Lebensgeschichten | Rudolf Fiechter (78) aus Gelterkinden engagierte sich für Jugendliche

Er unterstützte Jugendliche im Schiesssport und als Lehrer bereitete er seine Schüler auf das Leben vor: Rudolf Fiechter erzählt aus seinem Leben.

Aufgezeichnet von Susanne Kohli

Wie gut ich mich noch an den 6. Januar 1963 erinnere! Als ich in Waldenburg aus dem Zug stieg, erwartete mich der Schulpflegepräsident, der etwa 1,65 Meter gross war. Er schaute zu mir hoch und meinte: «Gross genug sind Sie. Sie sind gewählt. Und jetzt gehen wir ins Hotel Löwen zum Mittagessen.» Wie mein Puls raste, als wir in Richtung «Stedtli» marschierten!

Noch heute sehe ich die Gaststube vor mir, wo der einflussreiche Mann von Tisch zu Tisch ging und allen verkündete: «Das ist unser neuer Lehrer.» Die Wahlsitzung, die um 14 Uhr stattfand, war dann nur noch Formsache.

Mit Pferd und Petroleumlaterne
Die Schulreise mit meiner ersten Klasse wäre nicht besonders erwähnenswert, wären nicht Kinder von der «Waldweid» dabei gewesen. Ihr Schulweg dauerte eine Stunde und 15 Minuten und bedeutete einen Fussmarsch mit einer Höhendifferenz von 500 Metern. So war es selbstverständlich, dass ich als Lehrer diese Schüler am Ende des Reisetages nach Hause begleitete.

Im ersten Jahr war ich allein unterwegs mit den Kindern und ihr Vater kam uns mit einem Pferd und einer Petroleumlaterne entgegen. Durch lautes Rufen stellten wir die Verbindung zueinander her, sodass ich die Kinder in seine Obhut geben konnte. Das war kurz vor Mitternacht!

Im folgenden Jahr galt es, nur ein Kind sicher nach Hause zu bringen. Als ich am Abend mit der Klasse in Waldenburg eintraf, stand meine heimliche Liebe auf dem Bahnhofplatz und versprach verschmitzt: «Ich begleite euch beide auf die ‹Waldweid›.»

Der Marsch erschien viel kürzer als im Jahr zuvor und der Bauernspeck, den die Eltern des Schülers uns offerierten, schmeckte erst recht herrlich. Von unserem Heimweg erzähle ich nichts – oder nur so viel: Die Begleiterin ist seit 53 Jahren meine Frau.

Im Kadettenunterricht
In der Nachkriegszeit erlebte ich als Jugendlicher noch eine sehr positive Einstellung gegenüber der Armee und dem im Kanton Aargau bekannten Kadettenwesen. Im vielseitigen Kadettenunterricht lernten wir Karten zu lesen, den Kompass richtig einzusetzen und es gab Wettkämpfe in verschiedenen Sportarten. Erfahrene Sportschützen brachten uns bei, wie man zielt, atmet, den Schuss ruhig auslöst und die Ursache für einen schlechten Treffer findet.

Je älter ich wurde, desto mehr faszinierte mich der Schiesssport. Meine ausgezeichneten Resultate liessen mich sogar von einer Karriere im Spitzensport träumen, aber mein Lehrerlohn hätte nicht für Familie und Leistungssport gereicht. Stattdessen unterstützte ich das mir sehr wichtige Schiesswesen, indem ich während vieler Jahre verschiedene Ämter in Schützenvereinen bekleidete.

Eine Perspektive für Junge
Nach einem Treffen mit der Schützen-Nationalmannschaft fielen mir in der Nähe eines Bahnhofs Jugendliche und Drogenabhängige auf, die dort herumlungerten. Ein trostloser Anblick! Junge Menschen sollten doch die Möglichkeit erhalten, in irgendeinem Sport oder durch ein Hobby etwas Sinnvolles zu erleben und zu tun! Ich entschied mich, ihnen zu helfen.

Es gelang uns, dem Mangel an Unterstützungsgeldern entgegenzuwirken, wie Auszüge aus der Zeitschrift «Der Schützenkönig» vom Juni 2020 beweisen: «Mit dem Ziel, das sportliche Schiessen zu fördern, wurde 1983 der 100er-Club gegründet. Dies in der Hoffnung, dass sich in der Schützennation Schweiz mindestens 100 Persönlichkeiten finden liessen, die jährlich 500 Franken für die ‹Förderung Leistungssport› spenden würden. … 2001 wurde der 100er-Club in die Gönnervereinigung der Schützennationalmannschaften integriert.

Mit Ruedi Fiechter (Gelterkinden) übernahm ein neuer Obmann das Zepter. Mit Volldampf und Akribie generierte er unter Mithilfe seiner Vorstandskollegen neue Unterstützer, bis die Rekordzahl von 150 Mitgliedern im Jahr 2015 erreicht war.»

Mit Humor Krisen bewältigen
Damals gab es noch keine Athletenbetreuer und ich half persönlich vielen Jugendlichen bei Schwierigkeiten in der Lehre, mit dem Chef, den Eltern oder anderen Problemen. Einmal erzählte mir eine Schützin unter Tränen, dass ihr Freund sie verlassen habe und sie in die Aare springen wolle. Als ich ihr darauf vorschlug, meine Badehose zu holen und mit ihr zu springen, war sie so überrascht, dass sie trotz ihres Kummers lachen musste.

Es erfüllt mich mit grosser Freude und Genugtuung, dass ich mit Herzblut als Lehrer unterrichten und als begeisterter Schütze viele Eltern und ihre Kinder unterstützen durfte. Mein Motto lautete: «Alle Jugendlichen, die das Schiessen als Hobby pflegen, landen nicht ziel- und perspektivenlos auf der Gasse.»

Zur Serie

vs. Die ehrenamtliche Gelterkinder «Schreibgruppe Lebensgeschichten» begleitete ein halbes Jahr lang sieben Seniorinnen und Senioren aus dem Oberbaselbiet. Unter der Leitung von Karin Viscardi und Remo Schraner entstand ein Sammelband. In der «Volksstimme» veröffentlichen die Autorinnen und Autoren in losen Abständen kleine Ausschnitte daraus.

www.schreibgruppe-lebensgeschichten.ch

Ein Lehrer mit Herzblut

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title