Ein kleiner, leiser Tag der Arbeit
04.05.2021 Bezirk Liestal, PolitikTobias Gfeller
Etliche Teilnehmende und Zaungäste rieben sich am Samstagnachmittag die Augen, als nur gerade rund 60 Personen beim Bahnhof in Liestal loszogen. Die Musik gab den Takt vor, dahinter reihten sich unter anderem SP-Nationalrätin Samira Marti, ...
Tobias Gfeller
Etliche Teilnehmende und Zaungäste rieben sich am Samstagnachmittag die Augen, als nur gerade rund 60 Personen beim Bahnhof in Liestal loszogen. Die Musik gab den Takt vor, dahinter reihten sich unter anderem SP-Nationalrätin Samira Marti, Juso-Schweiz-Präsidentin Ronja Jansen und Andreas Giger-Schmid, Präsident des Gewerkschaftsbundes Baselland, hinter Transparenten auf, auf denen die Gewerkschaften eine soziale Wende und einen starken Service public forderten. Den Abschluss des Demonstrationszugs bildeten die Juso, die beim Törli ein erstes Mal lautstark ihre antikapitalistischen Parolen riefen.
Das Motto der diesjährigen Baselbieter 1.-Mai-Feier lautete analog zu Basel «Mindestlohn jetzt!». Sind es normalerweise zwischen 200 und 300 Teilnehmende – in Wahljahren auch einmal etwas mehr –, waren es in diesem Jahr unter den speziellen Rahmenbedingungen einer Pandemie nur gerade rund 60. Dazu kam der Regen. Dass der Aufmarsch heuer kleiner ausfallen würde als in normalen Jahren, war klar. Dennoch äusserten sich mehrere Teilnehmende über die doch sehr tiefe Zahl überrascht. Nicht so Andreas Giger: Er zeigte sich nach Ende des Feiertages zufrieden und freute sich über die starken Botschaften – allen voran von Ronja Jansen. «Mehrere Personen, auch aus der Politik, haben mir gegenüber ihre Teilnahme abgesagt, weil sie aktuell an keinen Massenveranstaltungen teilnehmen möchten. Dafür habe ich vollstes Verständnis.»
Es war auffallend, wie wenig bekannte politische Gesichter – allen voran aus dem Landrat – zu sehen waren. Von der SP-Fraktion waren gerade einmal drei Mitglieder dabei – unter anderem die Lausnerin Tania Cucè. «Ich bin schon sehr enttäuscht über die SP-Landratsfraktion», stellte Samira Marti klar. Dass man sich während einer Pandemie dafür entscheidet, einer Demonstration lieber fernzubleiben, könne sie aber verstehen. Zu den Abwesenden gehörte auch die Baselbieter SP-Präsidentin Miriam Locher, die öffentlich erklärte, dass sie wie Fraktionspräsident Roman Brunner aufgrund von Corona den Livestream der nationalen 1.-Mai-Veranstaltung mitverfolgen werde. Gewerkschaftschef Andreas Giger glaubt, dass auch die Liestaler Demonstration gegen die Corona-Massnahmen von vor knapp vier Wochen einen Schatten auf die 1.-Mai-Feier in Liestal legte und Einzelne davon abhielt, im Kantonshauptort für Arbeitnehmerrechte zu demonstrieren.
Für Missstimmung – oder vielleicht auch etwas für Belustigung – sorgte die Grüne/EVP-Landratsfraktion, die ihre Retraite im Regierungsgebäude – gleich hinter dem Podest für die Reden – auf den 1. Mai gelegt hatte und dies zeitgleich zum Umzugsstart in den Sozialen Medien bekannt gab. Dies sorgte unter führenden SP-Mitgliedern für Kopfschütteln.
Jansen gegen Reiche und Rechte
Für den Höhepunkt, und das war an den Reaktionen im Publikum zu spüren, sorgte mit Sicherheit Juso-Chefin Ronja Jansen mit ihrer kraftvollen Ansprache, in der sie kein gutes Haar am reichsten Ein-Prozent und den Vertreterinnen und Vertretern des rechten politischen Spektrums liess. Sie wolle nicht in einer Welt leben, wo Menschen von frühmorgens bis spätabends schuften und dann trotzdem nicht über die Runden kommen: «Wir können uns das gute Leben für alle leisten. Was wir uns nicht leisten können, ist das reichste Ein-Prozent. Den Kapitalismus können wir uns nicht mehr leisten.» Jubel und Applaus ertönten. Es war an der Juso-Chefin aus Frenkendorf, dem 1. Mai in Liestal Leben einzuhauchen.
Das schaffte ihre Vorrednerin Gabriela Medici noch nicht. Die stellvertretende Leiterin des Zentralsekretariats des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes ersetzte als Rednerin Daniel Lampart. Der Chefökonom musste aufgrund eines Todesfalls in der Familie als Redner kurzfristig passen. Medici warnte, dass die Coronakrise die Schere zwischen Reich und Arm nochmals vergrössert habe und die geplante AHV-Reform die Situation der Frauen verschlechtern würde.
In Basel hatten sich am Samstag weit über tausend Menschen zur polizeilich bewilligten 1.-Mai-Kundgebung versammelt. Der von vielen unterschiedlichen Gruppierungen zusammengesetzte Demonstrationszug blieb mit Ausnahme eines kurzen Scharmützels mit der Polizei und einer internen Auseinandersetzung gegen Schluss friedlich.