«Probleme verursachen die Seitenbäche»
29.06.2021 Baselbiet, Energie/UmweltElmar Gächter
Herr Mišun, die Bilder aus Niederdorf oder Zunzgen gehen einem nahe und man denkt an eine Jahrhundertflut. Wie stufen Sie das Ereignis ein?
Jaroslav Mišun: Ob es sich um ein Jahrhundert-Hochwasser handelt, kann ich noch nicht ...
Elmar Gächter
Herr Mišun, die Bilder aus Niederdorf oder Zunzgen gehen einem nahe und man denkt an eine Jahrhundertflut. Wie stufen Sie das Ereignis ein?
Jaroslav Mišun: Ob es sich um ein Jahrhundert-Hochwasser handelt, kann ich noch nicht beantworten, denn dazu fehlen uns so kurz nach dem Ereignis die notwendigen Daten, wie beispielsweise überprüfte Abflussmengen. Tatsache ist, dass der Pegel der Vorderen Frenke aus dem Waldenburgertal einen rekordhohen Wert aufwies. Wir messen ihn in Bubendorf seit 43 Jahren und so gehe ich von einem der stärksten Hochwasser im vergangenen halben Jahrhundert aus.
Welche Einzugsgebiete waren besonders betroffen, welche weniger?
Während es im Fünflibertal relativ wenig Niederschlag gab und das Wasser in der Hinteren Frenke problemlos abfliessen konnte, fiel östlich davon im Waldenburgertal, im Diegtertal, in Rothenfluh und in Ormalingen in kurzer Zeit eine solche Regenmenge, dass die Vordere Frenke, der Diegterbach, die Ergolz und diverse Seitenbäche an verschiedenen Stellen über die Ufer traten, mit teilweise massiven Schäden. Dagegen waren der Eibach von Zeglingen bis Gelterkinden oder der Homburgerbach von Läufelfingen bis Sissach weniger betroffen. Zeglingen und Rümlingen wurden letztmals in den 1980er-Jahren stark vom Hochwasser heimgesucht und haben, unter anderem in Rümlingen mit dem Bau eines Rückhaltebeckens am Eimattbach, Hochwasserschutzmassnahmen erhalten.
Lässt sich bereits etwas aussagen zu den Schäden an den Bächen und den Uferbereichen?
Wir haben rund 50 mehr oder weniger grosse Schadenplätze sowie viele volle Geschiebesammler. Um das genaue Schadensmass zu eruieren, sind unsere eigenen Leute sowie zugezogene Ingenieure unterwegs. Solche Ereignisse brauchen eine umfassende Bestandsaufnahme und vor allem eine seriöse Nachbearbeitung.
Wer kommt für diese Schäden auf?
Die gesetzliche Reglung ist klar: für die Bachsohle ist der Kanton, für Schäden an den Ufern sind es die Anstossenden und für die Reinigung von Dolen deren Eigentümer zuständig. Wichtig ist für die Anstösser, dass sie vor der Behebung der Schäden mit uns Fühlung aufnehmen, um alles fachgerecht instand zu stellen. Ist unsere Wasserbau-Unterhaltsequipe ohnehin vor Ort, so besprechen sie mit den Betroffenen, was gemacht werden könnte.
Erfahrungsgemäss kommen nach solchen Ereignissen stets Forderungen nach möglichst rasch wirksamen Hochwasserschutzmassnahmen.
Der Kanton verfügt seit vielen Jahren über ein Wasserbaukonzept, das zeigt, wo der Hochwasserschutz an unseren Bächen notwendig wäre. Von den rund 840 Kilometern Fliessgewässern im Baselbiet ist dies bei etwas mehr als 70 Kilometern der Fall. Im Oberbaselbiet haben wir unter anderem den Eibach in Zeglingen und den Homburgerbach in Rümlingen gegen ein Jahrhundert-Ereignis gesichert. In Reigoldswil sind wir zurzeit daran, die Hintere Frenke gemeinsam mit den Strassenbauarbeiten zu vergrössern, und in Niederdorf macht die BLT im Zuge des WB-Neubaus die Vordere Frenke hochwassertauglich.
Nehmen wir das Beispiel Niederdorf. Hätten hier Überschwemmungen vermieden werden können, wäre der Hochwasserschutz an der Frenke bereits realisiert gewesen?
Ich denke, dass ein entsprechend vergrösserter Bachquerschnitt der Vorderen Frenke die Wassermenge hätte bewältigen können. Eine ganz wesentliche Rolle spielen bei solchen Ereignissen allerdings die Nebengewässer, von denen auch das Waldenburgertal eine grosse Menge aufweist. Ich kann mir gut vorstellen, dass in Niederdorf solche Seitengewässer die Wassermenge nicht zu bewältigen vermochten und die Hochwassersituation verschärft haben. Das Wasser sucht sich den Weg des geringsten Widerstands.
Welche Problematiken gibt es bei der Realisierung von Hochwassermassnahmen?
Die Dramatik der Ereignisse geht in den Köpfen der Menschen schnell verloren. Wenn dann nach einer gewissen Zeit – jedes grössere Hochwasser-Schutzprojekt braucht erfahrungsgemäss eine längere bis lange Phase der Erarbeitung – das Ausmass des Vorhabens auf den Plänen sichtbar wird, kommt das «böse» Erwachen. Ein wirksamer Hochwasserschutz lässt sich nur mit baulichen Massnahmen realisieren, sei dies eine Kapazitätserweiterung am Gerinne, ein Entlastungskanal oder ein Rückhaltebecken. Das Beispiel Reigoldswil, wo 1997 die Hintere Frenke einen Teil der anstossenden Parzellen im Dorf überflutet hat, mag als Beispiel dienen. Erst Jahre nach der öffentlichen Auflage des Projekts konnte mit den Anstossenden eine Einigung gefunden werden, um das Vorhaben jetzt ausführen zu können.
Wie geht es weiter mit dem Hochwasserschutz, beispielsweise am Diegterbach, der immer wieder an seine Kapazitätsgrenzen kommt?
Es ist interessant, hier einen Rückblick auf ein früheres Hochwasserereignis zu werfen. Vor ein paar Jahrzehnten hatte der Kanton vorgeschlagen, in Diegten im Zuge der Korrektion der Kantonsstrasse einen Entlastungskanal zu erstellen. Hier sorgte die Politik dafür, dass das Vorhaben nicht realisiert werden konnte. Ob und welche Massnahmen im Oberbaselbiet in den nächsten Jahren angegangen werden, ist offen. Die Aktivitäten des Kantons Baselland in Sachen Hochwasserschutz liegen zurzeit im unteren Baselbiet, aktuell in Laufen, wo die Bewohnerinnen und Bewohner für rund 62 Millionen Franken vor Überflutungen durch die Birs geschützt werden sollen.
Zur Person
emg. Jaroslav Mišun, 63-jährig, ist gelernter Tiefbauzeichner und hat sich an der Fachhochschule Muttenz zum Wasserbauingenieur weitergebildet. Nach ersten beruflichen Erfahrungen in einem Bauunternehmen und einem Ingenieurbüro trat er 1990 als Projektleiter in die Dienste des Tiefbauamts, wo er seit 2003 den Geschäftsbereich Wasserbau leitet. Mišun ist verheiratet, hat drei erwachsene Söhne und wohnt in Seltisberg. Zu seinen Hobbys zählt vor allem die Fliegerei, denn er ist begeisterter Segelflugpilot und hat verschiedentlich erfolgreich an nationalen und internationalen Segelflugkonkurrenzen teilgenommen.