HERZBLUT
18.05.2021 GesellschaftMega
«Als ich in Basel zu studieren begann, fühlte das sich an wie das Entern einer neuen Welt, wow! Ich warf in einem mehrmonatigen Begeisterungsrausch nur so mit Fremdwörtern um mich.» Das sagt Literaturpreisträger Benjamin von Wyl kürzlich ...
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«Als ich in Basel zu studieren begann, fühlte das sich an wie das Entern einer neuen Welt, wow! Ich warf in einem mehrmonatigen Begeisterungsrausch nur so mit Fremdwörtern um mich.» Das sagt Literaturpreisträger Benjamin von Wyl kürzlich in einem Zeitungsinterview. Er sei, erklärt er, «in einer sehr ländlichen Gegend» im Aargau aufgewachsen. Ich fühle mit ihm. Birsfelden kann man beim besten Willen nicht als ländlich bezeichnen, und eine Viertelstunde im Dreier inklusive Doppelsprint und eine Grenzüberquerung reicht, um pünktlich in den Saal zu huschen.
Doch bei den Fremdwörtern kann ich mit dem maskulinen Landei mitfühlen. «Irrelevant» ist mein Schlüsselwort. Zuvor nie gehört, begegnet es mir in jeder Vorlesung plötzlich im Takt des Dreierträmlis. Natürlich lässt sich die Bedeutung des Worts easy herleiten: Gestrickt ist es wie «irreparabel», «irrational» und «irreal». Wer hier noch Irrtum hinzufügt, irrt. Bald rutscht das Wort, das für mich zuvor irrelevant gewesen ist, gehäuft über meine Lippen.
Als Uni-Neuling erhält man ständig Listen mit Büchern in die Hand gedrückt, die man sich für die weitere Laufbahn unbedingt anschaffen müsse. Schnell ist dem Bettelstudenten klar: Der Mensch lebt nicht vom Buch allein. Für Brot und Bier muss es schon noch reichen, und ich drossle meinen Bücherkauf. Aber noch vor allen anderen Werken schaffe ich mir den überlebenswichtigen Fremdwörter-Duden an und erfahre so, dass ein Plagieder das Gleiche ist wie ein Pentagonikositetraeder, was für «aus untereinander kongruenten Fünfecken bestehender vierundzwanzigflächiger Kristallkörper» steht. Das Verb «plagiieren», unweit des Plagieders platziert, steht für «ein Plagiat begehen» und «Plagiat» wiederum für «Diebstahl geistigen Eigentums». «Blagieren» hingegen bedeutet «prahlen, aufschneiden» und gilt schon damals, als die zweite Auflage 1971 in Druck geht, als «veraltet».
Solche Termini technici penetrieren als Symptom der intellektuellen Adoleszenz kurz mein Vokabular. Oder etwas unakademischer: Um zu beeindrucken, schmeisse ich als Jüngling mit Fremdwörtern um mich. Schnell aber wechsle ich ins Lager der Fremdwörterverdreher. Und das wird zum Gaudi (Gaudi ist süddeutsch und steht für Gaudium, was wiederum für Scherz oder Spass steht, aber hier eindeutig besser tönt). Ich schwafle von der Buchrezession, erweise die Referenz und bringe Themen aufs Trapez, höre kontradiktatorische Gespräche und noch heute schaue ich regelmässig Champignons League oder höre Céline Dijon zu, wenn sie die französische Mayonnaise singt.
Wenige Sätze später verwendet Autor Benjamin von Wyl, um zu ihm zurückzukehren, den Begriff «Megaseller». Nicht zu verwechseln mit einem islamischen Reisebüro, einem «Mekka-seller». «Mega» ist mega in Mode. In meinem Fremdwörter-Duden «mit über 40 000 Fremdwörtern», wie die Herausgeber blagieren, findet sich der «Megaseller» nicht. Doch das Stöbern in diesem Buch, das seit über vier Jahrzehnten ungestört vor sich hin gilbt, hat für vieles entschädigt. Jetzt ist es amorisiert.
Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»