ZOOLOGISCH
26.02.2021 BaselbietAufwachen
Daniel Zwygart
Das vergangene Wochenende brachte die ersten milden Sonnentage dieses Jahres. Die sonnenhungrigen Menschen zog es magisch nach draussen – Corona hin oder her.
Der winterschlafende Igel im Kleingebüsch am ...
Aufwachen
Daniel Zwygart
Das vergangene Wochenende brachte die ersten milden Sonnentage dieses Jahres. Die sonnenhungrigen Menschen zog es magisch nach draussen – Corona hin oder her.
Der winterschlafende Igel im Kleingebüsch am Wegrand liess sich weder von den Menschenmassen noch von den fast ebenso häufigen Hundeschnauzen stören. Auch Temperaturen um die 15 Grad Celsius weckten ihn nicht auf. Wieso auch? Jetzt aufzuwachen wäre lebensgefährlich, weil es zumindest in ländlichen Gegenden noch nicht genügend Futter wie Laufkäfer, Regenwürmer oder Schnecken hat. In der Stadt gäbe es zumindest viele, aber auch ungesunde Abfälle.
Als Biologielehrer habe ich jeweils die Unterschiede zwischen Winterschlaf, Winterruhe und Winterstarre vermittelt. Die «Starre» betrifft alle wechselwarmen Tiere wie zum Beispiel Insekten, Schnecken, Amphibien und Reptilien. Ihre Körpertemperatur wird massgeblich von der Umgebungstemperatur beeinflusst. Im Herbst verkriechen sie sich an frostsichere Orte. Dort müssen sie bewegungslos und mit stark reduziertem Stoffwechsel ausharren, bis es wieder wärmer wird. Dies dauert je nach Art und Ort circa fünf Monate. Am Wochenende waren nun schon Eidechsen, Hummeln und einige andere Wechselwarme zögerlich unterwegs.
Vögel und Säugetiere haben eine konstante Körpertemperatur, die sie durch Bewegungsabwärme und Heizvorgänge aufrechterhalten. Viele von ihnen können in einen unterschiedlich langen Ruhezustand, den Topor, fallen. Dies ist ein gewollter und vom Körper gesteuerter physiologischer Sparmodus. Dauert der Topor nur wenige Stunden oder Tage, reden wir von der «Winterruhe», wie sie zum Beispiel der Dachs macht. Ist ein Tier – wie zum Beispiel obiger Igel – lange Zeit im Topor, dann nennt man diese Strategie «Winterschlaf». Der Begriff ist etwas verwirrend, denn die Tiere schlafen nicht wirklich und eine lange Toporphase kann auch zur Überdauerung von futterlosen Sommertrockenzeiten vorkommen.
Aufgrund einer inneren Uhr, die durch die Tageslänge getaktet wird, senkt der Igel durch Ausschüttung von Hormonen im November seine Körpertemperatur von 35 Grad Celsius auf die Umgebungstemperatur. Dadurch verlangsamt sich auch sein Herzschlag. Er zieht sich in sein Winternest zurück und schläft ein. Wird es noch kälter, sinkt seine Körpertemperatur weiter bis auf maximal 5 Grad Celsius. Seine ganzen Körperfunktionen, aber auch sein Energieverbrauch haben nun um über 90 Prozent abgenommen. Ungefähr alle 14 Tage oder wenn es kälter als 5 Grad wird, heizt der Igel in sehr kurzer Zeit wieder auf. Dazu «verbrennt» er vor allem braunes Fett. Er ist kurze Zeit wach, wechselt vielleicht sogar das Nest, gibt eventuell Abfallstoffe ab und geht dann wieder in den Topor über. Warum er und alle anderen Winterschläfer regelmässig wach werden, ist noch ein Rätsel. Zwei Hypothesen stehen unter anderen zur Diskussion: Das Gehirn muss aktiviert werden, damit es nicht unwiederbringlich degeneriert. Das Immunsystem kann in den Wachphasen Krankheitserreger bekämpfen.
Übrigens: Tierarten mit Winterschlaf vergessen dabei vieles – sie werden aber deutlich älter als nah verwandte Arten ohne Winterschlaf …
Daniel Zwygart ist Biologe. Er unterrichtete während vieler Jahre am Gymnasium Liestal.