In die Presse statt auf den Kompost
23.10.2020 ZiefenVon Obstbäumen, Most und viel Idealismus
Nach zweimaligem Obstsammeln konnte der Natur- und Vogelschutzverein Ziefen (NVVZ) rund 1300 Liter Apfelmost abfüllen. Der Most wird an Private verkauft. Der Erlös fliesst in die Naturschutzarbeit in Ziefen.
Daniel ...
Von Obstbäumen, Most und viel Idealismus
Nach zweimaligem Obstsammeln konnte der Natur- und Vogelschutzverein Ziefen (NVVZ) rund 1300 Liter Apfelmost abfüllen. Der Most wird an Private verkauft. Der Erlös fliesst in die Naturschutzarbeit in Ziefen.
Daniel Zwygart
Zum zweiten Mal nach 2018 hat der Natur- und Vogelschutzverein in diesem Herbst Äpfel und Birnen von Bäumen, die gar nicht mehr oder nur teilweise geerntet wurden, eingesammelt. Inspiriert von ähnlichen Aktionen in Titterten und Waldenburg, schwärmte am 19. September und am 17. Oktober eine Schar von jeweils rund 20 Personen – darunter viele Kinder – mit Wagen und Leitern aus, um die roten, gelben, grünen, grossen und kleinen Früchte einzusammeln. Vorgängig wurde die Sammelerlaubnis bei den Baumbesitzern eingeholt.
Die Gruppe ging froh ans Werk. Die Früchte wurden gepflückt, heruntergeschüttelt und aus dem zum Teil hohen Gras wieder herausgeklaubt. Schnecken wurden beiseite geschoben und die Wurmkothaufen so gut wie möglich abgeputzt. Die Kinder machten ebenfalls begeistert mit.
Die Bäume und ihre Früchte
Die Bäume stehen frei im Feld oder in Reih und Glied nahe beisammen. Die einen haben einen langen Stamm (= Hochstamm) und die anderen einen mehr oder weniger kurzen (= Niederstamm). Fast allen gemeinsam ist, dass sie kaum noch gepflegt, also weder geschnitten noch gespritzt werden. Jahr für Jahr produzieren sie mehr oder weniger Früchte, die auf den Boden fallen und deren Abbauprodukte nach der Passage durch viele Mägen oder zumindest Zellen zurück in den Stoffkreislauf gelangen. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren ihre Früchte sehr begehrt und die Bäume entsprechend gut gepflegt.
Auf den Bäumen wachsen viel mehr Sorten, als gemeinhin bekannt. Lange nicht alle sind fein zum Essen – oft sind sie sauer und mit derber Schale. Zum Mosten sind sie aber geeignet. Ein paar Spezies, die gesammelt wurden: Berner Rosen, Spartan, Sauergrauech, Berlepsch, Florina, Boskoop, Glockenapfel, Bohnapfel, Schneiderapfel, Alexander-Lucasund Pastorenbirne und viele, viele unbekannte.
Seit 50 Jahren an der Mostpresse
Die Früchte werden in der Mostereianlage der Milchgenossenschaft Ziefen verarbeitet. Das heisst, sie werden gewaschen, gemahlen und dann gepresst. Robert Zeugin vom Fuchshof bedient die Anlage und gerät auch nicht aus der Ruhe, wenn sich Äpfel im Zuführrohr querstellen oder das Auffangbecken ob des kräftig fliessenden Fruchtsaftes beinahe überlaufen will. Es ist wohl ein Glücksfall, dass Ziefen noch eine solche Anlage hat und auch Personen, die sie bedienen können und wollen. Der gewonnene Saft – aus 1,3 Kilo Äpfeln gibt es einen Liter Most – muss umgehend pasteurisiert werden, sonst beginnen die vorhandenen Hefepilze den Zucker zu Alkohol zu vergären. Saurer Most wurde im 19. Jahrhundert als kostengünstiges und einfach herzustellendes Getränk noch literweise getrunken. Heute ist dies anders.
Nun kommt Peter Kipfer, ebenfalls vom Fuchshof, zum Einsatz. Er probiert den Frischsaft und sagt: «Das wird ein guter!» Dann erhitzt er ihn auf 78 Grad Celsius und füllt ihn in die Plastiksäcke ab, die in den praktischen Zehnliter-Karton-Bags versorgt werden. Unermüdlich, Sack für Sack, manchmal 1000 Liter am Tag. Früher waren es Glasflaschen mit 25 oder sogar 50 Litern Inhalt. Die Zehnliter-Bags sind praktischer, da aus ihnen Most über Tage und Wochen hinweg gezapft werden kann, ohne dass er schlecht wird. Und dies ohne Kühlung.
Peter Kipfer ist ein «alter Hase». Er kennt alle Obstlieferanten, er weiss, wer wann welche Äpfel holt oder eben auch nicht. Nicht von ungefähr, denn er mostet seit mehr als 50 Jahren in Ziefen. Er selber pflegt auch viele Hochstammbäume auf dem Hof. Sein Biomost ist in der «Chesi» und bei vielen Dorfbewohnern sehr gefragt. Auch als Präsident ist er aktiv und ermöglicht so vielen Haushalten, «eigene» Kirschen zu pflücken. Diese gute Seele des Dorfs wird nun am Samstag 75 Jahre alt: Herzliche Gratulation!
Nach der zweiten Sammelaktion genossen die Anwesenden im Freien und mit Abstand die herrliche Ziefner Kürbissuppe des «offenen Gartentors» und assen dazu frisch gebackenes Brot und feine Apfelwähen der «Bachhüsligruppe».
Idealisten
zwy. Mit solchen Aktionen wie in Ziefen werden kaum seltene Vogelarten und auch keine Bäume gerettet. Es ist allenfalls ein minimaler Beitrag zur Vermeidung von «Foodwaste»: 15 bis 20 Prozent der jährlichen Apfelernte bleibt liegen oder wandert auf die Komposte oder sogar in den Müll – im Jahr 2020 werden dies schweizweit ungefähr 30 000 Tonnen verlorene Äpfel sein. Das gemeinsame Erlebnis hilft möglicherweise, neue Leute für einen umfassenden Naturschutzgedanken zu sensibilisieren. Mit jedem Schluck vom feinen Ziefner Most werden die Engagierten an diese Samstage erinnert und ihr Immunsystem erfährt eine willkommene Stärkung.