AHNIG VO BOTANIK
07.05.2021 BaselbietEin Stalker steht am Anfang
Andres Klein
Es ist bekannt, dass die ersten Stalker griechische Götter waren. So stellte nicht nur Zeus, sondern auch Apollo jedem schönen Mädchen nach. Er verfolgte Tag und Nacht eine Jungfrau namens ...
Ein Stalker steht am Anfang
Andres Klein
Es ist bekannt, dass die ersten Stalker griechische Götter waren. So stellte nicht nur Zeus, sondern auch Apollo jedem schönen Mädchen nach. Er verfolgte Tag und Nacht eine Jungfrau namens Daphne. Zu ihrem Schutz verwandelte ihr Vater die junge Frau in einen Lorbeer-Strauch. Der schwedische Ur-Botaniker Linné gab dann unserem Seidelbast den wissenschaftlichen Namen Daphne, weil er lorbeerähnliche Blätter hat.
Den echten Seidelbast kennen die meisten Naturbegeisterten, denn er blüht, bevor die andern Bäume und Sträucher im Wald die Blätter ausgetrieben haben. Seine rosa bis violetten Blüten schimmern im Unterwuchs und der Blütenduft verbreitet sich wie auf einem tunesischen Parfum-Markt. Typisch an diesem Strauch sind auch die Blätter, welche nur am vorderen Astende zu finden sind. Ab dem Genuss von zwölf Beeren muss mit einem raschen Tod gerechnet werden. Auch die andern Pflanzenteile enthalten verschiedene Gifte, die zum Teil sogar krebsfördernd sind. Es ist also nicht nur Apollo zu raten, die Finger von Daphne zu lassen.
Bei uns gibt es noch weitere Arten aus der Gattung Daphne. Das sind der Alpen-, der Gestreifte und bei uns der Lorbeerblättrige Seidelbast. Dieser gilt als sogenannter Kalkzeiger. Dort, wo er im Wald gefunden wird, hat es im Boden hohe Kalkanteile. Aus diesem Grund ist er auch in unseren Jurawäldern sehr verbreitet. Er wird leicht übersehen, da er nur etwa einen Meter hoch wird und gelblich-grüne Blüten hat. Diese sind erst noch durch die immergrünen lorbeerförmigen Blätter versteckt. Die schwarzblauen Früchte sind Steinfrüchte und sind wie alle Pflanzenteile stark giftig. Der Lorbeer-Seidelbast wird vermutlich deshalb auch selten von unseren Wildtieren verbissen. Dafür werden die Blüten sehr stark von Insekten besucht, dies auch, weil im März und April im Wald ein kleines Blütenangebot besteht. Immer wieder kann beobachtet werden, dass dieser immergrüne Strauch den Winter mit und ohne Schnee gut übersteht, aber dann bei Spätfrösten im April sehr grosse Schäden davonträgt.
Die deutsche Bezeichnung «Seidelbast» hat am wahrscheinlichsten mit der früheren Nutzung zu tun. Die Rinde wurde geschält und der Bast zur Herstellung von sogenannt «seidigen Schnüren» benutzt. Viele Seidelbast-Arten haben im Innern der Rinde silbern glänzende Fasern, die sehr elastisch sind. Bei einzelnen Straucharten kann man in die dünnen Zweige sogar einen Knoten machen, ohne dass der Zweig bricht.
Die starken und elastischen Fasern von verschiedenen Seidelbastgewächsen wurden und werden immer noch zur Herstellung von Spezialpapieren genutzt. Bei Banknoten wurden die Seidelbast- durch Kunststoff-Fasern ersetzt. In japanischem Spezialpapier kommen sie noch immer zur Anwendung.
Bis vor Kurzem glaubte man, dass die Seidelbastgewächse wegen äusserer Merkmale nahe verwandt mit den Wolfsmilchgewächsen sei. Genetische Analysen haben aber gezeigt, dass sie zur Gruppe der Malvenähnlichen gehören. Sie sind ausser in Wüsten und im westlichen Nordamerika und Sibirien weltweit mit fast 1000 Arten verbreitet.
Andres Klein ist Biologe. Er lebt in Gelterkinden.