Unterwegs mit den Frosch-Rettern
16.03.2021 Baselbiet, ZiefenViele Helfer sorgen dafür, dass Amphibien sicher ans Ziel kommen
Die «Volksstimme» hat Freiwillige besucht, die den Amphibien auf ihren Wanderungen sozusagen über die Strasse helfen. Wer macht solche ehrenamtliche Arbeit zur nächtlichen Stunde – und welche Erlebnisse gibt es ...
Viele Helfer sorgen dafür, dass Amphibien sicher ans Ziel kommen
Die «Volksstimme» hat Freiwillige besucht, die den Amphibien auf ihren Wanderungen sozusagen über die Strasse helfen. Wer macht solche ehrenamtliche Arbeit zur nächtlichen Stunde – und welche Erlebnisse gibt es dabei?
Daniel Zwygart
Nach dem Eindunkeln treffen wir bei strömendem Regen am vereinbarten Ort ausgangs Ziefen ein. Im Scheinwerferlicht des Autos sind zwei Dinge wahrnehmbar: Regentropfen, die je nach Windböe von links oder rechts niederprasseln, und am Boden einzelne Objekte, die kurze Strecken hüpfen. Bei genauerem Hinsehen entpuppen diese sich als Frösche, die meist im Huckepack und ohne bevorzugte Hüpfrichtung unterwegs sind.
Schon treffen Anna-Lea Wennberg und weitere Helferinnen und Helfer ein – ausgerüstet mit Kesseln, Taschenlampen, Regenschutz und Warnwesten. Am Strassenrand Warnblinker, Hinweisschilder auf wandernde Amphibien und einzelne Frösche, welche die Überquerung schon geschafft oder noch vor sich haben. Die Situation lässt vorderhand keine Interviewfragen zu, denn gerade wird wieder ein Froschpaar platt gefahren. Viele Autofahrer und gerade auch die Autobusfahrer passen ihre Geschwindigkeit vorbildlich der Situation an, doch immer wieder «rasen» Autos knapp an den Helferinnen und ohne Rücksicht auf hüpfende Frösche vorbei.
An mehr als hundert Orten werden im Baselbiet zwischen Mitte Februar und Ende März die wandernden Amphibien – zur Hauptsache Grasfrösche und Erdkröten – vor dem Strassentod bewahrt. Nur an wenigen Orten sind permanente Strassenunterführungen vorhanden. Von Bethli Stöckli, der zuständigen Fachfrau bei Pro Natura Baselland, ist zu erfahren, dass momentan in Ziefen eine neue Problemsituation entdeckt worden ist.
Das grosse Staunen
Zum Staunen gibt es viel an diesem Abend. Zuerst die unverdrossen wandernden Tiere. Es sind hier ausnahmslos Grasfrösche und fast ausschliesslich Paare – grosse, laichgefüllte Weibchen mit einem sich hartnäckig festhaltenden Männchen auf dem Rücken. Sie tauchen aus allen Richtungen aus dem Dunkel der Nacht auf und werden dann eingesammelt. Die Kessel füllen sich langsam. Trotz Gewühl und Gerangel lassen die Männchen ihre Partnerinnen nicht los. Eigens gebildete Schwielen an den inneren Fingern ihrer Arme und starke Bizepsmuskeln helfen ihnen dabei. Die eingesammelten Tiere werden fortlaufend in verschiedene Weiher in Ziefen gebracht.
Staunen auch über das Engagement der Helfergruppe. Anna-Leas Bruder Samuel hat die Wanderfrösche auf der Kantonsstrasse vor einigen Tage während der ersten günstigen Wandernacht entdeckt. Spontan hat er seine Geschwister und Bekannte organisiert. Mehr als 70 Frösche wurden an jenem Abend von der Strasse gesammelt. In den nachfolgenden Tagen haben die Jugendlichen mit den Fachpersonen von Pro Natura und der Polizei Basel-Landschaft Kontakt aufgenommen. Der zuständige Frosch-Fachmann für die Frenkentäler, Toni Waldner aus Bubendorf, wurde beigezogen. Er sorgte dafür, dass das kantonale Tiefbauamt, das üblicherweise die Amphibienzäune auf- und abbaut, das letzte noch vorhandene Zaunstück an der besagten Stelle montierte. Via Whatsapp-Dorfchat wurde ein Einsatzplan für die weiteren Nächte organisiert.
Das dritte Staunen an diesem Abend: Die Tiere wandern nicht in die vermutete Richtung. Sie kommen von allen Seiten. Der mithelfende Präsident der Landschaftspflegekommission von Ziefen, Heinz Döbeli, weiss, dass in früheren Zeiten an besagtem Ort ein Quellaustritt war und in den vergangenen Jahren auf dem verdichteten Talboden stehende Wasserlachen entstanden sind. Und tatsächlich, nach kurzer Suche wird waldwärts eine kaum wahrnehmbare Pfütze entdeckt, in der sich schon viele Grasfrösche gurrend und knurrend auf die Eiablage vorbereiten. Erste Laichballen werden ausgestossen und sofort vom Männchen im Huckepack besamt.
Und nun? Sollen die Tiere dort belassen werden? Anna-Lea telefoniert. Kurze Zeit später sind Anita Brunner aus Lupsingen und besagter Toni Waldner vor Ort. In Anbetracht der Tatsache, dass an dieser Stelle nicht genügend Wasser für ein Überleben der Amphibienlarven vorhanden ist, werden nach einigem Werweissen möglichst viele Tiere (und Laich) eingesammelt und ebenfalls umgesiedelt. Fazit dieses Abends: Emotionen pur und über zweihundert in Sicherheit gebrachte Grasfrösche.
Bei Tageslicht
In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages begleiten wir Toni Waldner und seine Frau Brigitta auf ihrem Kontrollgang entlang der Amphibienzäune Richtung Arxhof/Wildenstein. Seit mehr als 30 Jahren sind sie im Amphibienschutz in den Frenkentälern aktiv. Er nimmt die Tiere aus den Kesseln, bestimmt die Art und das Geschlecht, seine Frau notiert alles säuberlich. In jedem Kessel sitzen einige Grasfroschpaare und ab und zu einmal eine Erdkröte und sogar eine verirrte Wühlmaus. Die Amphibien werden in die neuen Weiher unterhalb von Schloss Wildenstein gebracht.
Dort gibt es schon viele Laichballen von Grasfröschen und auch einzelne Laichschnüre von Erdkröten. Nach dem Ablaichen verlassen die Weibchen möglichst schnell die Laichgewässer, erholen sich vom Stress und nehmen wieder Nahrung auf. Die Männchen bleiben oft etwas länger, denn vielleicht gibt es ja noch unverpaarte Weibchen …
Grasfrösche können in Feld und Wald vorkommen. Zum Laichen wandern sie 400 bis 800 Meter weit, manchmal auch mehrere Kilometer. Von den Tausenden Eiern in den Laichballen überleben nur wenige. Bergmolche, Stockenten, Graureiher und viele andere Lebewesen ernähren sich an diesem nährstoffreichen Buffet. Die intensive Landwirtschaft und der Verkehr setzen den Jungtieren und den Erwachsenen ebenfalls zu. Trotzdem ist der Bestand der Grasfrösche (noch) nicht akut bedroht.