QUERPASS
07.05.2021 GesellschaftEin Schuss, ein Treffer
«Wollt ihr auch mal schiessen?», fragt Jan Lochbihler, als wir mit den Dreharbeiten fertig sind. Kameramann Michael meint, er «schiesse» lieber mit der Kamera als mit dem Gewehr. Und ich schaue Jan nur mit grossen Augen an, was er ...
Ein Schuss, ein Treffer
«Wollt ihr auch mal schiessen?», fragt Jan Lochbihler, als wir mit den Dreharbeiten fertig sind. Kameramann Michael meint, er «schiesse» lieber mit der Kamera als mit dem Gewehr. Und ich schaue Jan nur mit grossen Augen an, was er als Ja deutet. Kurz darauf liege ich bäuchlings auf der dünnen Matte, neben mir Jans Sportgerät. Zum Glück wird er mir erst hinterher verraten, dass es 12 000 Franken kostet.
Denn es ist nicht irgendein Gewehr, Lochbihler nicht irgendein Schütze. Der 29-Jährige aus dem solothurnischen Holderbank ist einer der besten Gewehrschützen der Welt, er hält im Dreistellungsmatch gar den Weltrekord: Beim Weltcup in Rio de Janeiro 2019 schoss er 1188 von möglichen 1200 Punkten. Unglaublich! «Das war mein Stern, der mich täglich fürs Training motivierte. Dass er je aufgehen würde, hätte ich nie für möglich gehalten», sagt Jan.
Sterne? Die gab es auch bei den Schiessbuden an der Herbstmesse. Wurde ein Stern präzis getroffen, zersplitterte er in Einzelteile. Als Preis gab’s ein Plüschtier. Weniger kuschelig die Erinnerungen ans Schützenhaus Tschoppenhof, zumindest, was die Matten im Schiessstand betrifft. Borstig waren sie und nicht sonderlich bequem. Ein paar Mal habe ich dennoch darauf gelegen, neben mir das Sturmgewehr 90 meines Vaters, in 300 Metern Entfernung auf der anderen Talseite die Scheibe. Der Schiesssport fasziniert mich bis heute, das merke ich beim Dreh fürs «Sportpanorama» mit Jan Lochbihler. Ich löchere ihn mit allerhand Fragen, die nichts mit dem Beitrag zu tun haben. Als Kind verbrachte ich viel Zeit im Schützenhaus, waren doch mein Vater und dessen ganze Familie angefressene Sportschützen: die Onkel, die Cousins …
Und für mich gab’s an den Schützenfesten viel zu tun: im Beizli Flaschen abräumen und Aschenbecher leeren, später Munition verkaufen, als Schreiberin Punkte notieren und immer wieder die Gewehrhülsen einsammeln. An den ersten Schuss erinnere ich mich nicht, nur noch an den grössten Erfolg: Beim «Grättimaa-Schiesse» der Schützengesellschaft Liestal schoss ich als 13-Jährige mehr Punkte als mein Vater. Ich 70, er 68. Er hat das Standblatt bis heute aufbewahrt.
Ich glaube, Vater hätte sich gewünscht, dass aus mir eine aktive Schützin wird. Doch so gross die Faszination dafür war, irgendwann schoss ich lieber aufs Tor als auf Scheiben. Fussball statt Feldschiessen. Auch wenn ich da weitaus weniger treffsicher war. Vielleicht wurde aus mir deshalb eine Torhüterin.
Ob ich mit Jan Lochbihlers Geschütz getroffen habe? Und ob! Eine glatte Neun. Ein Schuss, ein Treffer. Wenn das Papi wüsste …
Seraina Degen
Seraina Degen (34) ist in Niederdorf aufgewachsen. Als Torhüterin spielte sie lange leidenschaftlich Fussball, heute bleibt sie beruflich am Ball – als Redaktorin bei SRF Sport.