«Ich erkenne keinen Generationengraben»
14.01.2021 Baselbiet, Thürnen, Leichtathletik, Gesellschaft, Bezirk SissachDas Corona-Jahr fordert Roland Dalhäuser, den Leiter des «Jakobushauses», und sein Team stark
Roland Dalhäuser führt das Altersund Pflegeheim Jakobushaus in Thürnen. In der Pandemie hat er deutlich gemerkt: Das Altersheim kann das Daheim nicht ersetzen.
Jürg ...
Das Corona-Jahr fordert Roland Dalhäuser, den Leiter des «Jakobushauses», und sein Team stark
Roland Dalhäuser führt das Altersund Pflegeheim Jakobushaus in Thürnen. In der Pandemie hat er deutlich gemerkt: Das Altersheim kann das Daheim nicht ersetzen.
Jürg Gohl
Herr Dalhäuser, seit 17 Jahren leiten Sie das Jakobushaus in Thürnen und sind damit der dienstälteste Leiter eines Alters- und Pflegeheims im Oberbaselbiet. Aber ein Jahr wie das vergangene haben Sie noch nie erlebt. Teilen Sie diese Vermutung?
Roland Dalhäuser: Das war wirklich das anspruchsvollste Jahr, das wir hier im Jakobushaus je durchmachen mussten, und sicher auch das anstrengendste. Wir mussten ständig neue Informationen verarbeiten und umsetzen. Stets waren wir gefordert – ohne Zeit zum Zurücklehnen.
Freuen Sie sich also darauf, das alte Jahr abzuhaken und ein neues in Angriff zu nehmen?
Es ist noch viel zu früh, um ans Aufatmen zu denken. Noch stecken wir mitten in der gesundheitlichen Krise.
Haben Sie auch eine persönliche Lehre daraus gezogen?
Mir ist aufgefallen, dass wir uns alle erdenkliche Mühe geben, den Bewohnerinnen und Bewohnern ein neues Daheim und nicht bloss ein Heim zu bieten. Natürlich reklamiert das jeder andere Heimleiter auch für sein Haus. Aber wir unternehmen tatsächlich alles Erdenkliche, damit sich alle bei uns wohl- und geborgen fühlen. Doch die Pandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, dass wir für die Leute bei uns nie das neue Daheim sein können. Daheim bedeutet für alle die eigene Familie, die Angehörigen, ihre Liebsten. Das wurde mir in dieser schwierigen Zeit in aller Deutlichkeit aufgezeigt.
Wie stark wurde das «Jakobushaus» von der Pandemie heimgesucht? Wie viele Bewohner erkrankten, oder gab es gar Todesfälle?
In dieser Beziehung haben wir grosses Glück gehabt. Wir verzeichneten keine Infektionen, sieht man von zwei Mitarbeitenden ab, die positiv getestet worden sind. Keine Bewohner waren betroffen. Wir sind ein coronafreies Haus. Das gibt es tatsächlich noch, und wir sind nicht die einzigen.
Man hört und liest viel von Alters- und Pflegeheimen, die hohe Infektionszahlen bewältigen mussten und müssen. Aber das Gegenteil existiert auch noch.
Sie sprechen von Glück. Liegt es auch daran, dass Sie die Vorsichtsmassnahmen rigoroser umgesetzt haben als andere?
Natürlich bemühen wir uns, eine gewisse Vorsicht zu leben. Umgekehrt wollen wir die Leute vor lauter Sicherheit nicht einfach einkerkern, sondern ihnen helfen, ihre Kontakte aufrechtzuerhalten, ohne gleich ins offene Messer zu laufen. Aber ich spreche von Glück. Unter den gleichen Voraussetzungen fasst das Virus woanders Fuss und setzt den Bewohnern und dem Personal zu.
In Ihrem Haus seien zwei Pflegende ausgefallen, sagen Sie. In den Spitälern muss auch erkranktes Personal zu Hause bleiben, oder man muss sich in Quarantäne begeben. Die Gesunden sind derweil völlig überlastet. Alle schlagen Alarm. Haben Sie dieses Jahr auch personelle Engpässe erlebt, die den geregelten Ablauf gefährdeten?
Die Situation ist nicht so dramatisch wie anscheinend in den Spitälern. Ich darf mit Stolz feststellen, dass wir über hervorragendes Personal verfügen. Man hilft sich gegenseitig, springt bei Ausfällen solidarisch ein, wenn zum Beispiel jemand zur Risikogruppe zählt und deshalb nicht arbeiten kann. Zudem darf ich an alle ein Lob und meinen Dank aussprechen, weil sich das Personal offenbar auch im Privaten vorbildlich an die Sicherheitsregeln hält. Das ist ein im höchsten Mass professionelles Verhalten. Sonst wären wir wohl nicht ungeschoren davongekommen. Hut ab!
Welche Stimmung nehmen Sie im eigenen Haus wahr? Sind die Bewohner bedrückt?
Nein, nicht unbedingt. Dafür sind sie verunsichert. Es wird überall so viel geschrieben und gesagt, und ständig wechseln die Vorgaben. Aber grundsätzlich schützen sich die Bewohner selber. Sie verhalten sich im Alltag sehr konsequent und befolgen die Regeln. Das finde ich erstaunlich. Sie fragen viel und wagen es oft nicht mehr, nach draussen zu gehen.
Viele ältere Menschen verhalten sich fatalistisch und sagen sich, dass sie sich in ihrer letzten Lebensphase nicht noch einsperren lassen wollen. Sie nehmen dafür die Erkrankung in Kauf. Erleben Sie das auch?
In unserem Haus verhält sich die überwiegende Mehrheit sehr strikt. Der fatalistischen Auffassung, wie Sie das nennen, begegne ich weniger. Relativ selten muss ich den Polizisten geben. Schon eher kommt das gegenüber den Angehörigen vor.
Wie die darbenden Gasthäuser, das Gewerbe oder der Tourismus stehen auch Alters- und Pflegeheime unter einem wirtschaftlichen Druck und sind auf eine möglichst hohe Auslastung angewiesen. Wie sehr leidet Ihr Haus finanziell?
Die Pandemie ist für uns auch wirtschaftlich eine Katastrophe. Gegenwärtig will aus zwei Gründen niemand in ein Altersheim wechseln: weil man das Gefühl hat, dort isoliert und zudem dem Coronavirus eher ausgesetzt zu sein. Wir haben im ganzen Kanton eine beträchtliche Zahl an Betten frei. Gegenwärtig stimmt die Auslastung in verschiedenen Heimen nicht. Die Situation ist eine Katastrophe, auch wenn sie sich natürlich nicht mit jener der Restaurantbetreiber vergleichen lässt, bei denen es um die Existenz geht. Aber es ist klar, dass wir auf diese Weise nicht einfach Jahr für Jahr weiterwirtschaften können, wenn wir unseren Dienst an der Gesellschaft erfüllen wollen.
Wird sich das Leben in Ihrem Haus, aber auch allgemein in der Gesellschaft ändern, wenn wir einmal die Pandemie überstanden haben?
Viele sagen, dass die gewohnte Normalität mit Küsschen hier, Umarmung dort nie mehr zurückkehrt. Sie wird von einer neuen Normalität abgelöst. Vielleicht werden Abstand, Hygiene und der Verzicht aufs Händeschütteln zu diesem neuen Alltag gehören.
Wird sich auch unsere Einstellung gegenüber den Alten und Greisen verändern? Es war ja im Zusammenhang viel von einem Generationengraben die Rede.
Ich stelle fest, wie ausgesprochen besorgt die Angehörigen um die Personen sind, die bei uns wohnen. Sie unternehmen alles, um den Kontakt aufrechtzuerhalten und Bewohnern eine erfüllte Zeit zu ermöglichen. Ich erkenne jedenfalls keinen Generationengraben. Im Gegenteil: Vermehrt gehen jüngere Leute für die älteren einkaufen und übernehmen in dieser Zeit noch weitere soziale Aufgaben und Nachbarschaftsdienste. Es sind keine neuen Gräben entstanden, vielmehr wurden bestehende zugeschüttet.
Reichts dem Rekord zum runden Geburtstag?
jg. Noch fünf Monate fehlen dem Leiter des Jakobushauses zu einem runden Geburtstag der speziellen Art. Am 3. Juni 1981 gelingt dem damals 23-jährigen Hochspringer Roland Dalhäuser der Sprung seines Lebens. Am Hochsprung-Meeting in Eberstadt liegt die Latte auf 2,31 Metern. Das sind 5 Zentimeter mehr als bei seinem damals aktuellen Schweizer Rekord und 5 Zentimeter weniger als der damalige Weltrekord. Der Athlet mit den drei Birsfelder Sternen auf dem Trikot meistert die Höhe souverän und erhält danach eine spezielle Siegesprämie: Er wird mit Wein aufgewogen. Im gleichen Jahr wird er Hallen-Europameister und zudem Schweizer Sportler des Jahres.
In der Halle springt Dalhäuser in den Folgejahren noch zwei Mal einen Zentimeter höher. Draussen wird aber die Höhe von Eberstadt hinterher nie mehr übertroffen und ist inzwischen der älteste Landesrekord in der Schweizer Leichtathletik. «Zugegeben», sagt der Ormalinger, «ein bisschen stolz darauf bin ich schon.» Ein weiterer Uralt-Rekord ist ebenfalls inzwischen im Oberbaselbiet zu Hause: Die 18,02 Meter von Kugelstösserin Ursula Jehle-Stäheli aus Känerkinden von 1988.
Doch Dalhäusers Rekord ist bedroht: Im vergangenen Sommer näherte sich der Romand Loïc Gasch bis auf einen Zentimeter Dalhäusers Besthöhe. Deshalb begab sich Dalhäuser eigens an die Schweizermeisterschaften in Basel, um seinem möglichen Nachfolger zuzuschauen. Doch Gasch fehlte verletzt. Damit ist die Chance gestiegen, dass bei den Dalhäusers am 3. Juni 2021 angestossen werden kann, auch wenn die 85 Kilo Eberstädter Wein längst getrunken sind.