«Ich brauche Ziele gegen den inneren Schweinehund»
15.01.2021 Bezirk Waldenburg, Region«Ich brauche Ziele gegen den inneren Schweinehund»
Thomas «Profi» Hägler, der als erster Schweizer auf dem 8000er Annapurna war, sämtliche 4000er der Schweizer Alpen bestiegen und mit 8910 Höhenmetern Steigung in 24 Stunden einen inoffiziellen Weltrekord aufgestellt ...
«Ich brauche Ziele gegen den inneren Schweinehund»
Thomas «Profi» Hägler, der als erster Schweizer auf dem 8000er Annapurna war, sämtliche 4000er der Schweizer Alpen bestiegen und mit 8910 Höhenmetern Steigung in 24 Stunden einen inoffiziellen Weltrekord aufgestellt hat, war einmal mehr auf Rekordtour. In 50 Tagen hat er alle Juragipfel der Nordwestschweiz über 900 Meter bestiegen.
Elmar Gächter
Herr Hägler, wie kommt man auf die ausgefallene Idee, 170 Hügel in 50 Tagen zu besteigen?
Thomas Hägler: Eigentlich ganz zufällig. Pate stand, wenn man so will, Corona. Denn auch ich habe mich an den Aufruf, zu Hause zu bleiben, in dem Sinne gehalten, dass ich auf Auslandreisen verzichtet und mein regelmässiges Training in unserer Region abgehalten habe. Neben meinem eigentlichen Lieblingsberg, dem Chellenchöpfli, hat es mich dabei vermehrt auch auf andere Hügel gezogen. Bis mitten in dieser Zeit die Frage auftauchte: Weshalb nicht alle Hügel über 900 Meter in der Nordwestschweiz besteigen?
Was war für Sie der besondere Reiz an dieser Herausforderung? Sind Sie rekordsüchtig?
Bei diesem Projekt erging es mir wie bei der Besteigung aller 4000er in den Schweizer Alpen. Auch das hat sich mehr oder weniger so ergeben, eher aus einer gewissen Spielerei heraus. Primär wollte ich mich fit halten, und plötzlich entwickelte sich die Idee zu einem Ziel. Ich brauche solche Ziele auch, um den inneren Schweinehund zu überwinden. Und was die Rekorde anbelangt: Ich treibe seit 50 Jahren mehr oder weniger intensiv Sport, und da gehört es dazu, immer wieder nach grösseren Leistungen zu streben.
Für einen Jungspund tönt dies ja nachvollziehbar, aber mit Ihren 66 Jahren ist eine solche Leistung mehr als aussergewöhnlich.
Seit 50 Jahren trainiere ich regelmässig, und da wird der Tank mit der Zeit ein wenig leer. Deshalb brauche ich gewisse «Trickli», um mich herauszufordern. Und dieses Projekt war eine solche Möglichkeit. Es war immer so in meinem Leben, auch vor dem Besteigen der 8000er: Wenn ich ein Ziel habe, kann ich mich total darauf fixieren.
Hatten Sie in diesen 50 Tagen keine Motivationsprobleme?
Gegen den Schluss hin wurde der zeitliche Druck immer grösser. Plötzlich merkst du unterwegs beim Blick auf die Karte, oh, diesen Hügel nebenan habe ich ganz übersehen, und du machst dann halt eine Zusatzschlaufe. Wenn ich mir jedoch selber den Druck aufsetze, habe ich selten eine Motivationskrise.
Wie muss man sich die Begehungen konkret vorstellen? Sind Sie auf jeden Hügel gerast?
Dies habe ich jahrelang gemacht. Mit meinen künstlichen Hüftgelenken ist das nicht mehr möglich. Deshalb bevorzuge ich das Speed-Walking oder das Power-Walking mit Stöcken und gehe möglichst schnell in die Steigungen hinein.
… und nehmen täglich gleich mehrere Hügelzüge mit?
Es gab Tage, da war ich bis zu fünf Stunden unterwegs, und da kamen schon einige Überschreitungen zusammen. Ich denke da beispielsweise an den Grenchenberg, als ich auf und neben der Krete bis zur Hasenmatt einige Hügel so quasi eingesammelt habe.
Welche Hügel haben Sie dabei am meisten überrascht und weshalb?
Es waren vor allem kleinere Hügel, die ich noch nicht gekannt hatte und die vielfach ein bisschen versteckt waren. Darunter hatte es unwegsame, wo ich krackseln musste und wo mir das bergsteigerische Können geholfen hat. Speziell gerne erinnere ich mich an die Schönthaler Fluh oberhalb des Klosters Schönthal in Langenbruck, die ich noch nie begangen habe, an den solothurnische Bettlachstock oder die Wannenfluh beim Balmberg.
Was waren die schönsten Erlebnisse?
Es ist nicht in erster Linie der Weg, der mich fasziniert hat. Vielmehr waren es die ganz besonderen Wetterlagen und Wetterverhältnisse. Da ich gegen den Schluss hin gezwungen war, bei jedem Wetter zu gehen, gab es auch recht düstere Tage. Aber wenn ich mir dabei die Bilder von der Roggenfluh und dem Roggenschnarz mit Schnee vor Augen halte, ist dies fantastisch. Oder du stehst auf dem Leutschenberg auf der Schafmatt, und nur dein Kopf ragt aus dem Nebelmeer heraus. Das ist einfach einmalig. Und wenn du erst noch das Brockengespenst siehst, dann gibt es kaum eine Steigerung.
Das Brockengespenst?
Dieses sieht man häufig in den Alpen, wenn vor dir eine Nebelwand auftaucht und die Sonne hinter dir deinen Schatten in diese Wand projiziert und rundum einen Kreis bildet.
Bergsteiger halten ihre besonderen Gipfelerlebnisse fotografisch fest. Nicht zuletzt, um zu beweisen, dass sie auch wirklich oben waren. Wie war dies auf all Ihren Hügeln?
(lacht) Ich gehe davon aus, dass man mir wohl auch ohne Selfies von jedem «Hübel» glaubt, dass ich oben war.
Beschreiben Sie uns das Gefühl, das Sie nach dieser Leistung heimgesucht hat.
Auch wenn es wie erwähnt eine Spielerei war, verspüre ich eine gewisse Genugtuung, dass ich es geschafft habe. Ich glaubte vorher, die ganze Nordwestschweiz zu kennen – weit gefehlt. Das Chellenchöpfli wird zwar nach wie vor mein Lieblingsberg bleiben, aber ich werde auch immer wieder neu entdeckte Höhen besuchen.
Muss man nicht ein wenig ein Spinner sein, um solche Projekte zu realisieren?
Diese Feststellung ist ein Stück weit gerechtfertigt. Aber Spinnereien und unnützes Zeug beleben den Alltag. Dies war auch so bei meinem inoffiziellen Weltrekord, als ich in 24 Stunden über 8900 Höhenmeter bewältigte und dabei unter anderem 23-mal das Jägerwägli auf die Wasserfallen hinaufgerannt bin.
Welches Fazit ziehen Sie nach diesen 170 Gipfel-Besteigungen?
Ich habe einmal mehr feststellen können, wie toll der Jura und wie fantastisch die Landschaft ist. Viele Leute in der Schweiz kennen diese Gegenden gar nicht. Man fährt durch das Baselbiet und hat keine Ahnung von den Schönheiten hier im Faltenjura. Ich bin ein grosser Fan davon.
«1000 Berge von 0 bis 8000» heisst das neueste Buch von Thomas Hägler, Hölstein. Es enthält zahlreiche Kurzgeschichten aus seinem Leben als Bergsteiger. Es ist erschienen im bcp-Verlag 2020. Als Herausgeber und Autor zeichnet Thomas Hägler, profihaegler@bluewin.ch. «Profi» Hägler zeichnet regelmässig Karikaturen für die «Volksstimme».