«Der Kanton hat uns verschaukelt»
22.12.2020 Baselbiet, KilchbergChristian Horisberger
Hätte sich ein Vertreter des Baselbieter Amts für Raumplanung kürzlich an die Gemeindeversammlung von Kilchberg verirrt – die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hätten ihn wohl, bildlich gesprochen, geteert und gefedert. Denn sie kommen sich vom ...
Christian Horisberger
Hätte sich ein Vertreter des Baselbieter Amts für Raumplanung kürzlich an die Gemeindeversammlung von Kilchberg verirrt – die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hätten ihn wohl, bildlich gesprochen, geteert und gefedert. Denn sie kommen sich vom Kanton ziemlich verschaukelt vor.
2012 legten die Gemeinde und das Baselbieter Amt für Raumplanung im neuen Zonenplan Siedlung fest, wie und vor allem wo sich die 170-Seelen-Gemeinde Kilchberg entwickeln soll. Dafür waren im Gebiet Niederfeld 6000 Quadratmeter Bauland in der Bauzone behalten worden – an bester Südhang-Lage mit Platz für zehn Einfamilienhäuser. Dieses Bauland hat die Gemeinde für 1,5 Millionen Franken im Juli 2018 erworben, mit der Absicht, es nach und nach zu erschliessen und an Bauwillige weiterzuverkaufen. Man versprach sich davon einen kontinuierlichen Einwohnerzuwachs, das Lebenselixier für die Kleinstgemeinde. Das Dorf setzte damit seine Strategie fort, die es im kommunalen Richtplan vor rund 20 Jahren festgeschrieben und konsequent verfolgt hatte. So weit, so gut.
Voriges Jahr hat das Baselbieter Amt für Raumplanung nun darüber informiert, dass die Baulandreserven etlicher Gemeinden zu gross seien. Der Bund verlange Rückzonungen, hiess es. Davon betroffen sind 31 meist ländliche Dörfer, deren Baulandreserve grösser als 10 Prozent der Siedlungsfläche ist. Die Behörden der Dörfer standen auf die Hinterbeine: Sie würden ihrer Entwicklungsmöglichkeiten beraubt.
Am Rand der Bauzone
Mit nahezu 30 Prozent unbebauter Siedlungsfläche steht Kilchberg in der Bauzonenbrache-Rangliste auf Platz zwei. Dass der Kanton hier den Rotstift ansetzt, erscheint logisch. Dennoch gab es an der Budget-Gemeindeversammlung rote Köpfe, als Finanzchef Peter Zehntner von den laufenden Verhandlungen des Gemeinderats mit dem Amt für Raumplanung berichtete.
Demnach solle das teuer erworbene Bauland ausgezont werden. Denn es sei noch nicht erschlossen, befinde sich am Rand der Siedlungsfläche und könne somit problemlos landwirtschaftlich genutzt werden, sagte Zehntner an der Versammlung. Die Raumplaner hätten weiter argumentiert, dass das Niederfeld ein unerlässlicher Teil des Ortsbilds von nationaler Bedeutung sei und daher unverbaut bleiben solle. Dies aber war bereits 2012 der Fall. Dazu erklärt Andrea Bürki, Sprecherin der Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD), dass die Bedeutung von geschützten Ortsbildern in jüngerer Vergangenheit bedeutsam gestärkt worden sei – unter anderem aufgrund mehrerer Bundesgerichtsentscheide.
Für Rückzonungen nicht im Fokus hat «Liestal» bereits erschlossene, jedoch brachliegende Grundstücke mitten im Siedlungsgebiet. Solche Baulücken sind Andreas Imhof ein Dorn im Auge, denn sie hemmten die Dorfentwicklung und trieben den Bauzonen-Freifläche-Anteil Kilchbergs in die Höhe, sagt er. Als früherer Finanzchef hatte er den Kauf des Baulands im Niederfeld begleitet. Es wurde dort ein Regelwerk ausgearbeitet, das verhindern soll, dass Grundstücke zu spekulativen Zwecken gekauft werden: Zwei Jahre nach dem Kauf muss gebaut werden.
An der Gemeindeversammlung nahm Imhof kein Blatt vor den Mund: Zuerst habe der Kanton die Umsetzung bundesrechtlicher Vorgaben im neuen Raumplanungsgesetz von 2014 verschlafen. Im letzen Moment gebe er den Druck an die Gemeinden weiter. «Wir hätten das Land nicht gekauft, wenn wir das gewusst hätten. Der Kanton hat uns verschaukelt.» Dem hält die BUD entgegen, dass nicht ausschliesslich der Kanton, sondern ebenso die Gemeinden Adressaten des 2013 angenommenen Raumplanungsgesetzes seien. Im Artikel 15 werde explizit festgehalten, dass zu grosse Bauzonen zu redimensionieren seien.
Kanton soll geradestehen
An der Gemeindeversammlung erhielt der frühere Finanzchef Unterstützung: «Die vom Kanton haben den Bock geschossen und müssen das nun ausbaden. Wir haben das Land aufgrund eines gültigen Richtplans gekauft. Wo sind wir denn, wenn wir uns nicht mehr auf das Wort des Kantons verlassen können? Der Kanton soll uns das Geld schicken!»
Der Gemeinderat war seit der Hiobsbotschaft aus Liestal nicht untätig und hat umgehend das Gespräch mit dem kantonalen Amt für Raumplanung gesucht, um auf die besondere Situation Kilchbergs aufmerksam zu machen. Bisher ohne zählbares Ergebnis, wie Gemeindepräsident Marcel Aeschbacher auf Anfrage sagt.
Der Regierungsrat habe bereits im Genehmigungsentscheid zur letzten Ortsplanrevision von 2012 drauf hingewiesen, dass trotz Auszonung eines Teils der Bauzone diese nach wie vor zu gross dimensioniert sei, führt BUD-Sprecherin Bürki aus. Der Regierungsrat habe empfohlen, weitere Teile der Bauzone auszuzonen. Zum Zeitpunkt des Kaufs durch die Gemeinde sei dies bekannt gewesen.
Der Gemeinderat beauftragte einen Ingenieur, um die Siedlungsentwicklung und die aktuelle Situation darzustellen. «Das Dokument umfasst 31 Seiten», sagte Aeschbacher kürzlich an der Gemeindeversammlung. Darin ist unter anderem festgehalten, dass die Erschliessungsplanung bereits aufgegleist war, als der Kanton im Herbst über die zu grossen Baulandreserven informierte. Vollständig zu überzeugen vermochte Kilchberg damit die kantonalen Behörden jedoch nicht. Das Dossier sei nicht objektiv und müsse nachgebessert werden, um als Begründung zu dienen, hiess es, sagt der Gemeindepräsident.
«Eigentlich kein Spielraum»
Die Verhandlungen dauern gemäss Aeschbacher an. Den anfänglichen Optimismus, dass sein Dorf ungeschoren davonkommen wird, hat er verloren. «Ich schätze, wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, dass wir unsere Pläne wie ursprünglich angedacht umsetzen können.» Doch habe er den Eindruck, dass beim Kanton ein gewisser Verhandlungsspielraum vorhanden ist.
«Ein eigentlicher Verhandlungsspielraum besteht nicht», sagt hingegen Bürki. Der Kanton sei verpflichtet, das Raumplanungsgesetz des Bundes zu vollziehen und müsse dem Bund im Mai 2022 die Überprüfungsergebnisse der Gemeinden rapportieren. Als Prüf- und Genehmigungsbehörde der kommunalen Raumplanung unterstütze das kantonale Amt die Gemeinden dabei, einen rechtlich gangbaren Weg zu finden. Dennoch: Das Amt habe Verständnis für die Situation der Gemeinde und gehe auch nicht von einer vollständigen Auszonung aus.
Der Gemeinderat versucht an allen Fronten, den Schaden möglichst gering zu halten: So machte er die Grundeigentümer im Mitteilungsblatt sowie in persönlichen Briefen auf die Situation aufmerksam: «Die Grundeigentümer/-innen sollten sich sodann um eine baldige Bebauung kümmern, entweder indem sie selbst Bauvorhaben realisieren oder durch den Verkauf an Personen oder Firmen, die ihrerseits bauen möchten.»
Strafsteuer für Bauland-Horter
Die Ausbeute des Aufrufs ist mager: Drei Reaktionen auf die Aktion seien bisher eingegangen, allesamt deuten nicht auf eine baldige Bebauung hin, sagt Aeschbacher. Somit erhöht sich der Druck aufs Filetstück im Niederfeld. Der Gemeinde droht nicht nur der Verlust von zumindest einem Teil der 1,5 Millionen Franken für das 2018 gekaufte Bauland, sondern auch eine Entwicklungsbremse. Denn ein Verdichten nach innen sei aufgrund der Struktur der Kernzone vorwiegend mit Bauernhäusern schwierig, sagt der Präsident.
Ein Hoffnungsschimmer aus Liestal deutet sich hier an: Im Entwurf für eine Anpassung des kantonalen Raumplanungs- und Baugesetzes ist eine Massnahme enthalten, die zur Baulandverflüssigung führen soll: Je länger ein Grundeigentümer eine Parzelle nicht bebaut, desto stärker wird er vom Fiskus zur Kasse gebeten. Wie stark die Wirkung der Lenkungsmassnahme ist, steht jedoch in den Sternen.
Und sich allein dem Prinzip Hoffnung hingeben, das wollen die Kilchberger nicht. Wohl stellvertretend für die meisten Anwesenden der Gemeindeversammlung gab ein Stimmbürger dem Gemeinderat für die nächste Verhandlungsrunde mit dem Kanton dies mit auf den Weg: «Ihr müsst dem Kanton plausibel erklären, dass die Kilchberger Gemeindeversammlung dieses Gebiet nie, nie, nie zurückzonen wird.»