Sechs Waldenburg – eine Leidenschaft
19.11.2020 Baselbiet, Niederdorf, Bezirk Waldenburg
Elmar Gächter
Irgendwie sind sie sich einfach sympathisch, die Hohenloher, die Sachsen und die Oberbaselbieter. Sie haben einen gemeinsamen Nenner: Waldenburg. Regelmässig besuchen sich Delegationen der Dörfer mit gleichem Namen gegenseitig – längst haben ...
Elmar Gächter
Irgendwie sind sie sich einfach sympathisch, die Hohenloher, die Sachsen und die Oberbaselbieter. Sie haben einen gemeinsamen Nenner: Waldenburg. Regelmässig besuchen sich Delegationen der Dörfer mit gleichem Namen gegenseitig – längst haben sich Freundschaften entwickelt. Aber was macht diese Verbundenheit sonst noch aus? Einer, der das bestens weiss, ist Walter Bürgin, gebürtiger Liestaler, wohnhaft in Niederdorf, Waldenburger im Herzen. Längst hat sich seine emotionale Bindung um zwei Kleinstädte gleichen Namens im Nachbarland erweitert, jährlich stattet er ihnen mehrtägige Besuche ab. Ginge es nach Bürgin, würden auch das polnische, tschechische und französische Waldenburg zu dieser Gemeinschaft zählen. «Es fasziniert mich einfach, dass es so viele Waldenburg gibt», sagt Walter Bürgin.
Begonnen hat alles mit der Musik und einer schönen Maid. Denn sie hat Walter Bürgin in den 1960er-Jahren ermuntert, beim Musikverein Waldenburg zu schnuppern. Kaum hatte er sich dort vorgestellt, fand er sich als Paukist in dessen Mitte wieder. Und so nahm er 1986 als Aktivmitglied an der zweitägigen Musikreise nach Waldenburg Hohenlohe teil. Neu waren sie nicht, die Beziehungen zwischen dem Baselbieter Waldenburg und jenem Ort im Nordosten Baden-Württembergs. Auch die Jäger und Feuerwehren beider Städte pflegten bereits grenzüberschreitende Kontakte. Ihnen folgte um die Jahrtausendwende herum der erste «offizielle» Besuch der Hohenloher im Bezirkshauptort. «Der angesagte Gegenbesuch veranlassten René Vogt, damaliger Meister der Zunft zum Oberen Tor, und mich als Vorstandsmitglied, vor Ort zu rekognoszieren», erinnert sich Walter Bürgin.
Weshalb gerade Käse?
Es war Weihnachtsmarkt rund um die historische Kirche und nahe dem prunkvollen Schloss. Sie haben sich sofort wohlgefühlt und spontan entschieden, den Hohenlohern nicht nur jährlich einen Besuch abzustatten, sondern auch mit einem eigenen Stand am Weihnachtsmarkt teilzunehmen. Käse aus der Schweiz, aus unserer Region, wollten sie verkaufen. Weshalb gerade Käse? «Das ist eine besondere Geschichte. Die Idee kam mir an unserem Frühlingsmarkt und das Ziel war, die umliegenden Landwirte dazu zu motivieren, aus der eigenen Milch Käse herzustellen und vermarkten zu lassen. Doch sie liessen sich nicht dazu begeistern. So habe ich halt selber Milch eingesammelt, um sie in Mümliswil zu Käse verarbeiten zu lassen.» Und seither verkauft Walter Bürgin nicht nur am Frühlingsmarkt, sondern auch jeden letzten Freitag im Monat am Markt in Niederdorf und eben auch am Weihnachtsmarkt in Waldenburg Hohenlohe Käse aus der Region.
«Dort haben wir auch begonnen, zusammen mit einer Küchenmeisterin jeweils gegen 150 Liter Kürbissuppe zu kochen – gegen einen freiwilligen Beitrag unter dem Motto ‹Waldenburg hilft›.» Wenn Bürgin von «wir» spricht, meint er auch alt Gemeindepräsident Kurt Grieder und dessen Ehefrau sowie die amtierende Gemeindepräsidentin Andrea Kaufmann und deren Mann, die ihn am Marktstand das eine und andere Mal ablösen.
Bei einem der vorweihnächtlichen Aufenthalte im schwäbischen Städtchen trafen die beiden auf eine Gruppe von Marktfahrern aus dem sächsischen Waldenburg. «Diese waren so originell, herzlich und freundlich, dass wir uns von der ersten Minute an bestens verstanden haben.» Seither verkauft Walter Bürgin den Käse auch im mehr als 300 Kilometer von Hohenlohe entfernten Sachsenland.
Geheimes Gold
Zum Thema Hilfsbereitschaft erwähnt Walter Bürgin einen ehemaligen Stadtrat von Waldenburg Hohenlohe. Nach dessen Aussage habe das kurz vor Kriegsende im April 1945 in Schutt und Asche gelegte Städtchen seine Fühler um Unterstützung auch in das baselbieterische Waldenburg ausgestreckt und zur Antwort erhalten: «Wir haben kein Geld, wir hatten selber sechs Jahre lang Krieg.»
Item. Walter Bürgin hat sich auf den Weg gemacht, auch die anderen Waldenburg in Europa persönlich kennenzulernen. Gerne hätte er auch mit dem französischen «Waltembourg» im Gebiet Lothringen näheren Kontakt aufgenommen. «Leider spreche ich nicht Französisch und konnte mich dort im 245-Seelen-Dorf nicht mit den Leuten unterhalten.» Zum Namen Waldenburg ist die kleine Ortschaft wahrscheinlich wegen der deutschen Arbeiterkolonien aus Hohenlohe oder Sachsen gekommen, die an der riesigen Festung Pfalzburg mitgearbeitet haben.
Auch um die Verbindung zum polnischen «Walbrzych» hat sich Walter Bürgin bemüht. «Das ist eine ganz besondere Stadt, die für mich etwas Geheimnisvolles hat, und in einer wunderbaren Landschaft eingebettet ist», schwärmt er. In einem der Stollen in diesem Bergbaugebiet, den die deutsche Wehrmacht für ihre Kriegsproduktion nutzte, hätten zwei Höhlenforscher einen Eisenbahnwagen voll Gold entdeckt. Da man sich nicht über den Finderlohn habe einigen können, sei der Fundort bis heute nur den Forschern bekannt. «Noch so gerne hätte ich mit den dortigen Behörden Fühlung aufgenommen, habe auf meine entsprechenden Anfragen jedoch nie eine Antwort erhalten», bedauert Walter Bürgin.
Beˇ lá pod Pradeˇ dem ist eine Gemeinde in Tschechien und liegt in Mittelmähren im Altvatergebirge. Belá, Waldenburg, nennt sich einer der vier Ortsteile, das seinen Namen von einem katholischen Geistlichen aus Waldenburg Hohenlohe erhalten hat. «Ich war auf der Stadtverwaltung und im Tourismusbüro und wurde sehr freundlich empfangen. Man signalisierte mir, dass die Stadtbehörde nicht so westlich orientiert sei, um nähere Verbindungen mit uns aufzunehmen. Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass es eines Tages doch noch klappt», so Bürgin.
«Suche Kontakt zu den Leuten»
So konzentriert sich Walter Bürgin weiter auf seine engen Beziehungen zu den beiden deutschen Waldenburg. Er ist längst fester Bestandteil ihrer Weihnachtsmärkte. «In Sachsen verkaufe ich mehr Käse als in Hohenlohe. Man sagt ja von den Schwaben, sie seien gebürtige Schotten und hätten den Kupferdraht erfunden, weil sie den Pfennig so lange in den Fingern gedreht hätten», erzählt er und lacht. Im Grossen und Ganzen sei der Menschenschlag in Sachsen dem Oberbaselbieter ähnlich, man gehöre dort schnell zu ihnen, während man in Hohenlohe zwar auch sehr freundlich, jedoch etwas zurückhaltender sei.
Das Wichtigste ist für Walter Bürgin bei seinen Besuchen der Kontakt mit den Leuten. «Mir geht es beim Käseverkauf nicht nur um das Kommerzielle, ich zahle meine Reisen selber und der Erlös geht zu 100 Prozent in die Kasse von ‹Waldenburg natürlich›.» Die vielen tollen Erlebnisse seien Entschädigung genug, sagt er, und erwähnt einen der «offiziellen» Besuche der Delegation aus Waldenburg Baselland im sächsischen Waldenburg, wo in der Oberstadt zwei Bäume beim Kindergarten gepflanzt wurden. «Ich wunderte mich ein wenig über den Ort, lag er doch mitten im Wald. Bis ich feststellte, dass es neben diesem Kindergarten für die eigentliche Oberschicht noch einen anderen in der sogenannten Unterstadt gibt. Und so habe ich etwas später zusammen mit meinem Nachbarn Kurt Wyss zur Freude der Verantwortlichen und der Kindergärtner auch dort zwei Bäume aus dem Baselbiet gepflanzt.»
Obwohl Walter Bürgin dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie auf den Besuch der beiden Weihnachtsmärkte verzichten muss, will er seinen Käse auch in den kommenden Jahren der Bevölkerung in den beiden Städten in Hohenlohe und Sachsen schmackhaft machen. Denn eine Leidenschaft, wie sie Walter Bürgin pflegt, wird man nicht so leicht los.
Zur Person
emg. Der 75-jährige Walter Bürgin ist zusammen mit 12 Geschwistern in Liestal aufgewachsen und wohnt seit vielen Jahren mit seiner Frau in Niederdorf. Nach einer Lehre als Eisenwarenverkäufer war er lange Zeit in der Keramikbranche tätig und führte von 1981 bis 2008 eine eigene Firma in Liestal. Seit 1966 ist er aktives Mitglied des Musikvereins Waldenburg und setzt sich unter anderem in der Zunft zum Oberen Tor für die Attraktivität des Städtchens ein.