ZOOLOGISCH
18.05.2021 BaselbietBuchenblätter mit Schusslöchern
Daniel Zwygart
Kaum entfalten sich die Buchenblätter in ihrem wunderschönen Frühlingsgrün, kann man in jedem Blatt mehrere kleine Löchlein sehen. Wie wenn jemand mit sehr feinem Schrot ...
Buchenblätter mit Schusslöchern
Daniel Zwygart
Kaum entfalten sich die Buchenblätter in ihrem wunderschönen Frühlingsgrün, kann man in jedem Blatt mehrere kleine Löchlein sehen. Wie wenn jemand mit sehr feinem Schrot durchs Laub geschossen hätte. Verantwortlich dafür ist der Buchenspringrüssler, ein zwei bis drei Millimeter langer, schwarzer Käfer. Wieso ich die für den Lochfrass verantwortlichen Käfer kaum je sehe, konnte mir Beat Feigenwinter vom Amt für Wald beider Basel beantworten: Die Urheber springen – ausgerüstet mit kräftigen Hinterbeinen – bei der kleinsten Störung weg.
Auf meiner Spurensuche erfuhr ich, dass die Rüsselkäfer in der Bodenstreu oder unter loser Rinde überwintern und dann im Frühling austreibende Buchenknospen anfliegen. Es werden ab und zu auch andere Baumarten aufgesucht, aber die Vermehrung kann ausschliesslich auf den Rotbuchen erfolgen. Nach einer Stärkung durch den oben beschriebenen Frass der Blätter folgt die Paarung. Die Weibchen legen dann circa dreissig Eier – immer in die Nähe der Mittelrippe auf den Blattunterseiten. Die schlüpfenden, weisslichen Larven dringen zwischen die noch weichen Blattschichten ein und graben, respektive fressen einen Miniergang bis zum Blattrand. Für uns Betrachter erscheint eine solche Mine wie ein weisslicher «Wurm», weil die Larve die Zellen mit dem Blattgrün frisst.
Am Blattrand angelangt, verpuppen sich die Larven in einer kleinen Kammer. Schon Mitte Juni schlüpfen die Jungkäfer. Die Blätter der Buchen zeigen dann mehr oder weniger dürre Partien – als ob ein Spätfrost sie geplagt hätte.
Unter «normalen» Bedingungen überstehen die Buchen die «Schlemmerei» der Rüsselkäfer unbeschadet. Die Buche ist ihrerseits auch nicht ganz wehrlos. Sie bildet am Rand der entstehenden Minen neue Zellen und versieht diese mit bitteren Gerbstoffen, die sie in den Blättern selber herstellt. Spannend ist, dass sie dies viel besser in den sogenannten Sonnenblättern machen kann. Sonnenblätter sind die der Sonne zugewandten Blätter. Diese sind etwas dicker und können mehr Photosynthese machen als die dünneren Blätter im Schattenbereich. Dadurch besitzen sie genügend Ausgangsmaterial und Energie für die aufwendige chemische Synthese der Gerbstoffe.
Die Rüsselkäferweibchen scheinen diesen Zusammenhang genetisch oder eher epigenetisch gespeichert zu haben. Sie legen ihre Eier nämlich viel häufiger auf Schattenblättern ab. Sind die Jungkäfer geschlüpft, wandern oder fliegen diese hingegen lieber zu den «fetteren» Sonnenblättern, um sich zu stärken. Den Buchen hilft auch die Tatsache, dass über 20 verschiedene Insektenarten die Eier und die Larven der Buchenspringrüssler parasitieren.
Viele unserer Buchen sind als Folge der Trockenheit und der Überdüngung aus der Luft mit Stickstoff gesundheitlich angeschlagen. Werden ihnen grosse Horden von Buchenspringrüsslern noch die letzten Reserven nehmen? Nun, es hat geregnet – immerhin!
Daniel Zwygart ist Biologe. Er unterrichtete während vieler Jahre am Gymnasium Liestal.