarchiv eine kleine Broschüre erarbeitet, mit der voraussichtlich ab Herbst jede Sutter-Kirschflasche ausgestattet wird. Die Produktion der Broschüre erfolgt ohne Not: Laut Nebiker habe die Diskussion um den Sklaventreiber Sutter zu keinen Umsatzeinbussen mit dem seit 1938 nach ihm benannten Kirsch geführt.