AHNIG VO BOTANIK
15.01.2021 BaselbietNichts für Ungeduldige
Andres Klein
Es gab in ganz Mitteleuropa während Jahrhunderten eine Frucht, die sehr verbreitet und so beliebt war, dass ihr der wohl bekannteste Botaniker aller Zeiten – Carl von Linné – den Namen ...
Nichts für Ungeduldige
Andres Klein
Es gab in ganz Mitteleuropa während Jahrhunderten eine Frucht, die sehr verbreitet und so beliebt war, dass ihr der wohl bekannteste Botaniker aller Zeiten – Carl von Linné – den Namen Mespilus germanica gab, obwohl diese Frucht ursprünglich aus dem Kaukasus stammte. Die europäische Mispel war so bliebt und galt als so schön, dass viele Maler vom Mittelalter bis in die Neuzeit sie in ihren Stillleben integrierten.
Heute ist dieser Fruchtbaum nur noch ganz selten in Gärten oder Feldgehölzen anzutreffen. Das könnte folgende Gründe haben: Erstens ist die Mispel baumfrisch nicht geniessbar. Sie muss etwa zwei Monate in einem kühlen Keller reifen. Erst dann ist sie weich und entfaltet ihren Duft und Geschmack. Das braucht Geduld und nachher viel Aufwand, um die Früchte aus dem Fruchtboden zu lösen und die Kerne zu entfernen. Zweitens ist ihr Geschmack und die schludrige Konsistenz der reifen Frucht nicht jedermanns Sache. In einer österreichischen Publikation steht: «Es gibt nur zwei Arten von Menschen: Solche, die den Mispeln gar nichts abgewinnen können und solche, die zu Mispeln eine enthusiastische Beziehung haben.» Ich musste merken, dass ich eher zur zweiten Sorte gehöre. Drittens gibt es heute auf dem Markt so viele süssere Früchte aus aller Welt, die weder gelagert noch aufwendig zubereitet werden müssen, dass die Mispel vom Markt verdrängt wurde. Mir ist nur noch eine Familie im Nidwaldischen bekannt, die diese Frucht kommerziell in Form von «Näspeli-Gelee» vermarktet (www.mispel.ch).
Die Mispel lag in den Lagerhäusern von Karl dem Grossen und ist auf Plänen des Klostergartens von St. Gallen von 1092 aufgeführt, denn sie galt auch als sehr wichtige Medizinalpflanze gegen verschiedenste Leiden, wie «gallichten Bauchflüssen, Rühren und Erhitzungen der Gedärme, so wie auch wider den Griess und Stein». Auch heute noch wird die Mispel in der Türkei und im Iran gegen Durchfall eingesetzt.
Die Mispel gehört wie Apfel und Kirsche zu den Rosengewächsen. Ihre nächsten Verwandten sind die Weissdorne. Vom Erbgut her gehören Weissdorn und Mispel sogar in die gleiche Gattung.
Die Mispel ist oft auch veredelt worden und da wurden die Edelreiser meist auf eine Weissdornunterlage gepfropft. Die Blüte ist mit ihren fünf weissen Kronblättern sehr auffällig und dekorativ. Die fünf Kelchblätter bleiben bis ins Fruchtstadium erhalten und verzieren die Frucht. Sie wäre ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie eine unterständige Frucht aussieht. Die Blätter sind oberseits dunkelgrün, unterseits etwas heller und filzig behaart. Das Holz der Mispel ist sehr hart, rosa und bräunlich und wird in der Drechslerei oder auch zur Holzkohle-Herstellung verwendet.
Der Name Mispel ist für uns Deutschsprachigen schwer aussprechbar, weil die Folge – ispe – kaum vorkommt. Das Wort «mespilon» verwendeten schon die alten Griechen. Daraus hat sich auch die italienische Bezeichnung «Nespole» entwickelt.
Andres Klein ist Biologe. Er lebt in Gelterkinden.