Deutliche Abfuhr an Tempo 30
15.06.2021 Gelterkinden, VerkehrChristian Horisberger
In den Gelterkinder Wohnquartieren müssen die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht auf die Bremse treten. Das Stimmvolk hat in einer Referendumsabstimmung Tempo 30 auf allen Gemeindestrassen mit 1645 gegen 1139 Stimmen eine Abfuhr ...
Christian Horisberger
In den Gelterkinder Wohnquartieren müssen die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht auf die Bremse treten. Das Stimmvolk hat in einer Referendumsabstimmung Tempo 30 auf allen Gemeindestrassen mit 1645 gegen 1139 Stimmen eine Abfuhr erteilt. Mit dem Nein spart die Gemeinde 336 000 Franken für die Umsetzung von Tempo 30. Die Stimmbeteiligung betrug hohe 66 Prozent.
Es war ein Rennen mit offenem Ausgang. Das deutliche Ergebnis überraschte beide Lager. Pascal Catin vom siegreichen Referendumskomitee hatte mit einer knappen Annahme gerechnet und war über das klare Ergebnis umso erfreuter. Befürworterin Annemarie Spinnler hatte keine Prognose gewagt. Vom Resultat zeigte sie sich nach dem Auszählen der Stimmen «natürlich enttäuscht»: «Die schwachen Verkehrsteilnehmer haben verloren: Kinder, Ältere, Anwohner an Strassen ohne Trottoir.»
Geld statt Sicherheit
Ihr Komitee habe einen guten Abstimmungskampf geliefert und viele positive Gespräche geführt, bilanziert Spinnler. Doch seien die zentralen Argumente der Befürworter – mehr Sicherheit für den Langsamverkehr und mehr Lebensqualität für die Einwohner – von finanziellen Überlegungen überlagert worden. Dabei habe der Gemeinderat den Gegnern in die Hände gespielt, als er mitten im Abstimmungskampf seine Bestrebungen zur Sanierung der desolaten Gemeindefinanzen kommunizierte. In einer Medienmitteilung von Sonntagabend schreibt das Komitee gar von einer «bedenklichen Beeinflussung» der Stimmbürger durch den Gemeinderat. Dieser habe eine «zwiespältige Rolle» gespielt. Mit der Bekanntgabe des Sparziels von 3 Millionen Franken jährlich habe der Gemeinderat die Angst vor Steuererhöhungen geschürt und zu einer erheblichen Verunsicherung beigetragen, heisst es weiter.
Das bezweifelt Pascal Catin: Als die Gemeindeversammlung im Dezember vergangenen Jahres Tempo 30 guthiess, habe der Gemeinderat im Rahmen des Budgets über die düstere Finanzlage Gelterkindens auch schon informiert. Nach der Einschätzung des Referendumskomitee-Chefs habe nicht das Geld die Abstimmung entschieden, sondern der «Sieg der Vernunft über die Ideologie»: In den meisten Wohnquartieren werde laut Messungen deutlich langsamer als die erlaubten 50 und rücksichtsvoll gefahren: «Wir haben kein Sicherheitsproblem.» Die Unfallstatistik belege, dass die Quartierstrassen auch ohne Temporeduktion sicher sind. Daher brauche es nicht «an jeder Ecke Hindernisse».
Nein-Komitee in Pflicht nehmen
Der Abstimmungskampf wurde für eine kommunale Vorlage sehr intensiv geführt. Beide Komitees markierten auf der Strasse, mit Plakaten und in Leserbriefspalten grosse Präsenz; es wurde mit Herzblut argumentiert. Dennoch glauben weder Spinnler noch Catin, dass die Auseinandersetzung nun einen Graben in der Bevölkerung hinterlässt. Beide beurteilen den Abstimmungskampf mit Ausnahme von Plakat-Vandalismus als fair und sachlich. Mit dem Nein zu Tempo 30 flächendeckend auf Gemeindestrassen ist fürs Pro-Komitee das letzte Wort zur Temporeduktion im Dorf noch nicht gesprochen. Es fordert den Gemeinderat in seiner Medienmitteilung auf, die punktuelle Einführung von Tempo 30 «auf den teilweise bereits bekannten neuralgischen Strassenabschnitten voranzutreiben». Dafür wird auch das Gegenkomitee in die Pflicht genommen, das in der offiziellen Abstimmungsbroschüre gezielte Massnahmen zugestanden habe. Pascal Catin steht zu seinem Wort: «Dort, wo es notwendig und sinnvoll ist, sind wir sicher bereit, darüber zu diskutieren», sagt er zur «Volksstimme».
Von den Einwohnern, welche die Vorlage abgelehnt haben, wünscht sich Annemarie Spinnler, dass diese auch ohne neues Tempogebot «respektvoll» fahren: «Es geht nicht um etwas Administratives, sondern darum, dass sich die Menschen sicher fühlen können.»