«Familiener gänzende Betreuung bringt auch Einnahmen»
23.02.2021 BaselbietErika Eichenberger über die Familienpolitik-Vorstösse der Grünen
Die Fraktion der Grünen reichte im Landrat gleich ein Bündel an Vorstössen zur Familienpolitik ein. Die Liestaler Partei-Vizepräsidentin und Landrätin Erika Eichenberger erklärt, weshalb die Grünen bei der ...
Erika Eichenberger über die Familienpolitik-Vorstösse der Grünen
Die Fraktion der Grünen reichte im Landrat gleich ein Bündel an Vorstössen zur Familienpolitik ein. Die Liestaler Partei-Vizepräsidentin und Landrätin Erika Eichenberger erklärt, weshalb die Grünen bei der Familienpolitik Tempo machen, weshalb gerade Oberbaselbieter Gemeinden hinterherhinken und warum sich der Kanton insgesamt mehr engagieren muss.
Tobias Gfeller
Frau Eichenberger, ist Kindererziehung nicht Privatsache?
Erika Eichenberger: Ich sehe das so, wie es ein afrikanisches Sprichwort treffend ausdrückt: «Um ein Kind grosszuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.» Jedes Kind hat das Recht auf Bildung und Erziehung und das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Hauptverantwortung liegt bei den Eltern.
Seit der Diskussion um den Familienbericht im Landrat preschen die Grünen mit Vorstössen und Medienmitteilungen vor. Was steckt dahinter?
Der Familienbericht, der im Baselbiet wirklich eklatante Mängel aufzeigt, gab uns den letzten Anstoss. Wir hatten bereits einige Vorstösse geplant, um beim Thema familienexterne Kinderbetreuung nachzuhaken. Sowohl bei der Bedarfserfassung wie auch der Bedarfsdeckung, die eigentlich seit Jahren vom Kantonsgesetz zur familienergänzenden Kinderbetreuung festgeschrieben sind, hinken viele Gemeinden hinterher. Es geht einfach nicht voran; und das kann es nicht sein.
Gewisse Gemeinden beharren auf ihrer Aussage, dass bei ihnen gar kein Bedarf bestünde.
Es ist natürlich einfach zu sagen, es bestehe kein Bedarf, wenn man gar nichts anbietet. Solche Gemeinden locken auch nicht gerade Familien an, weil sie für sie gar nicht attraktiv sind. Dabei machen die Gemeinden einen Denkfehler: Denn Familien garantieren langfristige Steuereinnahmen, volle Schulhäuser und Umsätze in den Dorfläden. Familienergänzende Betreuung kostet nicht nur, sie bringt auch Einnahmen.
Sie regen auch an, der Kanton solle Gemeinden, die zu wenig machen, sanktionieren können. Geht das nicht zu weit?
Auf keinen Fall. Es besteht ein kantonales Gesetz. Und wenn das nicht eingehalten wird, soll der Kanton auch sanktionieren dürfen. Am einfachsten ginge das natürlich über Geld.
Die Vorschläge der Grünen sind vielfältig. Unter anderem fordern Sie, dass sich der Kanton finanziell mehr engagieren soll, obwohl die familienergänzende Kinderbetreuung gemäss Gesetz eine kommunale Aufgabe ist.
Der Familienbericht hat gezeigt, dass in Baselland im schweizweiten Vergleich die Familien finanziell am meisten an der familienexternen Kinderbetreuung mittragen müssen. Wir sind der Meinung, dass neben dem Bund, der sich vor allem zu Beginn nach einer Gründung einer Kindertagesstätte finanziell engagiert, und den Gemeinden, auch der Kanton etwas beitragen sollte. Es geht uns um eine grössere finanzielle Entlastung der Eltern und eine Qualitätssteigerung bei der Betreuung. Gerade auch die grösseren Gemeinden mit vielen Zentrumslasten – zum Beispiel Liestal – müssen vom Kanton mehr unterstützt werden. Es ist auch im Interesse des Kantons, für Familien attraktiv zu sein. Generell muss es im Interesse des Staates sein, dass gut ausgebildete Eltern auch arbeiten können. Der Kanton kann sich da nicht aus der Verantwortung nehmen.
Warum sollen auch Tageseltern steuerlich entlastet werden? Sie werden ja normal von den Eltern der Kinder bezahlt.
Der aktuell veranlagte Stundenlohn ist für Tageseltern sehr tief angesetzt. Im Verhältnis zu dem, was sie leisten, verdienen sie extrem wenig. Es geht uns darum, den Beruf etwas attraktiver zu machen, indem Tageseltern steuerlich entlastet werden. Man könnte sie ähnlich behandeln wie jemand, der das Büro zu Hause in Abzug bringen kann.
Tageseltern sind im Vergleich zu Kindertagesstätten aber eher ein Randphänomen in der familienergänzenden Kinderbetreuung.
Ja, und trotzdem sind sie ein wichtiges Puzzleteil, denn familienexterne Kinderbetreuung besteht aus verschiedenen Facetten und Angeboten. Das muss auch so sein, gerade in einem strukturell vielfältigen Kanton wie Baselland. Eine kleine Oberbaselbieter Gemeinde kann nicht alleine eine Kindertagesstätte führen oder finanzieren, ausser sie tut sich mit anderen Gemeinden zusammen. Gerade in ländlichen Gebieten sind Tageseltern ein beliebtes und wichtiges Modell. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass auch dieses finanziell unterstützt werden muss.
Geht es nach den Grünen, soll es im Baselbiet schon bald Ganztageskindergärten und -schulklassen geben. Was erhoffen Sie sich dadurch?
Für Kinder, die an zwei und mehr Tagen familienextern betreut werden, können die vielen Wechsel mit Mittagstisch und modularer Nachmittagsbetreuung zur Belastung werden. Ein «Tageskindsgi» oder eine Tagesschulklasse bringt viel mehr Konstanz und Ruhe in den Schulalltag und die Betreuungssituation dieser Kinder.
Hinter jeder Forderung stehen auch Kosten. Kann sich Baselland einen derartigen Ausbau der familienexternen Kinderbetreuung überhaupt leisten?
Wir Grünen erachten es als eine wichtige Investition für den Wirtschaftsstandort Baselland. Natürlich wäre Jobsharing zwischen Eltern das schönste Modell. Ich konnte dies mit meinem Mann selber erleben und würde es wieder so machen. Aber das können und wollen längst nicht alle. Einerseits reicht bei vielen der Lohn aus Teilzeitarbeit nicht aus, andererseits ist es fast nicht möglich, die Arbeitszeiten bei zwei Arbeitgebenden so zu gestalten, dass das Kinderhüten zwischen den Eltern genau aufgeht. Dazu kann es immer wieder zu einem Stellenwechsel oder einem Stellenverlust kommen. Und einen neuen Teilzeitjob mit exakt den gleichen Arbeitszeiten zu finden ist fast nicht möglich. Das sorgt in vielen Familien für Stress. Um diesen zu lindern, braucht es ein gut ausgebautes System an finanziell unterstützter familienergänzender Kinderbetreuung.
Sie sprechen Jobsharing bei Eltern an. Doch noch immer sind es die Frauen, die dabei die Hauptlast tragen. Wo bleibt da die Gleichberechtigung?
Genau. Arbeiten beide, obliegt es zumeist der Mutter, die Kinderbetreuung zu organisieren. Es gibt zwar immer mehr Väter, die da Verantwortung übernehmen. Aber es sind noch immer viel zu wenige. Es müssen mehr Väter Verantwortung übernehmen, und die Mütter müssen bereit sein, Verantwortung abzugeben. Natürlich braucht es Arbeitgebende, die Teilzeitmodelle anbieten. Auch bei Trennungen obliegen die Kinder zumeist der Verantwortung der Frau. Sie sind auf familienergänzende Betreuung und finanzielle Unterstützung angewiesen. Es kann nicht sein, dass wir so viele gut ausgebildete Menschen – vor allem Frauen – haben, die am Ende in der Sozialhilfe landen, weil sie Kinder haben und unverschuldet den Anschluss ans Berufsleben verpassen.