«Masken sind die neuen Hausschuhe»
29.01.2021 Baselbiet, GesundheitSander van Riemsdijk
«Unsere Bewohnerinnen und Bewohner verstehen die Massnahmen zur Vorbeugung einer Ansteckung mit dem Covid-19-Virus schlicht nicht», sagt Evelyne Bauer Richter, Heimleiterin des Zentrums für Pädagogik auf der Leiern in Gelterkinden, «weil ihnen dazu ...
Sander van Riemsdijk
«Unsere Bewohnerinnen und Bewohner verstehen die Massnahmen zur Vorbeugung einer Ansteckung mit dem Covid-19-Virus schlicht nicht», sagt Evelyne Bauer Richter, Heimleiterin des Zentrums für Pädagogik auf der Leiern in Gelterkinden, «weil ihnen dazu aufgrund ihrer Behinderung die kognitive Fähigkeit fehlt.» Sie spüren zwar, dass alles etwas anders, der Alltag plötzlich beschwerlicher und mit vielen Unsicherheiten verbunden ist. Sie brauchen vermehrt Erklärungen, warum sie Schutzmassnahmen, wie etwa eine Maske tragen oder die Vermeidung von Körperkontakt, einhalten müssen.
Es fällt diesen Menschen schwer, sich an viel Neues gewöhnen zu müssen. Dieser Umstand führt zwangsläufig zu Überforderungssituationen. Für die Mitarbeitenden bedeutet dies eine enorme Herausforderung in der Überzeugungskommunikation. Das Risiko angesteckt zu werden oder die Bewohnenden zu infizieren, ist ein ständiger Begleiter bei der zwangsläufig körperbedingten Unterstützung im Heimalltag. «Es kann trotz der besten präventiven Massnahmen schnell gehen», sagt Bauer.
Corona-Alarm-Zustand
Sehr schnell ging es in der Eingliederungsstätte in Liestal, wie der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Daniel Seeholzer ausführt: «Wir hatten trotz unserer strengen Schutzkonzepte mit Maskentragen in den verschiedenen Bereichen durch mehrere Ansteckungen – oft von extern – massive Auswirkungen auf unseren Alltag.» Zur Unterstützung in der Umsetzung der Schutzkonzepte und in der Vorbeugung einer schnellen Verbreitung wurde ein Contact-Tracer angestellt, der rund um die Uhr erreichbar ist und bei einem Verdachtsmoment sofort aktiv wird. Zudem wurden viele präventive Massnahmen wie der Speicheltest und das Tragen von FFP2-Masken eingeführt.
In einer Institution wie der Eingliederungsstätte mit ihren 600 bis 800 Klienten mit unterschiedlichen Indikationen und mit den vielen verschiedenen Abteilungen ist es zwangsläufig eine gewaltige Herausforderung, eine schnelle Ausbreitung des heimtückischen Virus zu verhindern. «Es ist dann auch ein Corona-Alarm-Dauerzustand. Man weiss nicht, was am folgenden Tag passieren kann», sagt Seeholzer.
Konsequent testen
Diese Probleme kennt man zurzeit nicht im Schulinternat «Sommerau» in Rümlingen, das normal begabte Kinder und Jugendliche beherbergt. «Wir haben momentan keine Corona-Verdachtsfälle im Heim», so Institutionsleiter Florian Kron. Das Schutzkonzept werde rigoros umgesetzt. Falls jemand in der Institution Symptome einer allfälligen Ansteckung zeigt, wird sofort getestet. Kron ist mit diesen Massnahmen durchaus zufrieden: «Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Die meisten Kinder und Erwachsenen sind schon mal getestet worden.»
In den Wohngruppen und in der Schule müssen die Kinder und Jugendlichen ab zehn Jahren konsequent eine Maske tragen. Auf diese Massnahme, der in der Institution eine hohe Priorität eingeräumt wird, reagieren die Kinder und Jugendlichen unterschiedlich. Sie seien zwar kognitiv imstande, das Warum zu verstehen, brauchen je nach Alter und Entwicklungsstand jedoch unterschiedlich lange, um das Tragen der Maske zu verinnerlichen.
So viel Normalität wie möglich
Ähnliche Erfahrungen mit den Kindern und Jugendlichen beim Tragen der Maske, das auch in seinem Heim obligatorisch ist, macht Thorsten Binus, Gesamtleiter der Heime «Auf Berg AG» in Seltisberg. «Masken sind die neuen Hausschuhe», sagt er und drückt damit aus, dass das Tragen von Masken wie das Anziehen der Hausschuhe, wenn man die Wohngruppe oder den Schulraum betritt, im pädagogischen Prozess der Verinnerlichung zum immer wiederkehrenden Ritual werden soll. «Wir erleben in der Corona-Krise besondere Situationen. Es ist für alle eine enorme Herausforderung», sagt er.
Trotz einigen Ansteckungsfällen sei man bis jetzt gut durch die Krise gekommen und aufgrund der Erfahrungen aus der ersten Welle «bringt mich die Pandemie sowieso nicht mehr so schnell aus der Ruhe». Binus hat sich mit dem Personal in dieser schwierigen Zeit zum Ziel gesetzt, Hoffnung zu schaffen und den Kindern und Jugendlichen ein Höchstmass an Normalität zu bieten.
Gut vorbereitet
«Wir wollen unseren Bewohnerinnen und Bewohnern zu spüren geben, dass wir in dieser schwierigen Zeit für sie da sind», sagt Geschäftsführer Beat Thommen von der Institution «Räbhof» in Lausen und erläutert, dass die Corona-Pandemie auch in seinem Heim grosse Auswirkungen auf den Alltag hat, insbesondere bei den Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung.
Dazu Thommen: «Die verständliche Vermittlung von Corona-Informationen, die zudem dauernd angepasst werden müssen, an unsere Bewohnenden ist sehr anspruchsvoll und bedeutet für alle Angestellten eine grosse Herausforderung.» Aus ihrem Unverständnis reagieren die Bewohnenden gelegentlich mit Weinen und Aggressionen auf die notwendigen Massnahmen. Die Institution sei zwar gut auf die zweite Welle vorbereitet gewesen, trotzdem musste das Atelier nach mehreren Infizierungsfällen für eine Woche geschlossen werden. Auch die anderen Heime mussten schon Quarantäne verhängen.
In allen befragten Heimen konnten die Kinder, die Jugendlichen und die Bewohnenden,wo immer möglich, weiterhin die Wochenenden zu Hause verbringen, jedoch mit klaren Auflagen. Wann Impfungen in den Kinder-, Jugend- und Behindertenheimen durchgeführt werden können, ist noch unklar.