MEINE WELT
16.10.2020 GesellschaftWas die Welt bewegt
Polizei tasert Frau, weil sie sich weigert, eine Maske zu tragen, schrei(b)t ein populistisches Blatt. Es ist belastend, kriminalisiert zu werden wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demo, klagen Erwischte. Es geht um Leben und Tod, warnen ...
Was die Welt bewegt
Polizei tasert Frau, weil sie sich weigert, eine Maske zu tragen, schrei(b)t ein populistisches Blatt. Es ist belastend, kriminalisiert zu werden wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demo, klagen Erwischte. Es geht um Leben und Tod, warnen Klimaschützer mit Strickkappe und Mahnfinger. Meine Nacktbilder wurden im ganzen Schulhaus verschickt, jammert eine Selfiebegeisterte. Wir, die die Missstände ansprechen, sind die Bösen, reklamieren Parteiexponenten lautstark. Die Swiss entschuldigt sich, weil sie ein Massenmail nicht als Blindkopie verschickt hat und die Welt fragt sich einmal mehr, ob US-Präsident Trump die Wirtschaft wirklich «great» gemacht hat.
Aber wir erfahren auch Spannenderes. So etwa, dass eine tonnenschwere Buddha-Figur von Vandalen beschädigt wurde. Der investigative Reporter dieser Story, die das Zeug zum Pulitzer-Preis hat, findet heraus, dass es für diesen Akt der Zerstörung sehr viel Kraft benötigte. Im gleichen Atemzug werden in der Schweiz wieder Grossveranstaltungen zugelassen und in Spanien wird Madrid abgeriegelt.
Eine Schlagzeile jagt die nächste. Eine Hiobsbotschaft übertrifft die andere. Letzthin habe ich einer Kollegin die Türe im Büro geöffnet, und sie hat mir, Automatismus sei Dank, die Hand zur Begrüssung hingehalten. Nach diesem Handschlag hat sie sich in aller Form entschuldigt, dass sie mich praktisch zum Händeschütteln genötigt hat. Was für eine Welt! Wenn wir unseren Blick schweifen lassen, kommt es uns vor, wie wenn wir in einer hochtoxischen Umgebung leben würden. Auffallend ist, dass das Thema Rauchen in den Hintergrund gerückt ist. Alkoholund Drogenpräventationen machen Razzias im Autotuner-Milieu Platz. Die Menschen bleiben zu Hause und beobachten. Sie registrieren den Lärm der Autos und Motorräder. Sie filmen den Nachbarn, wie er mit mehr als zehn Personen eine Grillparty schmeisst, oder notieren den Bekannten im Restaurant, falls dieser vergessen hat, seine Kontaktdaten für ein mögliches Corona Tracing zu hinterlassen. Alles wird anonym und gegenstandslos, denn sogar unser Fünfliber könnte kontaminiert sein, da lässt es sich mit der EC-Karte keimfreier bezahlen.
Ich mache mir in absehbarer Zeit keine Gedanken darüber, wo ich meine Ferien verbringen möchte. Ich halte es wie Robinson Crusoe und lebe in den Tag, nicht wissend, was der nächste bringt oder welche Region in welchem Land zum Hochrisikogebiet deklariert wird. Eigentlich nicht schlecht, diese Betrachtungsweise.
Eigentlich. Denn eigentlich würde ich gerne den Spruch vieler älterer Menschen aufgreifen und das Rad der Zeit zurückdrehen. Früher war alles besser. Wenn es denn so war. Früher bezahlten wir mit Geld. Mit richtigem Geld, das manchem durch die Finger glitt. Die schrittweise Abschaffung des Bargeldes hat auch Vorteile. So bleibt ein Kilo Brot ein Kilo Brot und zehn Franken bleiben zehn Franken, ausser die Politik bestimmt ab morgen, dass zehn Franken nur noch neun Franken wert sind. Apropos Morgen, der kommt bestimmt.
Claude Lachat ist Schriftsteller, 55 Jahre alt und wohnhaft in Nunningen. Er arbeitet als Programmleiter von Tandem 50 plus Baselland.