«Ich bin der Chef, aber kein König»
06.05.2021 Gelterkinden, Porträt, Politik, Gesellschaft
Christian Horisberger
Herr Gröflin, wie geht es Ihnen?
Peter Gröflin: Falls Sie damit Corona ansprechen – meine Familie und ich haben die Zeit bislang gut überstanden. Es gab in meinem Umfeld zwar Fälle, die waren aber alle ...
Christian Horisberger
Herr Gröflin, wie geht es Ihnen?
Peter Gröflin: Falls Sie damit Corona ansprechen – meine Familie und ich haben die Zeit bislang gut überstanden. Es gab in meinem Umfeld zwar Fälle, die waren aber alle unproblematisch. Wir sind gut über die Runden gekommen. Im Beruf bin ich in einer privilegierten Situation: Wir haben viel Arbeit und ich habe keinen Anlass, mir über einen Stellenverlust Gedanken machen zu müssen.
Wie hat sich die Pandemie auf Ihren Start als Gemeindepräsident ausgewirkt?
Ich stelle fest, dass sich vieles auf die nötigen Kontakte beschränkt. Was darüber hinausginge und unter normalen Umständen beiläufig besprochen würde, fällt damit weg – und fehlt. Das gilt sowohl fürs Präsidialamt als auch fürs Berufliche – ich arbeite seit Monaten im Homeoffice.
Das Gesellschaftliche fehlt wohl nicht nur innerhalb des Gemeinderats.
Die Veranstaltungen, an denen ich vor allem oder auch als Repräsentant der Gemeinde Gelterkinden teilgenommen hätte, sind alle weggefallen. Dadurch fehlen die spontanen Kontakte. Auch die sind wichtig. Für mich als neuer Gemeindepräsident wird das gegenseitige Kennenlernen dadurch erschwert.
Wie haben Sie sich unter diesen Umständen im Amt eingelebt?
Ich bin angekommen, doch befinde ich mich noch stark im Lernprozess. Die Aufgabe ist sehr vielfältig – alleine schon die fachlichen Themen, die im Rat zur Sprache kommen. Ich muss alle Geschäfte und deren Vorgeschichte erst einmal kennenlernen. Die Themen sind ja nicht erst Mitte vergangenen Jahres auf den Tisch gekommen, als ich zum Gemeinderat stiess. Es ist eine Herausforderung, sich all das Wissen anzueignen, aber es ist eine interessante Erfahrung. Von vielem hatte ich selbst als politisch interessierter Einwohner zuvor nichts mitbekommen. Auch nach vier Monaten im Amt stosse ich immer noch oft auf Themen, die für mich neu sind.
War es ein guter Entscheid, das Präsidium zu übernehmen?
Es war kein Hurra-Entscheid, als ich mich entschloss, mich zur Verfügung zu stellen, sondern ein Abwägen zwischen Chancen und Risiken. Es gäbe sicher einfachere Konstellationen, das Amt auszuüben, dessen war ich mir bewusst und das hat sich auch bewahrheitet. Aber ich stehe zu dem Entscheid.
Meinen Sie mit der speziellen Konstellation das Präsidium nach nur einem halben Jahr in der Exekutive?
Nein, die Post-Mangold-Ära. Für die fünf Bisherigen war klar: Der neue Gemeinderat soll anders funktionieren als zuvor. Die einzelnen Departemente sollten gestärkt werden, die Verantwortung sollte auf mehr Schultern verteilt werden, als dies unter Christine Mangold der Fall gewesen ist. Diesen Prozess zu starten und voranzutreiben, ohne die Zeit zuvor erlebt zu haben, ist eine Herausforderung. Wie wir Gemeinderäte unsere Rollen jetzt sehen, ist für mich als Neuling selbstverständlich, ich darf aber den geschichtlichen Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Deshalb ist beispielsweise in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung wichtig, dass im Zweifel nachgefragt und miteinander geredet wird.
Wie funktioniert das Miteinander im Gemeinderat? Wie gut harmoniert er?
Wir sind eine Kollegialbehörde, in der ohne Anfeindungen um die Sache diskutiert wird, die Gesprächskultur ist sachlich-fair. Aber klar, es gibt immer wieder Situationen, in denen man die politische Herkunft jedes Einzelnen herausspürt. Wir wollen auch kein Wohlfühl-Klub sein, sondern ein Gremium, das die verschiedenen Meinungen der Bevölkerungen abbildet und ausdiskutiert.
Als Vertreter der Kleinstpartei EVP regieren Sie zusammen mit einem bürgerlichen Viererblock und zwei SP-Vertretern. Stehen Sie zwischen den Fronten? Werden Sie dazwischen zerrieben?
Wir haben zwei Lager und ich stehe nicht dazwischen. Ich war mit den beiden SP-Vertretern auf dem Wahlplakat und diese sind innerhalb des Gemeinderats in verschiedenen Situationen meine ersten Ansprechpartner. Aber auf den grössten Teil der Themen, die wir im Gremium behandeln, haben Parteibüchlein oder Block wenig Einfluss.
Fühlen Sie sich denn als Chef?
Als Gemeindepräsident bin ich der Chef. Aber sicher nicht der König. Ich sehe mich dazu verpflichtet, zu schauen, dass wir als Gremium kollegial unterwegs sind und funktionieren. Auch dass die Exekutive und die Verwaltung miteinander funktionieren. Hier sehe ich mich in der Chefrolle. Ich versuche auch, regelmässig in der Verwaltung präsent zu sein, bin ansprechbar und treffe die Entscheide, die mir obliegen. Aber ich erwarte nicht, dass man einen Kniefall vor mir macht.
Lassen Sie uns über Tempo 30 sprechen. Die Kampagne des Pro-Komitees für die Referendumsabstimmung ist bereits – zu früh – angelaufen. Auf der einen Seite ist von Sicherheit für die Kinder die Rede, auf der anderen von Eigenverantwortung. Tut sich hier ein Graben im Dorf auf?
Einen Graben nehme ich nicht wahr. Bis zur Gemeindeversammlung blieb es ruhig, während in derselben Frage anderswo böse Leserbriefe hin und her gingen. Daran änderte auch das Referendum nichts. Ich hoffe, dass es bis zur Abstimmung so bleibt, dass man sich gegenseitig die Argumente sachlich auftischen kann, ohne dass Gräben entstehen. Ich finde es gut, dass eine Urnenabstimmung das Meinungsbild der gesamten Bevölkerung aufzeigt.
Was ist das nächste grosse Thema, mit dem sich der Gemeinderat zu beschäftigen hat?
Wir haben im Finanzplan tiefrote Zahlen präsentiert. Es ist ein Legislaturziel, den Finanzhaushalt anzugehen. Ich gehe davon aus, dass sehr viele Themen, die auf die Agenda kommen werden, von Investitionen bis zu Anstellungen, noch stärker als sonst vom finanziellen Aspekt geprägt sein werden.
Wird ein Sparpaket geschnürt?
Das nicht, aber wir sind in einer Phase, in der verschiedenes geprüft wird, das anzugehen ist. Ausgaben werden laufend hinterfragt. Für Gemeinderat und Verwaltung ist klar, dass ein budgetierter Posten nicht ausgeschöpft werden muss, sondern die Ausgaben möglichst kritisch getätigt werden sollen.
Auf der Einnahmenseite profitiert Gelterkinden in hohem Masse vom kantonalen Finanzausgleich. Die Gemeinde hat ein Hallenbad gebaut und das Marabu gekauft. Das kommt im Unterbaselbiet nicht gut an. Verstehen Sie jene, die hier von Schmarotzertum sprechen?
Das muss man sehr ernst nehmen.
Auch die Geber müssen schauen, dass sie mit ihren Finanzen zurecht kommen. Es ist an uns, uns nicht so zu verhalten, dass man solche Äusserungen provoziert. Ich finde es wichtig – nicht nur aus Gelterkinder Sicht –, dass es den Finanzausgleich gibt. Er muss fair sein und die Geber müssen sehen, dass die Nehmer mit dem Geld aus dem Ausgleich verantwortungsvoll umgehen.
Sie haben davon gesprochen, bei den Ausgaben jeden Franken umzudrehen. Sparen kann man auch mit einem Leistungsabbau oder mit einer Kostenpflicht oder Verteuerung bisher kostenloser oder günstiger Angebote. Gibt es dazu Überlegungen?
Diskussionen sind hier nicht in Gang. Aber klar: Man muss sicher verschiedenes anschauen und auch ein waches Auge dafür haben, ob wirklich jede Leistung nötig ist.
War der Kauf des Marabus denn nötig?
Nach all den Jahren, während derer sich das Marabu als wichtige Kulturstätte etabliert hat, halte ich den Entscheid für richtig. Wir haben ansonsten nicht übermässig viele Kulturangebote. Ich habe mich sehr über das grossmehrheitliche Ja der Gemeindeversammlung gefreut. Das Marabu ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit und Würdigung für die Arbeit der Menschen, die sich schon so lange Zeit dafür engagieren.
Der Umbau beginnt im Sommer. Und es wird in den kommenden Jahren nicht die einzige Baustelle sein. Auch mehrere Wohnbauprojekte sind in Vorbereitung.
Ja, es gibt gegenwärtig mehrere Quartierpläne in unterschiedlichen Stadien: Im «Eifeld» hinter dem Bahnhof, in der «Bleichi», wo sich die alten Tennisplätze befanden, in der «Maren», an der Grenze zu Ormalingen und am Rohrbachweg.
Wie viele Einwohner bescheren die Neubauten Ihrem Dorf?
Heute haben wir rund 6200 Einwohner. Wir rechnen in absehbarer Zeit mit weiteren 200 bis 300.
Ist die Infrastruktur dafür gerüstet?
Die Schulraumplanung ist ein Dauerthema. Sicherlich wird aufgrund des Bevölkerungszuwachses dem Schulraum besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Und an der letzten Gemeindeversammlung wurde die Frage wegen des Mehrverkehrs durch den Wohnungsbau aufgeworfen.
Wäre Ihnen eine Staffelung der Bauvorhaben lieber?
Das wäre wünschenswert. Wenn sie nach und nach kämen, wäre es insbesondere für die zuständigen Stellen – auch in der Verwaltung – leichter, sie zu begleiten. Doch über den Zeitpunkt entscheidet nicht alleine die Gemeinde, sondern das liegt auch bei den Investoren. Diese Bauvorhaben sind nicht das Resultat von Entscheidungen jetzt, sondern von der Ausgestaltung unserer Zonenplanung.
Gelterkinden scheint als Wohnort gefragt zu sein.
Die Investoren, welche die Projekte vorantreiben, sind wohl dieser Überzeugung. Auch aufgrund des Interesses an den noch wenigen freien Baulandparzellen kann man sagen, dass Gelterkinden attraktiv ist. Ich bin auch dieser Meinung.
Noch attraktiver würde Gelterkinden mit einem zweiten Schnellzugshalt. Ist immer noch Warten bis zur Fertigstellung des Bahnhofs Liestal angesagt?
Mir ist nichts anderes bekannt. Wir können nicht mehr tun, als unsere Bedürfnisse immer wieder anzumelden – und wir werden von den SBB mit deren Realitäten konfrontiert.
Die Begegnungszone könnte auch als «Verkaufsargument» für Ihr Dorf gesehen werden. Der Bereich ist schön ausgestaltet, aber das Leben pulsiert im Allmend-Markt. Möchten Sie dem Zentrum nicht mehr Leben einhauchen?
Die Verkehrsberuhigung funktioniert, dieses Ziel hat man sicher erreicht. Aber Ruhe ist das eine und Leben das andere. Diese Wahrnehmung teile ich. Es ist nichts in Planung oder Vorbereitung, um Gegensteuer zu geben.
Ist das die Aufgabe der Gemeinde?
Nachdem wir gebaut und gewisse Rahmenbedingungen geschaffen haben, stehen wir sicherlich in der Verantwortung: Ist dies das Dorfzentrum, das wir haben wollen? Wir sind offen für Initiativen von Privaten und Gewerbe zur Belebung, beispielsweise mit «Usestuele», wo dies möglich ist.
Zur Person
ch. Peter Gröflin (58) wurde im Februar 2020 in den Gelterkinder Gemeinderat gewählt und präsidiert ihn seit Anfang Jahr. Politisch ist Gröflin seit rund 25 Jahren aktiv – als Mitglied der EVP. Er engagiert sich zudem in der reformierten Kirche: aktuell als Synodaler in der Kantonalkirche. Er absolvierte ein Bauingenieurstudium HTL an der Ingenieurschule Muttenz und ist heute bei einer Basler Versicherung in der Informatik tätig. In seiner Freizeit macht er Blasmusik und Ausdauersport. Gröflin ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder.