AUFBRUCH AUS DEM LOCKDOWN? | TÄNZERIN UND CHOREOGRAFIN TABEA MARTIN
30.04.2021 Gesellschaft, Kultur«Es ist wichtig, nicht der Angst zu verfallen»
Wie geht man damit um, wenn Produktionen plötzlich abgesagt werden und man von einem vollen Terminplan zu einem ruhigen Leben in die eigenen vier Wände verbannt wird? Ira May im Gespräch mit der Tänzerin und Choreografin ...
«Es ist wichtig, nicht der Angst zu verfallen»
Wie geht man damit um, wenn Produktionen plötzlich abgesagt werden und man von einem vollen Terminplan zu einem ruhigen Leben in die eigenen vier Wände verbannt wird? Ira May im Gespräch mit der Tänzerin und Choreografin Tabea Martin. Teil 3 unserer Serie.
Ira May
Tabea Martin, wie hat dein Leben vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ausgesehen?
Tabea Martin: Vor dieser Pandemie war ich sehr beschäftigt mit Produktionen, Workshops und Touring. Für die Produktionen war ab 9 Uhr morgens bis abends um 18 Uhr tanzen angesagt. Getourt sind wir auch immer wieder in verschiedenen Ländern in Europa. Meine Agenda war sehr voll.
Und wie sieht dein Leben nun seit März 2020 aus?
Als im März 2020 alles heruntergefahren wurde, mussten wir «Nothing left», die Produktion für das Steps-Festival des Migros Kulturproduzenten abrupt einstellen. Es war plötzlich sehr ruhig. Meine Tochter war ab diesem Zeitpunkt ausschliesslich zu Hause und mein Fokus verlagerte sich auf das Homeschooling. Als ich mich allmählich von diesem Corona-Schock erholt hatte, konnte ich mir bewusst Zeit nehmen, um zu restrukturieren. So ging ich über die Bücher mit der Frage, was ich innerhalb der Compagnie verbessern oder ändern könnte. Das war sehr positiv. Nichtsdestotrotz habe ich das Theater schrecklich vermisst! Der soziale Austausch fehlte und so schwand auch die Energie, was immer mehr zum Rückzug führte. Ich war gefangen in diesem Freiraum. Das Nichtwissen, wie und wann es weitergehen könnte, hat auch Ängste freigesetzt.
Inwiefern kannst du deine Kunst in dieser Zeit leben?
Durch eine Verletzung in dieser Zeit war ich gezwungen, auch körperlich etwas kürzerzutreten und konnte nicht viel im Studio tanzen. Lesen half mir und gab mir neue Perspektiven. Ich konnte reflektieren, Neues lernen und mich in andere Themen einlesen, um auch Pläne für zukünftige Projekte zu schmieden. Der Austausch mit anderen Künstlern war sehr wichtig für mich. Nur habe ich gemerkt, dass ich es schwierig finde, Kunst digital zu transportieren. Deshalb habe ich mich schnell von der Erwartung verabschiedet, online Vorstellungen zu geben.
Konntest du Nothilfe vom Bund in Anspruch nehmen?
Ja, mein Verein konnte die Gagen der abgesagten Vorstellungen über die Kurzarbeits- und Ausfallentschädigung des Kantons Baselland rückwirkend einholen. Doch irgendwann fallen die neuen Aufträge und Vorstellungen im Ausland weg und es bleibt so oder so eine Einbusse. Die Kulturämter der Kantone Baselland und Basel-Stadt waren und sind in dieser Zeit wichtige Anlaufstellen für uns und konnten uns und anderen Künstlerinnen und Künstlern immer wieder Mut machen.
Wie hältst du dich mental fit?
Weil ich nicht wirklich tanzen konnte, war ich viel draussen in der Natur. Noch nie in meinem Leben war ich so oft spazieren oder wandern. Ich kenne jetzt bestimmt jeden Hügel im Baselbiet. Es war auch wichtig, dass ich mich nicht komplett abgeschottet habe und mit meinem Umfeld in Kontakt geblieben bin.
Denkt man als Künstlerin in dieser Situation auch einmal ans Aufgeben?
Immer! Im Ernst: Man hat immer Angst davor, zu scheitern, denn die Arbeit ist immer existenziell. Das Aufgeben und das Weitermachen gehen Hand in Hand. Und trotzdem bei aller Unsicherheit: Krisen verstärken die Notwendigkeit, Kunst zu machen. Jetzt erst recht spüren wir, wie notwendig Kunst und Kultur wirklich sind. Eine Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler ist es jetzt, auch andere Themen als Corona wahrzunehmen und kontroverse, gesellschaftliche Themen aufzurollen und Projekte zu starten, die zum Nachdenken anregen.
Ab wann rechnest du wieder mit einer gewissen Normalität?
Ich denke, es wird einen langsamen Übergang geben. Nicht schwarz-weiss, von heute auf morgen. Das Ziel ist in meinen Augen, mit dieser neuartigen Situation leben zu lernen. Wenn es vollständig verschwindet, umso besser … Aber ich gehe davon aus, dass wir damit anfangen müssen, unseren Fokus auch wieder auf andere Dinge zu richten. Sterblich sind wir am Ende alle …
Hast du Tipps für «Leidensgenossen»?
Habe ich nie! (Lacht). Das Einzige, was ich wichtig finde, ist, dass man nicht der Angst verfällt und auch nicht der Angst, kritisch zu sein und Dinge zu hinterfragen.
Was war deine bisher originellste Lockdown-Aktion?
Vielleicht ein sogenanntes Quarantäne-Hotel, das ich in unserem Haus für meine achtjährige Tochter gebaut habe, als sie letzten Monat schon wieder in Quarantäne musste. Dort wurde sie bedient, das Bett wurde gemacht und es gab gratis Vorlesestunden. Etwas Luxus in dieser Zeit tat ganz gut.
Was ist dein grosser Traum?
Ich konnte immer das machen, was ich gerne wollte und das ist ein grosses Privileg. Was ich gerne machen würde, ist zum Beispiel eine Oper inszenieren oder wieder für grosse Compagnien choreografieren. Einfach neue Sparten kennenlernen und so lange es nur geht am Theater zu arbeiten. Selbstverständlich wünsche ich mir, dass viele Menschen sehen, was ich zusammen mit meiner Compagnie erarbeite. Ich möchte durch meine Arbeit Themen ansprechen, die unbedingt angesprochen werden müssen und mit denen man etwas in Bewegung setzen kann. Es ist alles eine hochspannende Suche, da ich immer wieder alles neu und selbst erfinden kann. Das bereichert mich und hoffentlich auch andere.
Die Musikerin Ira May ist in Gelterkinden aufgewachsen. Mit bürgerlichem Namen heisst sie Iris Bösiger.
Zur Person
im. Tabea Martin wurde 1978 geboren und wuchs in Oberwil auf. Nach Abschluss des Gymnasiums reiste sie nach Holland, um in Amsterdam an der Hochschule der Künste Modernen Tanz zu studieren. 2006 schloss sie ihr zweites Studium Choreografie an der Rotterdamse Dansacademie ab. 2011 gewann sie den Wim-Bary-Preis für alle ihre choreografischen Arbeiten. Neben freien Produktionen arbeitet Tabea Martin auch regelmässig an Stadttheatern, unter anderem am Schauspielhaus Zürich, am Maxim-Gorki-Theater Berlin, am Stadttheater Oldenburg, am Staatstheater Karlsruhe sowie am Theater Neumarkt in Zürich. Im Frühjahr 2016 erhielt Tabea Martin den Spartenpreis Tanz des Kantons Basel-Landschaft und seit 2018 ist sie Teil der «Kooperativen Fördervereinbarung» zwischen dem «Fachausschuss Tanz & Theater Basel-Stadt und Baselland» und Pro Helvetia. Ihre nächsten Vorstellungen finden am 12./13. Juni in der Kaserne Basel statt.
tabeamartin.ch