«Musik bleibt meine treibende Kraft»

Was ändert sich für einen pensionierten Jugendarbeiter und Songwriter während einer Pandemie? Herzlich empfängt George Hennig unsere Autorin Ira May in seinem Zuhause in Oberwil und erzählt. Teil 6 unserer Serie.

Ira May

Wie hat dein Leben vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ausgesehen?
George Hennig: Ein Vierteljahrhundert habe ich Jugendarbeit geleistet. Davor war ich Musiker und mein grosses Glück war, dass ich nach meiner Pensionierung den Schalter nahtlos umlegen konnte und mich neu erfunden habe. Die Bühne war in meinen jüngeren Jahren wichtig und ich habe die wilden Zeiten genossen, auch wenn ich wie andere Musiker gelegentlich auch einmal am Hungertuch nagen musste. Mittlerweile habe ich mir ein Studio zu Hause eingerichtet. Als Produzenten würde ich mich nicht direkt bezeichnen, aber ich habe doch einigen Projekten und Alben einen roten Faden verleihen können, wie auch meiner Band «The Zodiacs».

Und wie sieht dein Leben seit März 2020 aus?
Vor dieser Pandemie habe ich mit diversen Studios zusammengearbeitet. Diese Kontakte haben seither schon etwas gelitten. Ich halte mich bewusst an die Vorgaben. Als der erste Lockdown da war, sind wir auch nicht mehr selbst einkaufen gegangen. Die Kontakte mussten – anstatt in einem Restaurant mit Bier – zu Hause per Skype, E-Mail oder Telefon stattfinden. Ansonsten ist die Situation für mich und meine Freundin gut zu handhaben, da wir beide nicht mehr in die Stadt zur Arbeit fahren müssen. Ich betrachte mich als sehr glücklichen Menschen, weil ich hier zu Hause alles machen kann.

Inwiefern kannst du deine Kunst in dieser Zeit leben?
Für mich hat sich wenig geändert. Mir fehlt am ehesten der soziale Kontakt. Die Liebe und Menschen sind das Wichtigste, dennoch nehme ich meine Berufung sehr ernst – und die Musik treibt mich an. Deshalb verbringe täglich ein paar Stunden in meinem Home-Studio. Dass ich dabei von nichts und niemandem abhängig bin, vereinfacht diese Corona-Situation enorm.

Konntest du Nothilfe vom Bund in Anspruch nehmen?
Persönlich gibt es für mich keinen Anspruch, weil ich durch meine Pension abgesichert bin. Es schmerzt mich aber sehr, all diese jungen Kulturschaffenden zu sehen, die schonungslos durch all die bürokratischen Maschen fallen. Viele sind nirgends registriert und können nicht einmal eine Ausfallentschädigung geltend machen. Wir haben uns in den 1990er-Jahren mit der Gründung des Rockfördervereins (RFV) stark dafür eingesetzt, dass Kulturgelder gerechter verteilt werden. Allerdings blieb es bei diesem «Tropfen auf den heissen Stein». Die altehrwürdigen Kulturbereiche wie Museen, Theater, Ballett und Klassik werden nach wie vor übersubventioniert, während sich bei der Nachwuchsförderung im Bereich «junge Kultur» leider nur wenig geändert hat. Die Verteilung – etablierte Kultur 97,5 Prozent, junge Kultur 2,5 Prozent – ist geradezu absurd unausgewogen. Die Popmusik stellt ausserdem im Gegensatz zu Theater, Klassik, Ballett und Museen, die primär Kosten generieren, einen grossen Wirtschaftsfaktor dar. Schaut man, wer von der Popmusik profitiert – von Veranstaltern, Klubmanagements, Studios über Radios bis zur Gastronomie –, dann ist es offensichtlich, dass diese Musik für grössere Einnahmen sorgt, als es Museen oder Theater je könnten. Popkonzerte und -festivals sind aber auch eigentliche Sozialisationsplattformen, wo vor allem Jugendliche elementare Erfahrungen machen können, wo integratives und soziales Lernen stattfinden – was man von Klassikkonzerten wohl kaum behaupten würde.

Wie hältst du dich mental fit?
Wenn man das Glück hat, Musik machen zu können und immer noch ambitioniert ist, ist dies automatisch die treibende Kraft. Das hält mich mental fit. Gleichzeitig habe ich das Glück, eine wunderbare Beziehung zu führen, die mich fordert, fördert und mir zu meiner inneren Balance verhilft. Ich pflege Kontakte zu Freunden und jogge praktisch jeden Tag fünf bis sechs Kilometer.

Ab wann rechnest du wieder mit einer gewissen Normalität?
Es wäre falsch, wenn nicht gar dumm, zu denken, dass unsere Art, wie wir mit Natur und Tieren umgehen, keinen Einfluss auf diese Pandemie gehabt hätte. Wir sollten langsam dahinterkommen, dass die Natur einmal mehr zurückschlägt. Ich meine es nicht zynisch, aber ich hoffe, dass diese Sache nicht allzu schnell vorübergeht. Aus dem einfachen Grund, weil ich Menschen für lernresistent halte. Viele möchten so schnell wie möglich zu ihrem alltäglichen, genussvollen Leben zurück, dabei gäbe es gerade jetzt so einiges zu lernen.

Hast du Tipps für «Leidensgenossen»?
Das klingt jetzt vielleicht etwas populär-philosophisch, aber in jedem Unheil liegt eine Chance. Man kann sich in eine Ecke setzen und bejammern, was man alles nicht mehr machen kann. Oder man sieht das halb volle Glas und erkennt, was man noch tun kann. Musikalität kann einem niemand nehmen. Dieses Virus trennt die Spreu vom Weizen. Diejenigen, die Biss haben, lassen sich nicht aufhalten.

Was war deine bisher originellste Lockdown-Aktion?
Vor einiger Zeit hat mich der Poet, Schriftsteller und «Alan Ginsberg Award»-Gewinner Richard Cambridge von Massachusetts aus angeschrieben. Er hat meine Version des Robert-Burns-Klassikers «John Barleycorn must die» gehört und hat mir seine Wertschätzung entgegengebracht. Nach einem halben Jahr mit guten und tiefgehenden Unterhaltungen habe ich ihn gefragt, ob er mir ein paar seiner Werke schicken würde, damit ich sie musikalisch untermalen kann; er war sofort einverstanden. So begann eine wichtige Reise für uns beide, verbunden über Tausende von Kilometern. Dieses Projekt hat uns beiden einen hellen Faden durch diese dunkle Zeit geschenkt. Das dadurch entstandene Album ist in der Abschlussphase und wird demnächst veröffentlicht.

Hast du einen grossen Traum?
Nein, ich habe mir meinen Traum erfüllt, da ist nichts mehr offen.

Die Musikerin Ira May ist in Gelterkinden aufgewachsen. Mit bürgerlichem Namen heisst sie Iris Bösiger.

Persönlich

im. Bereits im Alter von 18 galt George Hennig (68) als die Basler Antwort auf Jeff Beck oder Mike Bloomfield. Er entdeckt schnell sein Faible für anglo-inspiriertes Songwriting, das er in diversen Formationen weiterentwickelt. Mitte der 1970er kann Hennig einen Deal mit einem Hamburger Label abschliessen; die erste LP «First Snow» wird veröffentlicht. Es folgen weitere Produktionen, Werbe- und TV-Auftritte und Gigs, gefolgt von guten Kritiken. George Hennig bleibt trotzdem immer ein Geheimtipp. Er engagiert sich in der Entwicklung des Rockfördervereins (RFV) und des Jugendkulturfestivals (JKF) und ist indirekt beteiligt an der Projektierung der Festivals «BScene» und Imagine. Mit seiner Band «The Zodiacs» veröffentlicht er einige Alben und arbeitet konstant weiter an seiner eigenen Musik. Er lebt mittlerweile ein ruhiges Leben auf dem Land, fast gänzlich ausserhalb der öffentlichen Wahrnehmung.

https://georgehennig.com

AUFBRUCH AUS DEM LOCKDOWN? | MUSIKER GEORGE HENNIG

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