«Heute trauen sich viele nicht mehr, etwas Einfaches zu machen und dazu zu stehen»
29.12.2020 Arboldswil, Gastronomie, Bezirk WaldenburgFabienne Ballmer präsidiert den Branchenverband der Baselbieter Gastronomie
Fabienne Ballmers Herzblut liegt in der Gastronomie. Dass sie ausgerechnet während der Coronakrise den kantonalen Branchenverband der Gastronomen übernommen hat, sieht sie als Chance, auch wenn die Aussichten ...
Fabienne Ballmer präsidiert den Branchenverband der Baselbieter Gastronomie
Fabienne Ballmers Herzblut liegt in der Gastronomie. Dass sie ausgerechnet während der Coronakrise den kantonalen Branchenverband der Gastronomen übernommen hat, sieht sie als Chance, auch wenn die Aussichten derzeit alles andere als rosig sind. Sie rechnet damit, dass es in der Branche zu einer Bereinigung kommt und träumt davon, einmal ihr eigenes Lokal zu besitzen.
Severin Furter
Frau Ballmer, die Gastronomiebranche wurde durch Corona heftig durchgeschüttelt. Wie ist zurzeit die Stimmung bei den Gastronomen?
Fabienne Ballmer: Die Stimmung ist sehr angespannt, weil die Gastronomen nie wissen, welche Massnahmen noch kommen. Die wöchentlich – teils schon fast täglich – wechselnde Ausgangslage macht den Betrieben das Leben schwer. Die Lage wird zunehmend prekärer. Mit der Schliessung der Gastronomielokale wird es nun sehr, sehr schwierig. Es bräuchte dringend Liquiditätshilfen.
Die Krise ist noch längst nicht überstanden. Was bedeutet das für die Gastronomie?
Ja, das ist so und das Jahresende macht die Situation nicht einfacher. Es steht der Jahresabschluss an und es flattern Rechnungen ins Haus, die man auch in normalen Zeiten nur ungern bezahlt, wie beispielsweise die Mehrwertsteuer. Wenn das so weitergeht, wird es in der Gastronomiebranche zu einer Bereinigung kommen – das ist unvermeidbar.
Wie viele Gastrobetriebe müssen im aufgrund Corona aufgeben?
In einem normalen Jahr kommt es bei 30 Prozent der Betriebe zu einem Wechsel der Pächter oder anderen Änderungen. Ich gehe davon aus, dass dies auch in diesem krisenbetroffenen Jahr so sein wird.
Und wie viele Restaurants schliessen mit der Krise für immer ihre Türen?
Das ist sehr stark von den Eigentümern der jeweiligen Gebäude abhängig: Setzen die Immobilienbesitzer weiterhin auf die Gastronomie oder wandeln sie ihre Lokale in Wohnungen um? Es ist bekannt, dass einige Immobilienbesitzer bei einem kommenden Pächterwechsel ihr Gebäude anders nutzen wollen. Ich gehe zurzeit davon aus, dass es im Baselbiet nach der Krise zwischen 10 und 20 Prozent weniger Gastronomiebetriebe geben wird.
Welche Massnahmen wären jetzt noch notwendig, um der Branche nachhaltig zu helfen?
Die vom Landrat und der Regierung Anfang Dezember beschlossene Härtefall-Regelung ist bereits ein gutes Zeichen. Auch die Aufstockung der A-fonds-perdu-Beiträge ist sehr willkommen, denn normale Kredite helfen den Gastronomen nicht, um positiv in die Zukunft zu gehen. Man sagt: Hat ein Gastronom eine Umsatzeinbusse von 40 Prozent, ist er nicht mehr überlebensfähig. Viele der Betriebe kommen bereits bei Einbussen zwischen 20 und 30 Prozent an ihre Grenzen.
Das klingt wenig zuversichtlich.
Ist es auch nicht. Dabei gilt es zu bedenken, dass bei einer solchen Ausgangslage zahlreiche Arbeitsplätze und besonders auch Ausbildungsplätze in Gefahr sind. Ein Wegfall der Lehrstellen muss unbedingt vermieden werden. Also müssen wir uns die Frage stellen, wie man Betrieben helfen kann, die Lehrlinge ausbilden. Wenn es ums Überleben geht, ist manch einer nicht mehr bereit, in die Ausbildung zu investieren. Da müssen wir vonseiten der Politik und des Branchenverbands für gute Voraussetzungen sorgen. Die Ausbildung gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben für eine solide Zukunft.
Sie haben den kantonalen Branchenverband als Präsidentin ausgerechnet in diesem Krisenjahr übernommen. Hätten Sie sich einen anderen Einstieg gewünscht?
Es gibt sicherlich weniger herausfordernde Situationen, um das Präsidium eines Verbands zu übernehmen. Den Verband einfach zu verlassen wäre jedoch nicht fair gewesen und hätte mir auch nicht entsprochen. Zurzeit ist es für die ganze Bevölkerung eine schwierige Situation, die alle in dieser Art noch nicht erlebt haben. Ich sehe Krisen, sei es im privaten oder geschäftlichen Bereich, jedoch immer auch als Chancen an. Aus jeder Krise, die ich persönlich erlebt habe, entwickelten sich auch wieder neue Möglichkeiten. Entsprechend bin ich positiv gestimmt, dass dies auch nach der jetzigen Pandemie so sein wird.
Sie führen Gastro Baselland zusammen mit Philip Bühler im Co-Präsidium. Warum ist eine Doppelbesetzung des Präsidiums notwendig?
Weil wir es alleine nicht können (lacht). Nein ernsthaft, Philip und ich ergänzen uns sehr gut. In vielen Punkten sind wir sehr ähnlich, in vielen aber genauso unterschiedlich. So können wir gewisse Aufgabenbereiche sehr gut untereinander aufteilen. Er ist beispielsweise im Finanzsektor stark. Ich dagegen bringe ein vielseitiges Netzwerk aus der Branche, aber auch aus dem politischen Umfeld mit. Philip wiederum ist der sachliche Typ, ich werde manchmal eher durch Emotionen geleitet. Dann kann er mir auch mal sagen: «Komm wieder runter!» Das ist gut so.
Welche Ziele verfolgen Sie als Co-Präsidentin des Verbands?
In der Krise ist es schwierig, von grossen Zielen zu sprechen. Ich hoffe, dass wir durch die Krise nicht zu viele Mitglieder verlieren. Wie vorhin schon angetönt, liegt mir zudem die Bildung und damit unser eigenes Ausbildungszentrum sehr am Herzen. Wir müssen die guten Standards aufrechterhalten. Dies im Sinne einer soliden Gastronomie und des Standortmarketings unserer Region. Wir haben kein Skigebiet, mit dem wir bei unseren Gästen aus nah und fern punkten können. Unser grosses Gut ist aber eben beispielsweise die vielseitige Gastronomie. Darum müssen wir von Gastro Baselland für gute Rahmenbedingungen sorgen, mit den Wirten und anderen Wirtschaftszweigen zusammenarbeiten und hin und wieder auch den Anstoss für Innovationen geben. Zudem ist es mir wichtig, dass die Baselbieter Gastronomie sich mit Dienstleistung und Herzlichkeit profilieren kann.
Abgesehen von den Schwierigkeiten rund um das Coronavirus: Wie steht es um die Baselbieter ?
Die Gastronomie im Baselbiet ist sehr vielseitig und bietet eine breite Angebotspalette. Wir haben alles: vom Sternelokal bis zur Bergbeiz. Natürlich sind dabei Unterschiede feststellbar, beispielsweise zwischen den stadtnahen Regionen und jenen im Oberbaselbiet.
Wie präsentiert sich die Lage im Oberbaselbiet?
Eines ist klar: Früher hatten wir gerade in den ländlichen Regionen mehr «Beizen» als heute. Das ist aber dem Struktur- und Gesellschaftswandel geschuldet. Heute geht die Bevölkerung nach dem Feierabend weniger zum Bier an den Stammtisch als früher. Das Feierabendbier ist für ein Restaurant kein Geschäftsmodell mehr. Heute geht man geplant auswärts essen, die Erlebnisgastronomie hat einen höheren Stellenwert erhalten. Trotz weniger Betriebe können wir jedoch festhalten, dass die Qualität der Restaurants im Oberbaselbiet sehr hoch ist und die Vielfalt vielversprechend. Optimierungspotenzial gibt es schon auch.
Zum Beispiel?
Mir machen jene Betriebe Sorgen, in denen es viele Wechsel gibt. Das kommt allfälligen neuen Pächtern nicht zugute. Zudem fehlt es den Gastronomen teils an Innovation und Kreativität, die besonders in der heutigen Zeit sehr wichtig ist. Zudem wird die Dienstleistungskompetenz künftig noch eine grössere Rolle spielen. Betriebe, die zu wenig Wert darauf legen, verschwinden – Corona wird dieser Entwicklung zusätzlich Schub verleihen.
Ihr Herzblut für die Gastronomie ist deutlich spürbar. Woher stammt diese Leidenschaft?
Ich kam durch meine Grosseltern bereits früh in den Kontakt mit der Gastronomie. Sie führten den «Stab» in Waldenburg und später das Zürcher Ferienhaus in Valbella (GR) und Gais (AR). Meine Grosstante führte zudem ein «Hotel Garni» im südbündnerischen Val Müstair. Ich habe dadurch sehr nah miterlebt, was es bedeutet, in der Gastronomie tätig zu sein. Gastronomie bedeutet sehr viel Arbeit, aber auch viel Zufriedenheit. Darum setze ich mich so stark für die Branche ein. Gastronomie ist für mich eine Einstellung, nicht einfach eine Leidenschaft.
Können Sie sich vorstellen, einmal selbst ein Lokal zu führen?
Ja, das könnte ich mir sehr gut vorstellen. Dann wäre es aber mein Wunsch, dass ich auch die Immobilie dazu besitzen könnte. Ich hätte schon Ideen, aber die behalte ich für mich. Zurzeit ist es für mich auch kein Thema, aber das kann sich ja noch ändern.
Wie sieht aus Ihrer Sicht das ideale Lokal aus?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Mir persönlich gefallen unterschiedliche Konzepte – von der einfachsten Bergbeiz bis zum Gault-Millau-Restaurant in der Stadt. Es muss einfach zur jeweiligen Umgebung passen und das Gebotene muss authentisch sein. Wenn jemand nicht der Sternekoch ist, muss er auch keine extravaganten Speisen anbieten. Auch im Einfachen liegt der Reiz – dabei lässt es sich genauso innovativ und einzigartig sein. Heute trauen sich leider viele nicht mehr, etwas Einfaches zu machen und dazu zu stehen.
Wo im Baselbiet lassen Sie sich am liebsten kulinarisch verwöhnen?
Überall. Nein im Ernst, das Baselbiet bietet sehr viel sehr Gutes. Die Gastronomie in unserem Kanton bietet sehr viel. Da möchte ich mich gar nicht festlegen. Aber etwas kann ich sagen: mein Lieblingsrestaurant liegt im Val Müstair.
Zur Person
sf. Fabienne Ballmer ist in Oberdorf aufgewachsen und wohnt seit 15 Jahren in Arboldswil: «Hier liebe ich die Weitsicht und die vielen Sonnenstunden», sagt die 40-Jährige. Ballmer ist verheiratet und Mutter dreier Kinder. Die grösste Inspiration und Ruhe findet sie in der Heimat ihrer Grosseltern im Val Müstair. Die Berge sind neben der Gastronomie ihre grosse Leidenschaft. Ballmer präsidiert den Skiclub Reigoldswil und ist mit ihrer Familie gerne und viel auf den Skipisten unterwegs. Bei Gastro Baselland ist die diplomierte Hotellière HF seit bald zehn Jahren. 2011 ist sie als Selbstständige zum Verband gestossen, ursprünglich, um Servicekurse für Quereinsteiger zu unterrichten.