Die plötzlich abgewürgte Fasnacht, der Lockdown und die Solidarität
31.12.2020 RegionManche schauten noch ungläubig durch die Larve, als schon die Polizei vorfuhr
David Thommen
Es war Ende Januar, als in einer Kurzmeldung der «Volksstimme» erstmals vom «neuartigen Coronavirus» die Rede war. Es wütete damals in China und ...
Manche schauten noch ungläubig durch die Larve, als schon die Polizei vorfuhr
David Thommen
Es war Ende Januar, als in einer Kurzmeldung der «Volksstimme» erstmals vom «neuartigen Coronavirus» die Rede war. Es wütete damals in China und wir vermeldeten: «Noch keine Fälle in der Schweiz». Kurze Zeit später brachten wir ein Interview mit einem in Sissach ansässigen chinesischen Wissenschafter, der aus heutiger Sicht höchst zurückhaltend die Befürchtung äusserte, wir hier in der Schweiz könnten die Gefahr einer Pandemie unterschätzen. Danach klingelte bei uns auf der Redaktion das Telefon: Ob wir «eigentlich noch ganz gebacken seien», schimpfte der frühere Präsident eines grossen lokalen Vereins hochgradig erregt und rief im Befehlston, wir sollten mit dieser blöden Panikmache blitzartig wieder aufhören.
Hätten wir ja liebend gerne gemacht. Doch das neuartige Virus behielt uns fortan im Würgegriff und schüttelte die Welt so heftig durch, wie man sich das nie hätte vorstellen können. Es war der Beginn einer panischen Zeit, in der man sich fortwährend wie im falschen Science-Fiction-Film wähnte. Gegen eine solch perfide Pandemie waren wir nicht gewappnet. Das Leben änderte sich radikal.
Guggen nur in Beizen erlaubt
Am 1. März war Fasnachtssonntag. Zwar hatten die Behörden am Freitag zuvor alle Fasnachtsumzüge und Grossanlässe mit mehr als 1000 Personen verboten, doch füllte sich am Sonntagnachmittag die Sissacher Begegnungszone gleichwohl mit Kostümierten und einer grossen Anzahl von Neugierigen (später auch als «Gaffer» tituliert). 3000 oder mehr Menschen sollen es im Ortskern gewesen sein. Es war ein munteres Intrigieren mit zunehmendem Alkoholpegel und ohne Abstand. Mundschutz trug man nur zum Scherz. Die Polizei war zwar vor Ort, griff aber nur dann ein, wenn Guggen auf der Strasse zum Spielen ansetzten, denn das war ausdrücklich verboten. Guggen durften auf Weisung der Behörden nur in den (häufig brechend vollen Beizen) ihre Aerosole in schräge Töne verwandeln. Heute, da selbst leises Pfeifen hinter der Hygienemaske schon bald strafbar ist, reibt man sich ungläubig die Augen. Nein, Corona konnten wir damals noch überhaupt nicht.
Am Sonntagabend setzte die Regierung dem munteren Fasnachtstreiben dann ein Ende. Die Beizen wurden kurzerhand durch die Polizei dichtgemacht; dies in Sissach und in Liestal. Die Feierwütigen reagierten zum Teil unbeherrscht. In Sissach drohte die Situation kurz zu eskalieren, doch irgendwann gewann die Vernunft die Oberhand. Die Fasnacht 2020 war damit vorbei. In Gelterkinden nahm man auf dem Friedhof Abschied von ihr.
Nach den Fasnachtsferien wurde trotz grosser Bedenken der Schulbetrieb wieder aufgenommen. Die Kinder wurden sofort in der Disziplin Hygiene unterrichtet und mussten vor dem Unterricht zum Händewaschen antreten. Unübersehbar war, dass das öffentliche Leben fortan zusehends zum Erliegen kam. Neben «Corona» war in den Zeitungen das Wort «Absage» der vielleicht häufigste Begriff.
Mitte März folgte dann der grosse «Lockdown»: Die Baselbieter Regierung verhängte als erster Kanton überraschend forsch die Notlage, schloss Schulen, Beizen und Geschäfte, die nicht der absoluten Grundversorgung dienen. Die Behörden traten zwar betont ruhig auf, doch die Informationslage war chaotisch. Kurz darauf zog der Bund nach – die Schweiz verfiel in die Corona-Starre.
Hamsterkäufe!
Das Volk hatte ganz offensichtlich geahnt, was kommen würde: Tage zuvor schon hatten Hamsterkäufe eingesetzt. In den Läden präsentierten sich plötzlich gähnend leere Regale. Ein besonders gefragter Artikel: Toilettenpapier.
Von nun an hiess es: «Bleiben Sie zu Hause.» Das entsprechende Inserat war auch auf der Frontseite der «Volksstimme» prominent zu sehen. An den Schulen lief der Fernunterricht an und auf den Strassen wie im öffentlichen Verkehr gab es plötzlich angenehm viel Platz. Die Menschen verschanzten sich daheim im Homeoffice und blieben dort. Die «Volksstimme» druckte Anfang April ein Bild der Autobahn A2, auf der kein einziges Fahrzeug zu sehen ist.
Ein kleiner (persönlicher) Einschub des Autors dieser Zeilen: Zum ersten Mal «Maske auf» hiess es Mitte März, als der Baselbieter Krisenstabschef Patrik Reiniger die «Volksstimme» zu einem grossen Interview empfing. Schon damals herrschte im ganzen Krisenstabshauptquartier in Liestal strenge Maskenpflicht – das komplette Gespräch fand «vermummt» statt. Doch wie den Krisenstabschef fotografieren? Wir machten beide Varianten. Reiniger rief uns nachträglich an und bat darum, das Bild ohne Maske zu verwenden. Sonst werde das vielleicht als falsches Signal gedeutet. Immerhin hatten der Corona-Beauftragte Daniel Koch und der Bundesrat unermüdlich behauptet, Masken brächten so gut wie überhaupt nichts. Die Aussage wurde nach und nach als Notlüge entlarvt. Der Bund hatte schlicht und ergreifend die Pandemievorsorge vernachlässigt und es waren zu wenige Masken an Lager, um die Bevölkerung damit zu versorgen.
Was befürchtet werden musste, traf bald ein – auch Altersheime mit besonders verletzlichen Menschen wurden betroffen. So starben in Ormalingen zwei betagte Menschen am Coronavirus. Auch sonst nahmen im Baselbiet die Ansteckungs- und Todeszahlen in bedenklicher Weise zu. Indessen traf hierzulande die Befürchtung nicht ein, dass die Spitäler an ihre Grenzen kommen und Ärzte vor den Entscheid gestellt werden würden, wem sie noch helfen können, und wen sie sterben lassen müssen.
Landrat im Exil
Gegen Ende März wurden in Lausen und Münchenstein grosse Abklärungsstationen eröffnet, in denen sich Menschen mit Symptomen testen lassen konnten. Der Ansturm war zeitweise enorm. Allein in der ersten Woche erschienen 3000 Personen. Im Baselbiet wurde das Bruderholzspital zum Covid-19-Zentrum.
Derweil kamen die Hilfsprogramme von Bund und Kanton für die Wirtschaft in Schwung. Der Bund gewährte unkompliziert zinsfreie Kredite und Baselland verteilte eine nicht rückzahlbare Soforthilfe von 7500 bis 10 000 Franken pro Firma. Zudem landeten auf den Pulten des Arbeitsamts innerhalb kürzester Zeit mehr als 2000 Gesuche für Kurzarbeit. Die grosse Angst vor einer riesigen Pleitewelle ging um.
Der Baselbieter Landrat, der wegen der 1,5-Meter-Abstandsregel zur Untätigkeit gezwungen war, erwachte so früh wie kaum ein anderes Schweizer Kantonsparlament aus der Schockstarre. Landratspräsident Peter Riebli (SVP, Buckten) läutete fortan die Sitzungen im geräumigen Congress Centrum exterritorial auf Basler Boden ein – ein Vorgang, für den im selbstständigen Baselbiet zuvor die Vorstellungskraft gefehlt hätte. Andere Organisationen wichen flink ins Internet aus. So führte beispielsweise die Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet ihre Generalversammlung digital durch. Hingegen wurden Gemeindeversammlungen gleich reihenweise abgesagt. Gemeinderäte wurden ermächtigt, dringliche Beschlüsse per Notrecht zu fassen. Auch die Kirchen blieben zu, Ostern fand ganz ohne Gottesdienste statt. Es wurde dazu aufgerufen, Familienfeste zu unterlassen. Ruhiger war Ostern nie.
Der erste Lockerungsschritt
Trotz geschlossener Kirchen war von Nächstenliebe während dieser ersten Coronawelle dennoch sehr viel zu spüren: Es gab viel Solidarität, die Mut machte. Nachbarn organisierten sich, um Personen aus der Risikogruppe zu versorgen, es wurde für Alte und Kranke gezeichnet, gesungen, für Beizen, Kulturschaffende und viele andere mehr wurde gespendet – und für das Pflegepersonal wurde öffentlich geklatscht. Der Frühling 2020 war deshalb nicht einfach nur eine dunkle Zeit, sondern auch eine mit vielen Lichtblicken – zumal die Lockdown-Periode von ungewöhnlich schönem Frühlingswetter umrahmt wurde.
Ende April dann, um genau zu sein am 27., gab es den ersten Lockerungsschritt: Coiffeurgeschäfte, Gartencenter und andere mehr durften wieder öffnen. Es war die Zeit, da man als Plexiglashändler über Nacht Millionär werden konnte. Viele Menschen schnauften hinter den Gesichtsmasken, von denen nun einige mehr verfügbar waren, erstmals etwas auf. (Fortsetzung folgt.)