Bürgerlicher Wortbruch ungestraft
18.12.2020 Baselbiet, LausenSebastian Schanzer
Die im Januar erfolgte stille Wahl in den Gemeinderat von Lausen kann endgültig erwahrt werden. Nach der Regierung hat am Mittwoch auch das Kantonsgericht die Beschwerde eines Lausner Stimmbürgers mit 4 gegen 1 Stimme abgewiesen. Er forderte die ...
Sebastian Schanzer
Die im Januar erfolgte stille Wahl in den Gemeinderat von Lausen kann endgültig erwahrt werden. Nach der Regierung hat am Mittwoch auch das Kantonsgericht die Beschwerde eines Lausner Stimmbürgers mit 4 gegen 1 Stimme abgewiesen. Er forderte die Aufhebung und Neuansetzung der stillen Wahl, weil er im Wahlprozedere einen Verstoss gegen die Wahlfreiheit erkannt haben will.
Gut drei Monate vor dem ordentlichen Wahltermin trafen sich nämlich die Präsidenten der Lausner SVP, SP und der Bürgerlichen Vereinigung (BVL) und gingen einen Deal ein: Die Parteivertreter bestätigten, dass sich alle bisherigen sieben Mitglieder des Gemeinderats erneut zur Verfügung stellen und auf die Nomination neuer Kandidatinnen und Kandidaten verzichten. Mit dieser Abmachung bezweckten die Parteien das Zustandekommen einer stillen Wahl. Der Vorteil: die politischen Verhältnisse im Dorf bleiben gewahrt und die Parteien müssen keinen teuren Wahlkampf führen. Zumindest die SP kommunizierte nach eigenen Angaben den Inhalt dieses Treffens gegenüber den Mitgliedern.
Was die Präsidenten der SP und SVP Lausen erst bei der Erwahrung der stillen Wahl im Januar erfuhren: Der Name des bisherigen BVL-Gemeinderats Peter Gisin wurde aus der Kandidatenliste der BLV gestrichen und durch einen anderen Namen ersetzt. Gisin hatte Ende November parteiintern seinen Rücktritt bekannt gegeben. An dessen Stelle nominierten die Bürgerlichen mit Daniel Mühlethaler kurzum einen neuen Kandidaten. Dies mit der Bitte an die eingeweihten Parteimitglieder, die Information «nicht an die grosse Glocke» zu hängen. Man habe die stille Wahl nicht gefährden wollen und die Änderung deswegen nicht kommuniziert, erklärte sich BVL-Präsident Martin Eichenberger später den Medien.
Skepsis gegenüber Zeugen
Den Wortbruch der BVL erkannten die Geprellten erst, als die Listen den Mitgliedern der Gemeindekommission zur Erwahrung der stillen Wahl vorgelegt wurden. Die Kommission weigerte sich zunächst, das Ergebnis zu erwahren, tat es dann aber doch zähneknirschend, nachdem die Verwaltung bezeugte, dass formell alles richtig abgelaufen sei.
Der Beschwerdeführer ist indes überzeugt: Es wäre zumindest die Aufgabe des amtierenden Gemeinderats gewesen, transparent und rechtzeitig über die Änderung zu informieren. Die Wahlberechtigten seien durch das Unterlassen dieser «höchst relevanten Information» in die Irre geführt worden, weil sie davon ausgegangen seien, dass Gisin erneut antrete.
Das sahen vier von fünf Richtern aus unterschiedlichen Gründen anders. Für Richter Claude Jeanneret hätte eine solche Informationspflicht allenfalls dann bestanden, wenn der Gemeinderat vom parteiübergreifenden Deal Kenntnis gehabt hätte. Die an der Parteiverhandlung als Zeugen vernommenen BVL-Gemeinderäte – inklusive Peter Gisin – wollten vor der Wahl aber nichts von der Abmachung ihres Parteipräsidenten gewusst haben. Diese Aussagen seien zwar mit Vorsicht zu geniessen, meinte Jeanneret skeptisch. Das Gegenteil sei dennoch nicht nachgewiesen. Folglich könne das Gericht auch keine Verletzung der Informationspflicht feststellen.
Eine solche Pflicht des Gemeinderats wies Kantonsrichter Stephan Schulthess grundsätzlich ab. Bereits der überparteiliche Deal sei eine demokratietechnisch fragwürdige Praxis. Bei Gutheissen der Beschwerde würde das Gericht dieses Vorgehen schützen. «Solche Gentlemen’s Agreements gehören aus der Politik verbannt», so Schulthess. Auch dem Argument des Beschwerdeführers, mit der Richtigstellung betreffend Gisins Rückzug hätten womöglich auch die anderen Parteien eine zusätzliche Kandidatur unterstützt, konnte Schulthess nichts abgewinnen. «Wenn jemand kandidiert, tut er das aufgrund seiner Eignung für das Amt und nicht wegen seiner Wahlchancen.»
«Abkehr von Volkswahl»
Zumindest in einem waren sich die Richter einig. Das Vorgehen der BLV war ein unschöner politischer Winkelzug. Nicht anders sei es zu erklären, dass der abtretende Gisin seinen Entscheid zum Rücktritt Ende November gefasst hatte, die Behörden aber erst am 23. Dezember, dem Tag, als die Einreichefrist für Kandidaturen ablief, darüber informierte. «Niemand kann mir erzählen, dass dies kein politischer Schachzug gewesen ist», sagte Richter Hans Furer und verwies auf seine eigene Erfahrung als ehemaliger Politiker. Er sass zwischen 2011 und 2015 für die Grünliberalen im Baselbieter Landrat.
Furer stellte denn auch den Antrag, die Beschwerde gutzuheissen. Allein stille Wahlen seien gemäss Bundesgericht bereits eine Abkehr von der eigentlichen Volkswahl. «Wenn nun zusätzlich Mauscheleien bestehen, ist die von der Bundes- und Kantonsverfassung geschützte Wahlfreiheit nicht mehr garantiert.» Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Absprache der Parteipräsidenten eine private und nicht öffentlich-rechtliche Angelegenheit sei. «Parteien sind zwar private Gebilde, aber sie haben eine öffentlich-rechtliche Wirkung. Unser ganzes politisches System wird von Parteien organisiert», so Furer. Für ihn war klar: Gisin hätte die Bevölkerung über seinen Rücktritt informieren müssen, um deren freie Wahl zu gewährleisten. Furer blieb indes auf einsamem Posten mit seinem Antrag.