Im Corona-Studium

Ich studiere mittlerweile im zweiten Semester an der Universität Luzern. Begonnen habe ich vergangenen September, also mitten in der Coronakrise. Die Anzahl Tage, die ich tatsächlich an der Uni, also im Gebäude der Universität Luzern war, lässt sich deshalb an einer Hand abzählen. Es waren genau vier. Das erste Mal am Einführungstag, der damals noch vor Ort stattfinden konnte. Ein weiteres Mal verschlug es mich in die Stadt am Vierwaldstättersee, weil ich mich mit einer anderen Studentin zum Mittagessen traf. Und zweimal musste ich in die Bibliothek – Bücher ausleihen und Bücher zurückbringen.

Wie bei vielen Studentinnen und Studenten in der Schweiz und in Europa spielt sich mein Leben derzeit vor allem innerhalb meiner eigenen vier Wände ab. Digitale Lehre nennt sich das und bedeutet, dass ich mit jeder Menge Meeting-Nummern und Zugangscodes von «Zoom»-Veranstaltungen jonglieren muss und schon mehr als einmal unsicher war, ob ich mich gerade in den richtigen Kurs einwähle, oder ob sich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen an einem ganz anderen virtuellen Ort befinden.

Auch mir gehen die Corona-Pandemie und die meisten ihrer Auswirkungen kolossal auf die Nerven. (Auf Händeschütteln und Küsschen kann ich hingegen gerne verzichten.) Auch mir macht vieles Sorgen, was derzeit passiert. Doch während die meisten Studierenden scheinbar sehnlichst darauf warten, endlich wieder zur Uni zu können, muss ich zugeben: Bis jetzt geniesse ich es, quasi ein «Fernstudium» zu absolvieren.

Das liegt zu einem grossen Teil daran, dass ich mir täglich rund drei Stunden Weg sparen kann. Als ich mich für das Studium entschieden habe, war mir durchaus bewusst, dass ich mich auch für viel Zeit im Zug entscheide. Aber ich habe ziemlich schnell Gefallen daran gefunden, nach einer Veranstaltung einfach den Laptop zuklappen zu können und zu Hause am Küchentisch zu sitzen. (Das ermöglicht es auch, eine schlafende Katze auf dem Schoss zu haben.) Auf Anlässe mit vielen Personen kann ich auch gut verzichten. Dass ich mich also nicht mit 60, 70 oder 80 anderen Personen in einen Vorlesungssaal drängen muss, stört mich nicht.

In anderen Punkten bin ich derzeit gegenüber anderen Studierenden vermutlich im Vorteil, weshalb mir das Studium aus der Ferne vielleicht weniger ausmacht. Einerseits kann ich weiter arbeiten gehen, während andere derzeit keinen Job mehr haben, weil sie zum Beispiel im Service tätig waren. Ich muss daher keine Angst haben, mir das Studium nicht mehr leisten zu können, und komme wenigstens einmal die Woche aus dem Haus. Und da ich, zweitens, bisher nicht von zu Hause ausgezogen bin, kommt auch keine Einsamkeit auf.

Für mich läuft das Studium während Corona zumindest bisher also erstaunlich gut. Ich denke nur, dass ich keine Ahnung habe, wie es eigentlich wäre, Studentin zu sein. Eine Kommilitonin hat das einmal sehr treffend formuliert: «Ich studiere zwar irgendwie, aber ich habe nicht das Gefühl, Studentin dieser Uni zu sein.»

Michèle Degen, Redaktorin «Volksstimme»

HERZBLUT

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