Als die Baselbieter im Glarnerland aufräumten
18.03.2021 BaselbietDer Sturm Vivian hinterliess Schäden und Erinnerungen
Wer Militärdienst leistet, der weiss: In Wiederholungskursen wird nur gelegentlich ein «Ernstkampf» bestritten. Der ehemalige Füsilier Emil Abt erlebte einen solchen – im Jahr 1990 stand er mit ...
Der Sturm Vivian hinterliess Schäden und Erinnerungen
Wer Militärdienst leistet, der weiss: In Wiederholungskursen wird nur gelegentlich ein «Ernstkampf» bestritten. Der ehemalige Füsilier Emil Abt erlebte einen solchen – im Jahr 1990 stand er mit zahlreichen Baselbieter Kameraden bei den Aufräumarbeiten des Sturms Vivian im Einsatz.
Ende Februar 1990 fegte der Orkan Vivian über die Schweiz. Rund zwei Millionen Bäume wurden durch den Sturm entwurzelt – er hinterliess ein Chaos, eine Verwüstung.
Letztere galt es rund dreieinhalb Monate später aufzuräumen. Am 11. Juni 1990 rückten die Soldaten der Füsilier Kompanie 512 ins Glarnerland ein. Unsere Aufgabe bei diesem war es, den schwer betroffenen Gemeinden zu helfen und einen Teil der Schäden zu beheben. Für diesen speziellen Einsatz wurden zudem Sanitätssoldaten und Forstwarte von anderen Einheiten aufgeboten.
Bereits auf der Bahnfahrt traf man ehemalige Dienstkameraden aus dem Oberbaselbiet. Unsere Kompanie unter Hauptmann H. Wanner wurde im Barackendorf in Netstal untergebracht. Nach der Begrüssung und dem Fassen des Materials absolvierten wir am Nachmittag einen vielseitigen Postenlauf. Die Offiziere forderten uns mit Handgranaten-Zielwurf, Magazinwechsel am Sturmgewehr sowie einer kleinen Zerlegung. Das Ganze wurde abgerundet mit Kartenlesen sowie Kameradenhilfe.
Erschreckende Bilder
Am nächsten Morgen beim Antreten gab Hauptmann Wanner das Programm der nächsten zwei Wochen bekannt. Zudem richtete er den Appell an die Truppe: 1. Unfälle vermeiden und keinen Alkohol auf den Arbeitsplätzen. Ich war im zweiten Zug eingeteilt, wobei 29 Männer unter dem Kommando von Oberleutnant Krieg standen. Unser Zug stand für die nächsten Tage dem Gemeindeförster Jakob Rast aus Engi, einer Nachbargemeinde von Elm, zur Verfügung. Der Motorfahrer-Zug war für den Transport der verschiedenen Truppen zu den Arbeitsplätzen verantwortlich. Dabei waren auch Berufschauffeure, die täglich Sturmholz vom Urnerboden ins Tal transportierten.
Und so begann unser Einsatz im Gebirgswald oberhalb des Dorfes Engi. Was wir zu sehen bekamen, war erschreckend und kaum fassbar. Das Sturmholz lag kreuz und quer wie Zündhölzer übereinander. Ein erstes Unwetter Mitte Februar und der spätere Sturm Vivian hatten den Weg zu Bergliegenschaften und Weiden unpassierbar gemacht. An mehreren Stellen lagen die Baumstämme haufenweise über dem Weg. Teilweise war der Weg völlig weggeschwemmt oder abgerutscht.
Nun kamen unsere Kameraden mit den Motorsägen zum Einsatz. Die Arbeiten im steilen Gelände waren nicht ungefährlich, mancher Baum war verklemmt und unter Spannung. Wir packten Pickel und Schaufeln, um die Geröllmassen auf dem Weg wegzuräumen. Eine Gruppe sicherte den Weg mit einer stabilen Holzverbauung, denn Holz gab es schliesslich im Überfluss. Unsere Gruppe säuberte auch eine Alpweide vom Sturmholz.
Funkgerät statt Mobiltelefon
Damals hatten wir noch keine Mobiltelefone, stattdessen wurde die Notfallverbindung mit dem Funkgerät gewährleistet. Ich glaube, jeder von uns gab sein Bestes und es herrschte eine gute Kameradschaft. Nach einem arbeitsreichen Tag legten wir in der gemütlichen Dorfbeiz noch einen Zwischenstopp ein. Dass dabei die Runde Bier von einer uns unbekannten Person übernommen wurde, freute uns natürlich sehr.
Der sogenannte innere Dienst war dieses Mal ganz anders. Es galt nicht etwa, das Gewehr zu putzen. Nur Schuhe und Gamaschen sowie Motorsägen mussten gereinigt werden – Kettenschleifen war ebenfalls angesagt. Nach einem währschaften Nachtessen hatten wir Ausgang bis 22 Uhr. Wie in anderen Wiederholungskursen (WK) auch, hatte ich meine Gitarre dabei. Also sangen wir gemeinsam die üblichen Lumpen- und Soldatenlieder.
Helikopterflug und Fussball-WM
Die Glarner Bevölkerung war dem Militär gut gesinnt und dankbar. Einige unserer Kameraden gingen schon früh schlafen, denn für viele waren die Arbeiten sehr anstrengend. In der ersten Woche wurde ich auf der Wache eingeteilt. Bei den Wachrundgängen, immer zu zweit, mussten wir den Fahrzeugpark, das Materialmagazin, die Unterkünfte und das Munitionslager kontrollieren. Dass zu dieser Zeit die Fussball-WM stattfand, war ein Glückstreffer. So konnten wir im Wachlokal sogar einige Spiele geniessen. Um 6 Uhr mussten wir dann die ganze Kompanie wecken.
In den zwei Wochen stand neben den Aufräumarbeiten noch Weiteres auf dem Programm: ein Wettschiessen, eine Schuhkontrolle sowie eine Blutspendeaktion. Auch bei der Fassmannschaft wurde ich zugeteilt und so erlebte ich einen kurzweiligen WK auch neben den Räumungsarbeiten.
Die grosse Überraschung erlebten wir am drittletzten Arbeitstag. Als Dank für unseren Einsatz wurde der ganze Zug Krieg vom Dorf Engi aus mit dem Armee-Helikopter zum Arbeitsplatz geflogen. Das war ein Erlebnis – so was vergisst man nie. Der Förster Jakob Rast lobte die Arbeit der Soldaten und fügte an, dass ohne unsere Hilfe die dringend notwendigen Arbeiten nicht hätten bewältigt werden können.
Der Kompanie-Abend fand im Saal des Hotels Hecht in Netstal statt. Unser Chörli mit Sängern aus verschiedenen Gesangsvereinen erfreute die ganze Kompanie mit dem bestens bekannten Lied «Freundschaft» – natürlich auswendig. Es folgte die Zeit, in der das Material, die Küche und die Unterkünfte gereinigt und abgegeben wurden. Bei den letzten Arbeiten verging die Zeit wie im Fluge.
Aber halt, den Sold hätte ich fast vergessen. Denn für die 13 Diensttage erhielt jeder Soldat 65 Franken auf die Hand. Manche Soldaten haben diesen WK als sinnvollsten Einsatz ihrer militärischen Erfahrung erlebt. Beim Abtreten verdankte der Kommandant allen den Einsatz und die geleistete Arbeit. Und so ging jeder zufrieden und mit vielen schönen Erinnerungen nach Hause.
Emil Abt, ehemaliger Füsilier der Kompanie 512, Sissach